Mein Herz ist wie das Meer. Daniela Schenk

Mein Herz ist wie das Meer - Daniela Schenk


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hatte sich in die Rede hineingesteigert, ihre Wangen leuchteten mit ihrer roten Lederjacke um die Wette. Sie sah zum Anbeißen süß aus, aber ich würde mich hüten, ihr das zu sagen.

      Amelie blickte düster aus dem Fenster. »Der Herr gebe mir Frieden – ha! Man könnte tausend Mal darum bitten und dieser tattrige Greis würde einem nicht ein Quäntchen Frieden schenken.«

      Nachdem sie ihre Jacke angezogen und ihre Tasche geschultert hatte, beugte sie sich zu mir – und küsste mich auf die Wange! Sie hob die Hand zum Gruß und rauschte davon. Ihre Wangen hatten sich wieder gerötet.

      In meinem Magen blubberte es. Warum hatte sie mich geküsst? Warum heute? Und was plagte sie? Eine Laus schien ihr über die Leber gekrabbelt zu sein – oder vielmehr eine ganze Läusearmee.

      Am nächsten Tag schenkte sie mir am Schluss der Fahrt ein Lächeln und gab mir wieder einen Kuss auf die Wange. »Du musst eine Woche ohne mich auskommen«, sagte sie. Mit diesen Worten drehte sie sich um und fort war sie.

      Eine Woche ohne Amelie – eine seltsame Vorstellung. Sie war das, worauf ich mich morgens freute; sie war das, was ich ungern ziehen ließ – und sie war das, woran ich beim Zubettgehen dachte. Ob sie Urlaub hatte? Ob sie verreiste? Und wohin? Mit wem? Die letzte Frage provozierte einen dummen Stich ins Herz. Und mein Tag war verdorben.

      Es sollte sich zeigen, dass die ganze Woche verdorben war. Zugfahren ohne Amelie war öde, eine ganze Woche auf sie zu verzichten eine Zumutung, aber ich hütete mich, meine Reaktion auf Amelies Fernbleiben innerlich zu kommentieren. Ich hatte ein erfülltes Leben, zumindest ein ausgefülltes – wir waren Zuggefährtinnen, damit hatte es sich. In dieser Woche las ich einen Krimi, am Ende der Woche hatte ich ihn ausgelesen, aber wer der Mörder war und wen er ermordet hatte? Keine Ahnung.

      Nach einem nicht enden wollenden Wochenende saß ich am Montag erwartungsvoll im Zug. Bei Amelies Station drückte ich mir die Nase am Fenster platt, und da war sie – Amelie! Sie strahlte mich an, und ich strahlte zurück, unsere Sonne ging auf und flutete durch den Wagen. Ich sagte: »Welcome back!«

      Und sie entgegnete: »Yeah, babe.«

      »Schön, dass du wieder da bist«, sagte ich. »Ich hoffe, du hattest eine gute Zeit.«

      »Nun, das hängt davon ab, woran man Güte misst«, antwortete sie kryptisch.

      »Das ist glücklicherweise jeder freigestellt.«

      »Genau, wir sind die Herrscherinnen unseres Kosmos’«, grinste Amelie. »Ist hier etwas Spannendes passiert?«

      »Die Strickerin hat einen Schal in Angriff genommen.«

      »Gut. Und du?«

      »Ich arbeite noch an der Sockenferse.«

      Lachend stellte Amelie ihre Tasche auf den Sitz neben sich und sagte: »Zsa Zsa, du bist mir eine.«

      »Ich heiße nicht –«

      »– Zsa Zsa, ich weiß. Du heißt Zazou. Für mich bleibst du aber Zsa Zsa. Ich kann dich mit Zazou ansprechen, aber innerlich nenne ich dich Zsa Zsa, das kannst du mir nicht verbieten.«

      »Hauptsache, du sprichst mich mit Zazou an.«

      »Ist das ein asiatischer Name?«

      »Nicht dass ich wüsste. Warum?« Ich wusste natürlich, warum sie das fragte.

      »Ach egal, Zsa Zsa.« Amelie schlug die Hände vor den Mund und sah mich gespielt erschrocken an. »Ups, sorry!«, rief sie.

      »Erstens hast du’s absichtlich gesagt, und zweitens tut es dir nicht leid!«, fauchte ich.

      Amelie machte ein zerknirschtes Gesicht.

