Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation. Группа авторов

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Analyse eines einzelnen Textexemplars zu verallgemeinerbaren Ergebnissen kommen wollen? Meine Überlegung dazu: Ein Einzeltext kann dann als selbständige Erscheinung Gegenstand der Diskursstilistik sein, wenn er genügend zentral, d.h. von exemplarischer Bedeutsamkeit ist. Also dann, wenn er allein schon eine gesellschafts- und wissenskonstituierende Funktion erfüllt (vgl. Warnke 2003).3 Es geht um Texte, die in sich selbst bereits eine so ausgeprägte intertextuelle ,Ladung‘ aufweisen, dass es in solchen Fällen gerechtfertigt scheint, das Erkenntnisinteresse von der Menge der Texte auf den Einzeltext und auf seine Geschichte zu verlagern, z.B. auf Zeitgebundenheit, Urheberschaft, Entstehung, Verbreitung, Intention, Rezeption und Form. Während man bei der Untersuchung von Textmengen, besonders bei Korpusuntersuchungen, in die Breite geht (vgl. Brommer 2018), sendet man bei der Betrachtung eines Einzeltextes eine Sonde in die Tiefe. Wie kommt man zu exemplarischen Texten? Zwei Möglichkeiten sind denkbar.

      Die erste ist das Aufgreifen eines Schlüsseltextes als repräsentativer exemplarischer Text. Verdichtet ist in einem solchen alles (ansatzweise) schon da, was die Leistung von Textmengen ist. Er trägt in sich selbst einen umfassenden „kommunikativen Zusammenhang“, wie ihn sonst eine Menge „singuläre[r] Texte auf der Diskursebene“ (Warnke 2002: 136f.) herstellt. Man kennt aufgrund des eigenen Weltwissens, der eigenen Lektüre-Erfahrung exemplarische Texte von unumstrittenem Gewicht. Zu denken ist hier z.B. an Verfassungstexte, an programmatische philosophische und politische Texte sowie an wissenschaftliche und publizistische Texte, die in der gesellschaftlichen Diskussion einen besonderen Stellenwert haben und im allgemeinen vortheoretischen Verständnis Schlüsseltexte genannt werden. Das heißt also, man findet einen a priori als exemplarisch zu verstehenden Text, der in einem gesellschaftlichen, politischen, historischen, kulturellen Zusammenhang von Bedeutung ist.

      Die zweite Möglichkeit, einen exemplarischen Text zu finden, ist das Deklarieren eines beliebigen Textes zum exemplarischen Fall, zum Repräsentanztext. Man sucht also nicht nach einem vorher schon von der Diskursgemeinschaft als besonders bedeutsam aufgefassten Text, sondern greift nach eigener Entscheidung einen Text heraus. Man ,macht‘, man ,definiert‘ seinen exemplarischen Text selbst, indem man ein Textexemplar auswählt und als exemplarisch betrachtet − als Zeugnis dessen, was in einer Textwelt vorliegt und möglich ist. Man erfährt auf diesem Wege zwar nicht wie bei den als Schlüsseltexten vorgefundenen Äußerungen, was zur vermeintlichen Leitkultur der Gesellschaft gehört, aber man erkundet einen gesellschaftlich möglichen Fall. Der Repräsentanztext, z.B. eine politische Rede oder ein Zeitungskommentar, lässt Aufschlüsse darüber zu, wie Einzelne oder wie Kollektive Wirklichkeiten sprachlich-diskursiv bewältigen. Im vorliegenden Text sind es drei nach bestimmten Kriterien (s. u.) ausgewählte wissenschaftliche Aufsätze. Bei der Betrachtung dieser Texte wird sich zeigen, dass auch sie für ihre jeweilige Kultur von Bedeutung sind, wenngleich sie nicht das Gewicht eines Schlüsseltextes haben. Auch bei der Analyse solcher Texte erkundet man, indem man alle Textzusammenhänge erschließt, die Zeitgebundenheit, die aktuelle Einbettung dieser Texte und der mit ihnen in direkter Beziehung stehenden und legt damit diskurslinguistisch Relevantes offen.

