Wikinger - Die Entdecker Amerikas. Knut Lindh
und legen diese dann aufeinander. Die Wände sind solide, an die anderthalb Meter dick, und halten die Wärme sehr gut. Von festen Balken getragene Baumstämme bilden den Dachfirst, der mit den niedrigen Längswänden durch aus kleineren Baumstämmen gefertigte Querlieger verbunden ist. Das Dach wird mit Rinde isoliert, die dann wiederum mit Grassoden bedeckt wird.
Für das Vieh bauen sie eigene Ställe und legen sich Heuvorräte an. Jetzt kann der Frost kommen, sie sind darauf vorbereitet. Doch zu ihrer Überraschung bleibt er aus. Es ist ein milder Winter, das Gras welkt kaum und das Vieh kann weiter draußen weiden.
Als die Häuser fertig sind, sagt Leif: »Jetzt sollten wir die Mannschaft in zwei Gruppen teilen und dann das Land untersuchen. Die eine Gruppe bleibt hier bei den Häusern, die andere erforscht die Umgebung, darf sich aber nur so weit von der Siedlung entfernen, daß sie abends wieder zu Hause sein kann, und niemand darf tagsüber seine Gruppe verlassen.«
Leif findet es spannend, das neue Land zu erforschen, und wann immer er kann, schließt er sich den Wanderungen an den Stränden entlang und in die tiefen Wälder an. Er zieht gern zusammen mit dem »Türken« los, einem Südländer, den er seinen Pflegevater nennt, und der schon in Leifs Kinderjahren auf Brattahlið gewohnt hat. Niemand weiß genau, woher der Türke stammt. Vielleicht kommt er ja wirklich aus der Türkei und ist ein Nachkomme des Nomadenvolkes, das fünfhundert Jahre zuvor große Teile Zentralasiens unterworfen hat. Vielleicht kommt er auch aus Deutschland, schließlich spricht er ja Deutsch.
Leif mag den Türken sehr, denn der Mann aus der Fremde hat sich liebevoll um ihn gekümmert, als Leif noch ein Kind war. Deshalb ist er sehr besorgt, als sein Pflegevater eines Abends nach einem Ausflug ins Binnenland nicht zur Siedlung zurückkehrt. Leif macht den anderen aus der Gruppe Vorwürfe, weil sie ihn einfach so verloren haben, und er macht sich auf den Weg, um zusammen mit einigen anderen Männern den verschollenen Gefährten zu suchen. Doch sie sind noch nicht lange unterwegs, als der Türke ihnen entgegenkommt. Leif ist erleichtert, erkennt dann aber, daß mit seinem Pflegevater etwas nicht stimmt. Er fragt: »Warum kommst du so spät, und warum hast du die anderen aus den Augen verloren?«
Der Türke redet zunächst länger auf Deutsch, verdreht die Augen und grinst. Die anderen verstehen natürlich nicht, was er sagt. Schließlich wechselt er in die altnordische Sprache über: »Ich bin nicht viel weiter gegangen als ihr. Ich kann euch etwas Schönes erzählen. Ich habe Weinstöcke und Trauben gefunden.«
»Kann das denn stimmen, Pflegevater?« fragt Leif.
»Ja, natürlich stimmt das, denn dort, wo ich geboren wurde, fehlte es weder an Weinstöcken noch an Trauben.«
Die in der Saga erwähnten Trauben in Vinland, dem »Weinland«, haben im Laufe der Jahrhunderte allen großes Kopfzerbrechen bereitet, die versucht haben herauszufinden, wo genau in Nordamerika Leif Eirikssohn und seine Begleiter ihre Häuser errichtet hatten. Wenn sie wirklich Weinstöcke gefunden haben, dann müssen sie, so der Forscher Helge Ingstad, sehr viel weiter nach Süden gelangt sein, als die Reisebeschreibungen in der Saga Eiriks des Roten annehmen lassen. Ingstad weist darauf hin, daß die nördliche Grenze für den Wuchs wilder Weintrauben in Nordamerika in Massachusetts bei ungefähr fünfundvierzig Grad nördlicher Breite liegt.
Aber das stimmt nicht. Die Autorin Vera Henriksen zitiert in ihrem Buch Mot en verdens ytterste grense (»Zur äußersten Grenze einer Welt«) den Franzosen Jacques Cartier, der in den Jahren zwischen 1534 und 1541 dreimal die an der Mündung des St. Lorenz-Stromes unmittelbar im Westen von Neufundland gelegenen Gebiete besucht hat. Er schreibt über »so viele Weinstöcke am Flußufer, daß sie fast aussehen wie von Menschen gepflanzt. Doch da sie weder veredelt noch beschnitten sind, sind ihre Trauben nicht so groß und süß wie unsere.«
Das paßt nun wiederum zu den Erkenntnissen, zu denen Thor Heyerdahl in seinem zusammen mit Per Lilliestrøm verfaßten Buch Ingen Grenser (»Keine Grenzen«) gelangt. Darin erzählt Heyerdahl, daß er auf einer Konferenz auf Island die Frage der in der Saga erwähnten vinländischen Trauben angeschnitten habe, worauf allgemein die Ansicht vertreten wurde, das Wort »vin«3, so, wie es in den Sagas verwendet wird, beziehe sich tatsächlich auf gegorenen Traubensaft und nicht auf Weideland. »Es wurde darauf hingewiesen, daß das Wort ganz anders betont wird, wenn von einer Weidefläche die Rede ist«, schreibt Heyerdahl.
