Flucht ins Glück. Barbara Cartland

Flucht ins Glück - Barbara Cartland


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verschwand in einem Waggon und kam kurz darauf mit einem großen Stück hausgemachter Wurst und einem mit Käse belegten Brot zurück.

      „Eine Bauersfrau hat mir das gegeben“, sagte er. „Sie sollen es sich schmecken lassen, Miss.“

      „Wie freundlich von der Frau“, sagte Melinda. „Meinen Sie, ich soll ihr Geld dafür geben?“

      „Damit würden Sie die Frau beleidigen, Miss. Sie hat Ihnen das Brot und die Wurst gern gegeben.“

      „Dann sagen Sie ihr bitte meinen innigsten Dank.“

      Es hatte Melinda selten so geschmeckt in ihrem Leben. Wie verschieden doch die Menschen sind, dachte sie.

      Der Zug fuhr schließlich weiter, und als er langsam in die Euston-Station rollte, dämmerte es bereits.

      „Gott sei Dank sind wir endlich da“, stöhnte die Dame mit dem Schleier. „So eine unangenehme Reise! Das nächste Mal nehmen wir die Kutsche, das schwöre ich dir.“

      „Ich wußte, daß es dir keinen Spaß macht, mein Herz“, sagte ihr Mann. „Zugfahren ist nun einmal nichts für Damen.“

      „Weiß Gott nicht“, sagte seine Frau. „Laß den Korb ruhig stehen. Der Gepäckträger soll ihn holen.“

      Die Menschenmenge auf dem Bahnhof war beeindruckend, und jetzt bekam es Melinda erst richtig mit der Angst zu tun. Zu dieser späten Stunde das Büro von Mrs. Brewer noch suchen zu wollen, war zwecklos.

      Sie überlegte, ob sie das Ehepaar nach einer gebührlichen Unterkunft fragen sollte und hatte gerade ihren ganzen Mut zusammengenommen, als einer der Geschäftsleute die Tür öffnete und ausstieg.

      „Bitte“, sagte Melinda mit zitternder Stimme, „könnten Sie mir vielleicht sagen ...“

      „Nein!“ fiel ihr die Dame mit dem Schleier ins Wort und bedachte sie mit einem giftigen Blick. „Wir können Ihnen nichts sagen.“

      Damit stieg sie, von ihrem Mann gefolgt, aus. Melinda stand völlig verwirrt auf dem Bahnsteig. Das Geschrei der Menschen war ohrenbetäubend.

      „Träger? Träger? Träger, Miss?“

      „Nein, nein danke“, sagte Melinda und ließ sich von den Menschen zum Ausgang treiben. Sie gab ihre Fahrkarte ab und blieb nach ein paar Schritten stehen. Die Reisenden eilten zu den Pferdedroschken. Jeder schien sein festes Ziel zu haben, bloß Melinda nicht. Aber sie konnte ja jemand fragen. Vielleicht einen Bahnangestellten.

      „Sie machen einen etwas verlorenen Eindruck“, sagte in dem Moment eine sehr damenhafte Stimme neben ihr. „Kann ich Ihnen helfen?“

      Melinda sah zur Seite. Eine geschmackvoll, aber unauffällig gekleidete Dame lächelte sie an. Sie war ungefähr fünfzig.

      „Ich kenne mich in London nicht aus“, sagte Melinda, „und habe mir eben überlegt, daß ich jemand fragen sollte, wo ich übernachten kann.“

      „Haben Sie keine Verwandten oder Freunde?“ fragte die Dame.

      „Nein“, sagte Melinda. „Ich bin nach London gekommen, weil ich hier eine Anstellung suchen will. Der Zug hatte Verspätung, deshalb kann ich heute nichts mehr unternehmen.“

      „Allerdings nicht“, sagte die Dame. „Sie suchen also eine Unterkunft?“

      Melinda nickte.

      „Für eine oder zwei Nächte. Eben bis ich eine Anstellung gefunden habe. Wissen Sie vielleicht, wo ich übernachten könnte?“

      „Ich werde Ihnen helfen“, sagte die Dame freundlich. „Es muß ja scheußlich sein, wenn man wildfremd ist und sich nicht auskennt. Vor dem Bahnhof steht meine Kutsche. Kommen Sie, ich bringe Sie zu einer Unterkunft.“

      „Das ist sehr lieb von Ihnen“, sagte Melinda dankbar. „Aber ich möchte Ihnen keine Mühe machen. Sie wollen doch sicher jemand abholen.“

      „Das erzähle ich Ihnen unterwegs“, sagte die Dame. „Haben Sie kein Gepäck?“

      „Nur die Tasche“, sagte Melinda.