      5 Kommunikationsbereich / Funktionalstil

      Stil und Text gelten mittlerweile über die eigenen Bereiche − Stilistik und Textlinguistik − hinaus als diskurslinguistisch relevante Phänomene (vgl. Spitzmüller 2013; Fix 2018). Wie aber kommt man mit einer linguistischen Analyse der sprachlich-stilistischen Bewältigung gesellschaftlicher Wirklichkeit auf die Spur? Wie vollzieht man also eine dem Anliegen gerecht werdende Text-Stil-Analyse? Mit der Betrachtung von Kommunikationsbereichen bzw. Funktionalstilen hatte man schon frühzeitig (Riesel/Schendels 1975; Fleischer/Michel 1975), wenn auch nur ansatzweise und unscharf, die ‚Welten‘ (Adamzik 2016) bzw. den „kommunikativen Zusammenhang singulärer Texte auf der Textebene“ (Warnke 2002: 136) im Blick. Das hat Analyseinstrumentarien hervorgebracht, die bis heute nutzbar sind. Trotz aller Einschränkungen − zu grobe und noch unvollständige Einteilung, zu wenig differenzierte Kriterien1 − bieten sie doch einen geeigneten Ansatz, so dass ich mich auf Erkenntnisse der Funktionalstilistik beziehen kann. Für sie gilt als grundlegend, dass es einen korrelativen Zusammenhang gibt zwischen Außersprachlichem (Kommunikationssituationen, Tätigkeitsbereiche, gesellschaftlich relevante Funktionen) und sprachlichen Gebrauchsweisen (typische Verwendungsweisen sprachlicher Mittel). Praktikabel ist die funktionalstilistische Einteilung der sprachlichen Wirklichkeit nach der Art der außersprachlichen Korrelationen in fünf Funktionalstile: Stil der öffentlichen Rede, Stil der Wissenschaft, Stil der Presse und Publizistik, Stil der Alltagsrede und Stil der schönen Literatur. Diese sind in Substile aufgefächert − so der Funktionalstil der Wissenschaft in Stil der Wissenschaft im engeren Sinne, Stil der populärwissenschaftlichen Darstellung und Stil der Wissensvermittlung im Unterricht. Die Funktionalstile selbst sind durch determinierende Stilzüge und Stilelemente gekennzeichnet. Mit Stilzug ist gemeint, dass Stilelemente aller Sprachebenen zusammen wirken, um dem Text einen für die Funktion des jeweiligen Kommunikationsbereichs typischen Charakter zu verleihen. Mit Stilelement werden die sprachlichen Mittel jeglicher Ebenen erfasst, die einem stilistischen Wollen, d.h. einem Stilzug folgen. Als Stilzüge der Wissenschaft werden angesetzt: abstrakt, objektiv, sachlich, differenziert, folgerichtig, klar, genau, dicht, unpersönlich. Ob und inwiefern diese Kategorien bei den folgenden Textanalysen hilfreich sein können, wird sich zeigen. Wir haben es mit drei wissenschaftlichen Aufsätzen, also mit dem Funktionalstil der Wissenschaft, zu tun. Hier dominieren Erkenntnisvermittlung und Erkenntnisfindung.2 Es werden nun Stilzüge des Funktionalstils der Wissenschaften mit typischen Stilelementen kurz vorgestellt.3

       Abstraktheit (Darstellung gedanklichen Gehalts ohne sinnliche Anschauung und Darstellung von Verallgemeinertem unter Absehung von Einzelfällen):abstrakte Substantive, deren Wesen es ist, nichtgegenständliche Erscheinungen zu bezeichnen, wie z. B. Erkenntnis, Problem, Fragestellung; Termini, da sie verallgemeinern und von unwesentlichen Merkmalen absehen, z.B. Texttyp, kognitionslinguistisch, Abstraktum. Für den Stilzug der Abstraktheit kann auch das gänzliche Fehlen von Elementen wie etwa differenzierender Attribute und anschaulicher Wörter von Bedeutung sein.

       Objektivität (Darstellung ohne Stellungnahme des Textproduzenten):alle Mittel unpersönlicher Ausdrucksweise wie Funktionsverbgefüge (s.o.); Sätze mit einem sachlichen Subjekt (und einem persönlichen Dativobjekt): Das Argument ist nicht stichhaltig. Das Argument leuchtet der Verfasserin nicht ein; Vermeidung der ersten Person: Verfasser meint, dass …; Gebrauch des Indefinitpronomens man: Man muss sich nun folgende Frage stellen …; Modale Infinitive: zu untersuchen sein, zu berücksichtigen haben; Passivkonstruktionen: das Problem wird in Angriff genommen

       Sachlichkeit (Darstellung ohne Wertung):überwiegend Verzicht auf Mittel der Emotionalität und Expressivität, mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Aussage relativiert werden soll; Verwendung von Mitteln, die dem Ausdruck von subjektiven Einstellungen dienen, dann aber in knapper und neutraler Form: nach meiner Auffassung, nach Meinung des Verfassers, meines Erachtens / m. E., soweit ich sehen kann …

       Differenzierung (nach Bestimmtheitsgrad der Aussage) (s.o.):Mittel, die der Graduierung dienen, z.B. es ist anzunehmen, vermutlich, in der Regel, kann man mit Einschränkung sagen, es ist nicht sicher, eventuell

       Folgerichtigkeit (Mittel zum Ausdruck von Kausalität und Finalität):z.B. Konjunktionen wie weil, deshalb, um zu; Adverbien wie dann, darauf; Tempusstruktur des Textes; Wendungen wie aus diesem Grunde, nicht zuletzt deshalb, weil; Mittel der Gliederung des Textes: z.B. Kapitel- und Abschnittseinteilung, Nummerierung; auch lexikalische Mittel wie einerseits – andererseits im mikrostrukturellen Bereich – oder die Formulierung von Überschriften im makrostrukturellen Bereich, die der Verdeutlichung halber oft parallel gebaut sind

       Klarheit (Nachvollziehbarkeit):z.B. Termini, da sie eindeutig sind (s.o.); Gliederung, da sie eine Übersicht vermittelt; Mittel der Folgerichtigkeit (s.o.), da sie eine Gedankenentwicklung zeigen

       Genauigkeit (keine Interpretationsmöglichkeiten):z.B. Termini (s.o.); Fachwörter; Arbeit mit authentischen Texten, wie z.B. Zitate und Belege (die immer nachgewiesen sein müssen)

       Dichte


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