Er berichtet, daß die isländischen Tagungsteilnehmer davon überzeugt waren, daß die Vinlandreisenden wirklich wilde Trauben gefunden hatten. Er erzählt, der Historiker Páll Bergþórsson habe ihm einen Bogen aus seinem Herbarium geschenkt, auf dem wilde Trauben gepreßt waren, die er selber im August 1996 in der St. Lorenz-Bucht gepflückt hatte. Diese Trauben hatte er als Vitis riparia identifiziert, eine wilde Traubenart, die auf Englisch »Riverbank Grape« genannt wird. Dies stimmt mit botanischen Fachbüchern überein, die angeben, daß diese Trauben in so weit nördlichen Gegenden wie der Provinz Québec vorkommen. Aber so weit im Osten wie Neufundland sind sie niemals registriert worden. Das muß jedoch nicht heißen, daß Heyerdahl sich geirrt hat. Vor tausend Jahren herrschte in Neufundland ein milderes Klima als heute und deshalb können die Vitis riparia durchaus vor tausend Jahren, als Leif Eirikssohn in L’Anse aux Meadows an Land ging, dort heimisch gewesen sein. Es ist natürlich auch möglich, daß die Vinlandfahrer die St. Lorenz-Bucht erforscht und dort Weintrauben gefunden haben, auch wenn die Sagas das nicht erwähnen.
Daß so dicht bei den »Leifsbuden« (wie die Häuser der Siedlung später genannt wurden) wilde Trauben gefunden worden sind, ist noch kein Beweis dafür, daß die anschauliche Beschreibung der Sagas über den Traubenfund zutrifft. Es kann jedoch möglicherweise zu neuen diesbezüglichen Untersuchungen anregen.
Aber auch Helge Ingstad bringt gute Argumente für seine Theorie. Er beruft sich unter anderem auf einen Artikel, den der schwedische Sprachwissenschaftler Sven Söderberg 1910 in der Zeitung Sydsvenska Dagbladet veröffentlicht hat. Laut Söderberg gibt es keinerlei Zusammenhang zwischen Weintrauben und dem Namen Vinland, diese Assoziation beruhe auf einem sprachlichen Mißverständnis. Söderberg führt die Silbe »Vin-« in Vinland zurück auf das altnordische Wort vin, das Grasfläche oder Weideland bedeutet.
Ingstad, möglicherweise der Norweger, der zu diesem Thema die Saga am gründlichsten studiert hat, weist in seinem Buch Oppdagelsen av det nye land (»Entdeckung des neuen Landes«) daraufhin, daß es in Norwegen ungefähr tausend Ortsnamen gibt, in denen die Silbe vin in der genannten Bedeutung auftaucht, zum Beispiel Bjørgvin (der alte Name der Stadt Bergen) oder Vinje. Ingstad schreibt: »Der Name Grasland war bei den altnordischen Auswanderern, für die Weideland für ihr Vieh eine Lebensnotwendigkeit darstellte, von höchster Bedeutung.«
Der Name Vinland wird erstmals von dem deutschen Historiker Adam von Bremen erwähnt, der in seinem umfassenden Werk Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum (»Die Geschichte des Bistums Hamburg«), das er vermutlich um das Jahr 1075 vollendete, folgendes schreibt: »Außerdem hat er« (der dänische König Svein Estridssohn) »eine weitere Insel erwähnt, die in jenem großen Meer von vielen aufgesucht worden ist, und die Vinland genannt wird, weil dort Weinreben wachsen, die köstlichsten Wein ergeben.«
Das Werk Adams von Bremen gilt als eine ungeheuer wichtige Quelle für die Geschichte Nordeuropas, in der es jedoch auch zu nachweislichen sprachlichen Mißverständnissen kommt. Adam schreibt unter anderem, die Insel Grönland habe ihren Namen erhalten, weil die dort wohnenden Menschen vom Meer grün gefärbt würden, und die Silbe kvæn im Landschaftsnamen Kvænland sei vom Wort kvinne (norwegisch für »Frau«) abzuleiten, während wir heute wissen, daß sie von den Kvenen herstammt, einer westfinnischen Volksgruppe.
Da Adam von Bremens Buch das erste uns bekannte Schriftstück ist, in dem die Reisen nach Vinland erwähnt werden, ist es möglich, daß seine Fehldeutung von den isländischen Saga-Verfassern übernommen wurde.
In der Wikingerzeit gab es viele Städte in Norwegen, die vin im Namen trugen, und da bedeutete es Gras. Dies kam auch auf Jæren vor, wo Eirik der Rote herstammte. Eirik muß diese Bedeutung des Wortes also gekannt haben und es ist denkbar, daß er sie mit nach Grönland genommen hat.
Immer wieder ist die Frage gestellt worden, woher die anschauliche Beschreibung, die