      „Dann kommen Sie, meine Liebe.“

      Der Kutscher trug eine tadellos saubere Uniform. Das Pferd war gepflegt und gestriegelt, was Melinda sofort auffiel. Die Dame ließ Melinda den Vorrang, dann stieg auch sie ein.

      „Aber Sie wollten doch sicher jemand abholen“, sagte Melinda noch einmal.

      Die Dame stieß einen Seufzer aus.

      „Ich fahre oft zum Bahnhof“, sagte sie. „Meine Tochter - sie ist ungefähr so alt wie Sie - sollte ankommen, und ich wollte sie abholen, aber sie kam wieder nicht. Ich habe seit damals nie wieder etwas von ihr gehört.“

      „Wie schrecklich!“ rief Melinda.

      „Ich habe nie erfahren, was geschehen ist“, fuhr die Dame traurig fort. „Deshalb fahre ich immer wieder zum Bahnhof. Ich hoffe immer noch, daß sie doch eines Tages kommt und ich sie dann mit nach Hause nehmen kann.“

      „Das tut mir sehr leid“, sagte Melinda.

      „Manchmal kann ich jungen Mädchen wie Ihnen helfen und dann bin ich glücklich. Verstehen Sie das?“

      „Natürlich verstehe ich das“, sagte Melinda. „Vielen, vielen Dank. Ich wollte jedoch, ich wäre Ihre Tochter.“

      „Wie lieb von Ihnen“, sagte die Dame. „Aber jetzt genug von meinem Kummer. Erzählen Sie mir ein bißchen. Leben Ihre Eltern auf dem Land?“

      „Ich habe keine Eltern mehr“, sagte Melinda. „Mein Vater und meine Mutter sind bei einem Unfall mit der Kutsche ums Leben gekommen.“

      „Sind Sie deshalb nach London gekommen?“

      Melinda zögerte mit der Antwort. Vielleicht war es doch zu gefährlich, Sir Hector zu erwähnen.

      „Ja, das ist der Grund“, sagte sie deshalb. „Ich habe kein Geld und muß arbeiten. Vielleicht wissen Sie die Adresse von Mrs. Brewers Agentur?“

      „Darum können wir uns morgen kümmern. Wie alt sind Sie?“

      „Ich bin achtzehn“, antwortete Melinda. „Ich bin bestimmt in der Lage, Kinder zu erziehen. Außer den üblichen Sachen kann ich malen, Klavierspielen und reiten.“

      „Dann finden Sie bestimmt eine Stellung“, sagte die Dame. „Aber jetzt sollten wir uns gegenseitig vorstellen, finden Sie nicht auch?“

      „Natürlich“, sagte Melinda und lächelte. „Ich bin Melinda Stanyon.“

      „Was für ein hübscher Name!“ rief die Dame. „Und ich bin Mrs. Ella Harcourt. Ist es nicht schön, daß wir uns zufällig getroffen haben?“

      „Doch, wirklich“, sagte Melinda.

      Sie fuhren die ganze Zeit durch hellerleuchtete Straßen. Melinda hätte gern aus dem Fenster gesehen, wollte aber nicht unhöflich sein und schnappte nur ab und zu ein Bild aus dem Augenwinkel auf.

      Mrs. Harcourt stellte viele Fragen, und Melinda war plötzlich sehr müde. Es war ein langer Tag gewesen, und die Nacht davor hatte sie ja keine Sekunde geschlafen. Melinda beantwortete die Fragen fast automatisch. Die Kutsche hielt plötzlich an.

      „Wir sind da“, sagte Mrs. Harcourt. „Sie sehen müde aus. Ich bringe Sie gleich nach oben, morgen besprechen wir dann alles.“

      „Ja“, sagte Melinda. „Und vielen Dank, daß Sie so nett zu mir sind. Verzeihen Sie, daß ich plötzlich so stumpf bin, aber ich kann kaum mehr die Augen offen halten.“

      „Armes Kind“, sagte Mrs. Harcourt. „Kommen Sie.“

      Sie stieg aus, Melinda folgte ihr. Sie befanden sich in einer ruhigen Straße mit eleganten Häusern. Sie gingen Stufen hinauf und eine Tür öffnete sich. Ein Mann in Livree geleitete einen Herrn aus dem Haus. Er hatte einen Abendanzug an. Eine gelbe


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