EMOTION CACHING. Heike Vullriede

EMOTION CACHING - Heike Vullriede


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spielte mit seiner Zunge in der Wangentasche. Dann schweifte sein Blick suchend durch Mehmets Schaufenster nach draußen. Dort fiel sein Augenmerk auf zwei jüngere Frauen, die sich nur wenige Meter entfernt rege unterhielten. Blond gefärbte Pferdeschwänze wippten an ihren Hinterköpfen und ihre Jeans saßen hauteng an etwas zu gut gepolsterten Hüften. Eine von ihnen schaukelte routiniert einen Kinderwagen hinter ihrem Rücken hin und her, während sich ein etwa Zweijähriger ein Stück weiter gelangweilt um ein Straßenschild drehte.

      »Passt auf, jetzt zeige ich euch gleich mal, was echte Freude ist«, sagte Benni mit einem Tonfall, der Kim an das Zischen einer bösen Schlange erinnerte. Was schlängelte sich da gerade aus seinen mit Hinterlist gefüllten Hirnwindungen heraus?

      Benni erhob sich aus seinem Sitz und quetschte sich zwischen Kims Beinen und der Tischkante hindurch. An Kims Knien blieb er hängen und grinste ihr ins Gesicht. »Hast du je etwas Männlicheres so nah bei dir gehabt?«

      »Wenn du dich nicht augenblicklich verziehst, gibt es bald nichts Männliches mehr an dir.«

      Eine warnende Erinnerung an Kims Kickbox-Training schien Benni einzuholen. Sein Grinsen erstarb schneller, als es aufgetaucht war, und er sah zu, dass er zügig aus der Reichweite ihrer Knie kam. Kim verzog den Mund. Sie hatte nicht die geringste Lust auf irgendetwas Männliches in der Nähe ihrer Beine, jedenfalls nicht jetzt. Ihre Mutter schon – leider – eine Tatsache, die sie hasste. Und das nicht ändern zu können, hasste sie noch mehr. Manchmal erschienen ihr die Menschen nicht anders als instinktgetriebene Tiere: Fressen, kämpfen, vermehren, Macht ausüben …

      Sie beobachtete mit den anderen, wie Benni sich vor die Ladentür begab, um irgendeinen perfiden Plan Wirklichkeit werden zu lassen, der aus seinem tierischen Gehirn heraus an die Außenwelt wollte. Wozu? Um Macht auszuüben? Alles passte stets in diese vier Begriffe, die aus den Instinkten krochen. Nur das Hinterhältige an Bennis Vorgehen war ganz sicher eine besondere menschliche Eigenart. Nein, der Mensch war wohl mehr als ein gewöhnliches Tier … er war ein besonders arglistiges Tier … Sie musste zwar zugeben, dass sie sich selbst keineswegs wie ein Unschuldsengel auf dieser Erde aufführte, aber Benni hätte sie alles zugetraut.

      Es ging erschreckend schnell. Kaum eine halbe Minute später betrat Benni den Laden erneut – an seiner Hand das völlig arglose Kind. Kim beäugte die beiden misstrauisch. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Benni irgendetwas Gutes im Schilde führte, um echte Freude aus dem Kleinen herauszukitzeln. Sie war sich sogar ganz sicher, dass ihm die Gefühlslage eines Kindes nicht einen Cent bedeutete. Das unterschied ihn ganz deutlich von ihr.

      Mehmet arbeitete hinten in der Küche und so blieb Bennis Griff in das große Glas mit den bunten Lutschern, das für die kleinen Gäste des Dönerladens auf dem Verkaufstresen stand, unbemerkt von ihrem alten Freund. Verlockend hielt Benni den aus der knisternden Verpackung geschälten Lutscher nach unten und grinste augenzwinkernd in die glänzenden Augen seines kleinen Begleiters.

      Kim blickte kurz durch das Schaufenster – bisher hatte die Mutter des Jungen den bedeutsamen Verlust hinter ihrem Rücken nicht mal bemerkt. Wie leichtsinnig.

      Doch jetzt rührte sie sich und auf einmal ergriff beide Frauen da draußen eine auffallende Hektik. Sie drehten sich um sich selbst, suchten mit unruhigen Augen das Umfeld ab und konzentrierten sich bald auf die angrenzende Kreuzung.

      Tja, dachte Kim, das hätte natürlich auch passieren können.

      Wenn sie mal Kinder hätte, würde sie mit jeder Gefahr rechnen und ganz sicher besser aufpassen. Obwohl, wollte sie überhaupt welche? Musste sie dann nicht auch den Mann dazu einkalkulieren? Der Gedanke an einen Partner, auf den sie alle Nase lang Rücksicht nehmen müsste, nicht spontan das tun zu können, wonach ihr war … das wollte sie jedenfalls nicht … und warum um alles in der Welt sollte sie sich dann von einem Rotzblasen schnaufenden, gierigen Winzling auf zwei tollpatschigen Beinen im Leben einengen lassen? Wieso wollten fast alle Frauen auf der Welt Kinder?