      »Du würdest eine passable Schauspielerin abgeben, falls du nicht eine bist.«

      Als Antwort bekam ich einen Schubs und dann einen zweiten. Worauf ich mich mit einem Schlag revanchierte und Amelie aufschrie, als hätte ich ihr mehrere Knochen gebrochen.

      »Wer austeilt, muss auch einstecken können, und zwar ohne dabei so erbärmlich zu schreien.«

      »Ich habe dir zärtlich über den Arm gestreichelt. Du hingegen hast gnadenlos zugeschlagen.«

      »Wenn das zärtlich über den Arm gestreichelt war, bin ich froh, dass ich keine Beziehung mit dir habe – nach zwei Wochen würde ich ins Frauenhaus flüchten.«

      Wir erreichten die Eisenbahnbrücke, die Häuserreihe mit dem Box- und Fitnessclub zog an uns vorbei, die Fahne des Lokalradios, die aus dem Fenster hing, flatterte träge im Wind. Amelie schaute selbstvergessen hinaus, bis das Münster sichtbar wurde und dahinter die Berge, die in der Morgensonne leuchteten. Sie begann zu strahlen. »Diese treuen Kerle und Damen, so wunderschön.« Sie schulterte die Tasche, dann hob sie zögernd den Arm und strich mir mit der Hand über die Wange. »Ich kann auch so«, sagte sie verlegen lächelnd und fort war sie.

      Ihre Berührung blieb wie ein samtener Abdruck auf meiner Haut, und nun flatterte mein Herz ebenfalls im Wind.

      Der April brachte hier und da die Ahnung des Frühlings, um sie dann wieder schadenfreudig mit Schneeregen kaputtzumachen. Seit drei Monaten fuhren Amelie und ich miteinander, und mit jeder gemeinsamen Fahrt wurde ich neugieriger auf sie. Eines Morgens dann nahm ich meinen Mut zusammen und sagte so beiläufig wie möglich: »Du könntest mir deine Nummer geben – man weiß ja nie.«

      Ich musste nicht aufschauen, um ihren Blick zu spüren, der halb stechend, halb prüfend und halb wütend war. Ich weiß, das ist eine Hälfte zu viel, aber so war es – eineinhalb Mal intensiver als sonst. Als ich diesem Blick begegnete, wurde mir siedend heiß – es war nur zu deutlich: Ich hatte eine unsichtbare Grenze überschritten.

      Sie sagte: »Geht nicht.«

      Nochmals den Mut zusammenreißen. »Und warum nicht?«

      »Es war unsere Abmachung.«

      »Es war deine Bedingung.«

      »Der du zugestimmt hast.«

      »Ich habe nichts dazu gesagt.«

      »Das nennt man schweigende Zustimmung.«

      »Es war ja bloß eine Frage.«

      »Du hast gegen die Regel verstoßen.«

      »Amelie, übertreibst du nicht ein bisschen?«

      In ihren Augen flackerte Feuer auf – kein gemütliches Kaminfeuer, sondern ein Buschfeuer, das sich explosionsartig ausbreitete.

      »Schon gut, ich habe verstanden.« Ich hatte überhaupt nicht verstanden.

      »Dann ist gut.« Und Amelie begann übergangslos von etwas anderem zu reden. Ich ließ mich darauf ein, einmal mehr verwundert, warum ihr das Wahren ihrer Privatsphäre so wichtig war.

      Beim Abschied gab Amelie mir nah beim Ohr einen Kuss und sagte: »Bis Montag.«

      »Nein, leider nicht bis Montag«, erwiderte ich. »Ich fahre drei Wochen in Urlaub.«

      Amelie schaute mich überrascht an, und mir schien, als würde sie zusammenzucken. Sie sagte: »Ach, so«, dann umarmte sie mich ein paar Wagenradumdrehungen lang. Sie murmelte: »Pass auf dich auf«, und wandte sich ab.

      Ich ergriff ihre Hand.

      Irritiert drehte Amelie sich um.

      Ich sagte: »Wenn ich zurück bin, möchte ich dich besser kennenlernen. Ich finde, es ist an der Zeit. Meinst du nicht auch?«

      Das zu sagen hatte ich nicht geplant, es sprudelte einfach aus mir heraus – ich wunderte mich über meinen Mut oder meine Unbedachtheit. Erschrocken zog Montmartre ihre Hand zurück. »Ich … Was? Muss jetzt gehen.« Ich sah noch ihren Rücken, dann war sie verschwunden.

      Der Urlaub: Alles war so, wie es sein musste: der Himmel himmelblau, der Strand weiß, das Meer erfrischend,


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