Wie Pferde heilen. Alexandra Rieger
für das Verhalten der Pferde zu erkennen. Nichts. Rein gar nichts, was ich erkennen konnte.
Am fünften Tag blieb ich mit den Pferden vor Ort, um zu erfassen, was die Ursache für das Nicht-bleiben-Wollen der Pferde sein konnte. Ich spürte, als ich mich inmitten der Pferde befand, eine innere Unruhe in mir aufsteigen. Ich konnte diese innere Unruhe fast greifen, so präsent war sie. Ich konnte nur nicht verstehen, wodurch meine plötzliche Unruhe ausgelöst wurde. Ich blieb also bei den Pferden stehen, die nun begannen, einige Grashalme mal hier, mal dort abzureißen – aber doch fühlbar eine innere Unruhe in sich trugen. Plötzlich galoppierten die Pferde wieder los. Es war diese innere Unruhe, die sich aufbaute, bis sie unerträglich wurde und die Pferde veranlasste, davonzugaloppieren. So ging ich langsam und mit voller Aufmerksamkeit das Gelände ab. Ich beobachtete vor allem meinen eigenen Gemütszustand. Wie und was fühlte ich? Ganz plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Je näher ich zu der Aussichtsstation des Jägers kam, desto mehr zog sich alles in mir zusammen. Diese Unruhe, die sich zu einer unerklärlichen Angst aufbaute, schnürte mir die Kehle zu und mich überkam ein Grauen. Nun hatte ich die Erklärung. Es war die Energie des Ortes. Die Informationen, die dieser Ort abstrahlte, konnte ich nun deutlich spüren. Je mehr Aufmerksamkeit ich dem Ort widmete, desto mehr konnte ich die Energie in meinem Körper wahrnehmen, so wie es die Pferde tun. Pferde nehmen mit ihrem ganzen Sein und mit ihrem Körper wahr. Diese Wahrnehmung im vollen Bewusstsein ist viel effektiver als das Erkennen mit dem Verstand, der vergleichsweise sehr in seinem Fassungsvermögen limitiert ist. Diese Energie eines Ortes beispielsweise kann der Verstand nicht wahrnehmen, diese können wir nur erfühlen.
Pferde erfühlen die Information eines Ortes.
Die Information des Ortes enthielt: Jagd, gejagt werden, töten, getötet werden, Flucht, flüchten. Also Informationen, die für ein Pferd beunruhigend sind und es veranlassen zu flüchten. Pferde können die Informationen eines Ortes erfühlen. Das können wir Menschen auch, wenn wir uns wie die Pferde ins SEIN begeben und über die Intelligenz unseres Verstandes auch die Intelligenz unseres Körpers und die der Seele aktivieren.
Der moderne Mensch aktiviert vorrangig die Intelligenz seines Verstandes; die des Körpers und der Seele verkümmern im Alltag zwischen Computerarbeit und modernen Medien zunehmend.
Pferde bieten für viele Menschen eine Brücke zurück zur Natur und damit zurück zu den eigenen Wurzeln und der Möglichkeit, immer mehr im Sein anzukommen.
Gern möchte ich euch teilhaben lassen, wie es mir gelungen ist, den Ort zu „neutralisieren“, sodass die Pferde nun in Ruhe und Gelassenheit grasen können. Nachdem ich mir des Problems bewusst geworden war, habe ich mich so zentral wie möglich auf dem Gelände aufgestellt. Ich habe mit der Wurzelatmung eine starke Verbindung mit diesem Teil der Koppel hergestellt und durch mein bewusstes Einatmen hohe Energien aus der Atmosphäre aufgenommen mit der Bitte, Gott möge diesen Ort segnen. Das machte ich einige Tage in der geschilderten Weise. Mit jedem Mal wurde die Energie des Ortes spürbar neutraler, bis hin zu einer wohltuenden Energie. Nachdem ich diesen Ort neutralisiert hatte, war das angstvolle Verhalten der Pferde nicht mehr aufgetreten.
Pferde lehren uns Geduld, Akzeptanz und Ernsthaftigkeit – Eigenschaften, die wir auch im täglichen Miteinander brauchen.
Meine Lehrer, meine Heiler
Jedes Pferd ist einzigartig und besitzt ganz spezielle Charakterzüge, die uns helfen, in uns etwas zu erkennen. Vielleicht erkennst du dich in der einen oder anderen Schilderung. Ich will dich ermuntern, eventuell unbequeme Charakterzüge deines Pferdes unter dem Gesichtspunkt des Lernens zu betrachten, statt zu versuchen, das Pferd verändern zu wollen. Dies kann dir ganz neue Wege und Einsichten bescheren und dein Pferd kann sich in seiner wahren Wesenheit offenbaren und über sich selbst hinauswachsen.