      Der Kleine mit den feinen blonden Haaren und den großen dunklen Augen am Tresen quäkte: »Haben!«, und auf Zehenspitzen griff er mit ausgestreckten Armen und wie Fächer ausgebreiteten Fingern nach dem fast unerreichbaren Lutscher über ihm … wieso waren diese kleinen Geschöpfe aber auch so süß? Kim lächelte in sich hinein. Vermehren, ging ihr durch den Kopf. Auch das passte in ihre Theorie mit den Instinkten. Sie blickte zu Lena. Deren Gesicht sah gerade aus wie schmelzende Butter.

      Mit einem lauten Knall sprang die Klinke der Ladentür gegen den Rahmen und die Mutter des Kleinen stand im Raum wie ein aufkommender Sturm. Kims Augen fielen auf den Tresen, an dem Benni eben noch den Jungen mit der Süßigkeit gelockt hatte. Sie standen nicht mehr dort.

      »Haben Sie einen kleinen Jungen gesehen?« Die Mutter war sichtlich aufgewühlt. Ihre Augen versprühten Ungeduld und Angst.

      Der ahnungslose Mehmet, der inzwischen wieder hinter dem Tresen aufgetaucht war und sich mit einem Handtuch die Hände abtrocknete, schüttelte verwundert den Kopf. »Was denn für einen Jungen?«

      Allmählich überkam die Frau ganz offensichtliche Panik. Fahrig suchte sie die Bänke ab, riss den Kopf hin und her. Als sie merkte, dass ihre Suche erfolglos blieb, starrte sie hilfesuchend auf Kim, Nico und die noch blasser gewordene Lena.

      »Habt ihr einen kleinen Jungen gesehen?«, wiederholte sie mit unkontrolliert hoher Stimme.

      »Wieso? Haben Sie Ihr Kind denn aus den Augen gelassen?«

      Kim erkannte Bennis ruhige und Unschuld höhnende Stimme hinter sich und wandte sich um. Er kam aus der Richtung des Vorratslagers, nur das Kind hatte er nicht mehr bei sich. Kim fragte sich, wo er den Kleinen gelassen hatte und vor allem, mit welcher Pointe er sie alle nun überraschen wollte. Wozu inszenierte er das alles? Man sah ihm nichts an, weder einen Anflug von Aufregung noch einen verräterischen Blick, allenfalls ein kleines bisschen Schadenfreude um die Mundwinkel. Aber dazu musste man ihn schon genau kennen. Es mochte sein, dass Fremde in ihm auf den ersten Blick als so eine Art Wunsch-Schwiegersohn sehen mochten … solange, bis sie ihn wirklich kennenlernten.

      »Können wir Ihnen vielleicht helfen?«, säuselte er der verzweifelten Mutter zu, auf die er, einen Kopf größer, herabblickte. Seine Stimmlage bereitete Kim fast schon einen Würgereiz. Was für ein Heuchler! Nein, so abgebrüht war selbst sie nicht. Kim war bestimmt schroff, wahrscheinlich sogar hartherzig, aber so hätte sie niemals lügen können.

      »Mein Kind ist weg! Verstehen Sie? Mein Kind ist weg!« Die Mutter wurde schrill. Anscheinend konnte sie die stoische Ruhe, die von der Clique ausging, nicht verkraften.

      »Ja, haben Sie es denn nicht beaufsichtigt? Sie, als Mutter.« Benni stand jetzt noch näher vor ihrem inzwischen zitternden Körper und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Es könnte ja überfahren werden!« Sein Blick schwenkte nach draußen auf die viel befahrene Kreuzung. »Mein Gott …«Die Frau stürmte zur Tür hinaus.

      Mehmet sah ihr besorgt und ratlos hinterher.

      Nach einem Moment der Stille, in der Benni endlich seinen Spaß an der Sache nicht mehr verleugnen konnte und sein Grinsen dem von Hackfresse ausgesprochen ähnelte, fasste sich Lena. »Du bist so was von fies!«

      Zu Kims Erstaunen erhob sie sich energisch und stellte sich Stirn an Stirn ihrem Freund gegenüber. »Wo ist er?«, fragte sie leise, aber ihr fordernder Ton drang bis in Kims Ohren.

      Benni konnte sich kaum noch halten und sein zwanghaft zurückgehaltenes Lachen platzte etappenweise aus seinem Mund. »Der kleine Gierlappen sitzt schmatzend im Besenraum und lutscht Süßes. Kein Grund zur Sorge.«

      Es schien ihm nicht im Geringsten zu missfallen, dass sich seine Freundin ihm offen entgegenstellte; gerade so, als wenn er es von ihr erwartet hätte.

      Einen Augenblick später lief Lena mit einem total verklebten Kind an der Hand und verbissenem Gesichtsausdruck nach draußen. Vorbei an Mehmet, der fast den schweren frischen Dönerspieß fallengelassen hätte, als er den Jungen sah.

      »Hallo, ich hab ihn gefunden!«, hörten sie Lena draußen vor der Tür rufen.

      Kim und die


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