Emma erbt. Armand Amapolas

Emma erbt - Armand Amapolas


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war. »Es ist doch schön, auf langen Flügen wie diesem Gesellschaft zu haben, finden Sie nicht? Ich hatte gleich gehofft, als ich Sie kommen sah: Bestimmt setzt sich die junge Frau zu uns! Man kann es ja leider auch übel treffen, gerade in diesen Billigfliegern. Das letzte Mal saß ein Betrunkener zwischen uns. Im Ernst, der hatte sich wohl schon in der Wartehalle volllaufen lassen, am frühen Morgen, oder er war von einer Party zum Flieger gekommen, wer weiß. Ich weiß es jedenfalls nicht, denn er sprach nicht ein einziges Wort. Können Sie sich das vorstellen: kein einziges Wort! Dafür ist er eingeschlafen und hat geschnarcht. Er stank. Sie schnarchen sicher nicht und stinken tun Sie auch nicht. Wir kommen übrigens aus Oberhausen, mein Mann Heinz und ich, und das ist jetzt mindestens unser zwanzigster Flug nach Teneriffa, wir zählen ja schon längst nicht mehr…«

      So hatte sie begonnen, die wunderbare Dauerkonversation zwischen ihr und den Poloniaks. Die übrigens Emmas freundliches Angebot ausgeschlagen hatten, sich nebeneinander zu setzen. »Nein, nein, Heinz und ich setzen uns, wenn wir können, immer ans Fenster und an den Gang. Wir liegen ja schon im Bett nebeneinander.« Frau Poloniak kicherte. Oft bleibe der Mittelsitz frei. Aber noch schöner sei es, wenn jemand Platz nehme, der so nett sei wie Emma.

      Nach einer Stunde etwa, Frankreich lag unter ihnen, hörte sich Emma zu ihrer eigenen Verblüffung von Haltern erzählen und dass sie Journalistin sei. Die Poloniaks fanden das spannend. Wobei Heinz meist nur freundlich lächelte und brummte, während seine Frau ihrer Freude, »eine echte Journalistin« kennenzulernen, »wie die Sabine Christiansen oder die Anne Will, die mag ich ja am liebsten!« lauthals Ausdruck verschaffte: »Sie müssen uns unbedingt erklären, weshalb in der Welt immer genau so viel passiert, wie in die Zeitung passt! Nein, im Ernst, wie muss man sich das vorstellen, wie Sie an Ihre Geschichten kommen?«

      Emma hatte es gern erzählt – und dabei sogar ein bisschen, sie schämte sich dafür, geprahlt. Hatte erzählt, wie gut ihre große »Hüsch für Haltern«-Serie angekommen war: Sie hatte Menschen gesucht und beschrieben, die persönliche Erinnerungen mit dem kurz zuvor verstorbenen Bänkelsänger verbanden; so war ein liebevolles, facettenreiches Porträt auch der Stadt entstanden – hatten alle gesagt, und vor allem, das war das Wichtigste: Paul. Emma musste zugeben, auf die Idee zu der Serie hatte Paul Bärkamp sie gebracht. Hüsch: das wäre nicht ihr Ding gewesen. Zu elternhaft. Aber siehe da: in Haltern schien den Barden jeder zu kennen – oder zumindest zu verehren. Und schon war ihre Serie im Gespräch, und alle Türen öffneten sich.

      Emma hatte den Poloniaks auch erzählt, dass der Münsterland-Verlag die Lokalausgabe Haltern am See eingestellt hatte, praktisch ohne Vorankündigung, vor sieben Wochen, und dass sie jetzt arbeitslos war. Poloniaks zeigten sehr viel Mitgefühl.

      »Wo wohnen Sie denn auf Teneriffa?« Und so hatte Emma auch von ihrer Oma Ilse berichtet, davon, dass sie als Kind oft mit Oma und Opa auf »der Insel« gewesen war, aber jetzt schon seit rund zwanzig Jahren nicht mehr, und dass ihre Haupterinnerung war, wie laut die Brandung rauschte. Direkt unterhalb des Apartmenthauses klatschte der Atlantik nämlich unermüdlich vor das poröse Lavagestein, aus dem offenbar die ganze Insel bestand. Daran konnte sie sich gut erinnern. Wenn sie die Augen schloss, glaubte sie die Brandung zu hören.

      »Wo steht denn das Haus? Sicher im Norden. Im Süden ist der Atlantik ja weniger rau.«

      »In Puerto de la Cruz, direkt am Meer.«

      »Ach, nee – und wie heißt es? Wir wohnen dieses Mal nämlich auch in einem Apartmenthaus – sonst waren wir ja immer in Hotels, aber diesmal haben wir über Bekannte ein Apartment gemietet. Es soll einen tollen Meerblick haben. Und Heinz bekommt dieses Hotelessen nicht mehr. Sein Magen ist so empfindlich geworden. Im Apartment können wir selber was kochen – oder essen gehen, wo‘s lecker ist. Und wo man einkaufen kann, das wissen wir ja.«