Mein erster wirklich großer Lehrer war und ist Racky, ein Wallach hannoveranischer Abstammung. Racky ist ein sehr dominantes und energetisch präsentes Pferd. Mit ihm habe ich viele Tiefschläge, Rückschläge, Krisen und teilweise auch gefährliche Situationen erlebt. Gefährlich deshalb, weil ich in den ersten Jahren noch sehr unbewusst und unbedarft an das Reiten und die Pferdewelt im Allgemeinen herangegangen bin. Diese Unbewusstheit und Unbedarftheit kann ich bei vielen Menschen beobachten. Unbewusstheit auf der Basis eines starken Egos kann im Umgang mit Pferden gefährlich sein. Eine Mischung, die sich im Umgang mit Pferden nicht verträgt.
Pferde können die Verantwortung für Menschen übernehmen.
Unbewusstheit auf der Basis der Unschuld beziehungsweise Demut ist dagegen kein großes Problem. Als Beispiel können wir hier die Beziehung von geistig behinderten Menschen zu Pferden anführen. Diese Menschen sind meist sehr unbewusst, doch ohne Ego und dessen Allüren. In diesen Fällen können wir etwas Herzerweichendes beobachten: Pferde übernehmen in solchen Fällen meist die Verantwortung für diese Menschen.
Nun zurück zu meinem Racky: Ich war in den ersten Jahren meines Zusammenseins mit Racky sehr unbewusst und hatte diese Egoallüren. Aufgrund dieser energetischen Voraussetzung war ich für mein Pferd in den Anfängen kein ernst zu nehmender Partner. Allenfalls ein Wesen, das ständig etwas wollte und dabei Anforderungen stellte, die jeglicher Achtung und Höflichkeit ihm gegenüber entbehrten. Mein Pferd hatte unendliche Geduld mit mir. Tatsächlich ist dies seine große Spezialität: Er lehrt die Geduld. Bevor ich jedoch in dem Fach Geduld unterrichtet werden konnte, musste er mir erst Akzeptanz beibringen.
Ins Reine kommen
Als ich – durch meine Tochter – den Wiedereinstieg in die Pferdewelt fand, dachte ich zunächst, ich müsste dort anknüpfen, wo ich damals aufgehört hatte: Dressurreiten. Dies tat ich auch und kaufte mir ein nach meinen Vorstellungen passendes Pferd – Racky. In Wahrheit war es Racky, mein Pferd, das sich mich ausgesucht hatte. Dessen war ich mir natürlich nicht bewusst.
Die ersten Monate unseres Zusammenseins waren für mich so, wie ich es von früher kannte: Ich kam in den Stall, putzte mein Pferd, sattelte es und ritt meine Übungen. Ein- bis zweimal die Woche erhielt ich englischen Reitunterricht.
Ich war einigermaßen zufrieden. Tief in mir fühlte ich: Da war noch etwas, da musste es noch etwas geben. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich nichts anderes und konnte mir auch nicht vorstellen, dass ich – außer reiten – mit meinem Pferd noch etwas anderes machen konnte. So verliefen die ersten Monate meines wiedergefundenen Reiterlebens ruhig, bis ein Vorfall meine ganze bisherige Welt über den Haufen werfen sollte. Mein Pferd machte Probleme und ich kam mit ihm nicht mehr zurecht. In meinen Augen war es mein Pferd, das nicht mehr funktionierte. In Wirklichkeit war jedoch ich, besser gesagt mein Ego, das Problem.
Wir sollten zurück zu den Wurzeln und alles loslassen.
Zum damaligen Zeitpunkt suchte ich die Lösung für das Problem in verschiedenen Ansätzen: neue Ausrüstungen, neue Vorgehensweisen, neue Techniken. Alles führte – wenn überhaupt – nur zu kurzzeitigen Verbesserungen, bis es dann wieder schlimmer wurde und ich irgendwann gar nicht mehr mit meinem Pferd zurechtkam. Am Höhepunkt dieser Negativentwicklung konnte ich Racky nicht mehr führen. Ich hatte Angst, zu ihm in die Box zu gehen. Ich konnte ihn nur noch aus einer sicheren Entfernung beobachten. Zum Beispiel wenn er auf der Koppel graste, stellte ich mich an den Zaun. Ich brauchte immer die Sicherheit, jederzeit fliehen zu können. In dieser Phase spielte ich kurzzeitig mit dem Gedanken, mein Pferd zu verkaufen und der Pferdewelt endgültig den Rücken zu kehren. Doch die Liebe zu diesem Pferd war – zu meinem Glück – so groß, dass dieser Schritt keine wirkliche Option für mich war. Ich musste Wege finden, um mit meinem Pferd wieder „ins Reine“ zu kommen. Dies bedeutete in