      »La Palma. Das Apartmenthaus heißt La Palma. Wie die andere Insel.«

      Johanna Poloniak zeigte eine für sie ganz ungewöhnliche Reaktion. Sie schwieg. Und starrte Emma mit großen Augen an. Ein paar Sekunden lang, dann: »Nee, das glaub ich jetzt nicht! Heinz, hast du das gehört? Fräulein Schneider wohnt in demselben Apartmenthaus wie wir! Ist das nicht unglaublich? Glauben Sie an Zufälle?« wandte sie sich Emma zu: »Ich nicht.«

       2. Kapitel

      Der Kapitän forderte zum Anschnallen auf. Das Flugzeug hatte die Insel in großem Bogen umflogen, war durch die Wolkendecke gestoßen und hielt jetzt auf Teneriffas Südflughafen zu. Heinz Poloniak beobachtete konzentriert das Wellengeschehen unter ihnen und hielt Emma und seine Frau über jede Entdeckung auf dem Laufenden. So gesprächig wie jetzt war er während des ganzen Fluges nicht gewesen.

      »Da unten ist ein Segelschiff.«

      »Noch eins.«

      »Jetzt sieht man schon Häuser. Da ist ein neuer Golfplatz.«

      Touché. Kaum griffen die Bremsen, brandete Applaus durch die Maschine. Auch Heinz und Johanna klatschten kräftig mit. Emma nicht. Sie fand das Geklatsche peinlich – und fragte sich im gleichen Augenblick: warum eigentlich?

      »Das war sanft«, meinte Johanna: »Hätte ich den Jersey-Leuten gar nicht zugetraut. Ich dachte schon, die würden nur Hilfskräfte aus Osteuropa beschäftigen.« Dabei warf sie einen äußerst kritischen Blick nach vorne, wo die Flugbegleiterinnen saßen – die man von Reihe 34 aus gar nicht sehen konnte. Und die sich vor allem dadurch ausgezeichnet hatten, unterwegs mehrfach die tollen Sandwiches anzupreisen, die man an Bord erstehen konnte, neben Armbanduhren, Parfums und Lotterielosen. Auf die Sandwiches waren die Poloniaks zum Glück nicht angewiesen. Sie hatten belegte Brote und De Beukelaer-Kekse mitgebracht – und sie großzügig mit Emma geteilt.

      »Wie kommen Sie denn zum La Palma?« wollte Heinz von Emma wissen, als sie zu dritt am Gepäckband standen und auf ihre Koffer warteten.

      »Mit dem Auto. Ein Nachbar, ein Freund meiner Großmutter, hat angeboten, mich abzuholen. Und Sie?«

      »Och, wir nehmen den Bus. Titsa. So heißt die Verkehrsgesellschaft hier. Die ist bestens organisiert. Die Direkt-Busse sind superschnell, halten zwischendurch nur am Nordflughafen. Wir haben sogar vom letzten Mal noch Bonos.«

      Emma hatte keine Ahnung, was damit gemeint war. Ihr lag schon eine Bemerkung über Bonobos auf der Zunge und deren zügelloses Sexualleben, aber damit hätte sie die netten Poloniaks vielleicht erschreckt.

      Heinz deutete Emmas fragendes Stirnzrunzeln als Neugier. »So heißen die Mehrfachtickets hier. Sind viel günstiger als Einzelfahrkarten. Die sollten Sie sich auch zulegen – wenn Ihr freundlicher Nachbar mal keine Lust mehr haben sollte, den Chauffeur zu spielen. Mit den Inselbussen kommen Sie überall hin.«

      Die Poloniaks hatten sich längst überschwänglich und bedauernd verabschiedet, als endlich auch Emmas Rucksackkoffer auftauchte – als eines der allerletzten Gepäckstücke. Typisch, dachte sie: sogar die Laufbänder haben sich gegen mich verschworen.

      Es hätte sie nicht gewundert, wäre sie jetzt zu allem Überfluss noch aufgefordert worden, ihr Gepäck zu öffnen, für eine Zollinspektion. Aber: nichts dergleichen geschah. Emma fand es so unwirklich wie wundervoll, dass sie keinerlei Kontrollen passieren musste. Kein Zöllner blickte streng. Das war bei ihrem letzten Besuch auf Teneriffa noch ganz anders gewesen, erinnerte sie sich. Auch diesen hellen, modernen Flughafen hatte es damals noch nicht gegeben. Mit Teneriffa verband sie bis jetzt den Anblick von Uniformträgern und strengen Bauten, die nach Diktatur muffelten. Damals lag wohl der Tod Francos noch nicht sehr lange zurück. Außerdem musste man D-Mark gegen Peseten tauschen. Den Wechselkurs hatte sie als kompliziert in Erinnerung. Jedenfalls war er viel verwirrender als das 1:7, wenn man nach Österreich fuhr. Selbst mit italienischen Lire war‘s leichter gewesen. Jetzt gab es weder Lire noch Peseten noch die D-Mark mehr. Teneriffa war Europa. Sie war hier Inländerin. Der Gedanke ließ sie lächeln.

      Fast hätte sie den agilen Mann übersehen, der von links auf sie zuschoss und jetzt »Frau Schneider? Emma?« rief.

      Hans-Peter Seidenschuh war Oma Ilses Nachbar gewesen. Und ein guter Freund. Und ihr Stellvertreter im Vorstand der


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