Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation. Группа авторов

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der Jugendlichen an: pausenlos online sein. Dass Haushaltsgegenstände auch selbstständig online gehen können, ist jedoch neu. Dieser Kontrast bildet einen Rezeptionsanreiz im ersten Absatz. Er wird infolge durch Reflexion auf weitere Beispiele aufrechterhalten. Wie in einem alltäglichen journalistischen Text wird das Interesse des Rezipienten geweckt: pausenlos online sein, selbstständig ins Netz gehen, die Beobachtung, dass Leute scheinbar Selbstgespräche führen, versetzt den Leser in die digitale Welt. Bildhafte Ausdrücke, z.B. wie wild in der Luft herumfuchteln, sind stark alltagssprachlich geprägt. Sie leiten über zum Thema virtueller Kaufhäuser. Nach diesen amüsant anmutenden Beispielen wird der Text ernst und fasst die bisherigen Informationen zusammen: Diese Leute sind keine Tagträumer, sondern im Internet der Zukunft unterwegs. Einen ‚wissenschaftlichen‘ Rahmen erhält der Text dann durch Experten schätzen und den Fachbegriff 3-D-Welten sowie die Problematisierung der Darstellung von Waren durch spezielle Brillen, die virtuelle Realität ermöglichen. Die Funktionsweise der Brillen und des Computerhandschuhs werden kurz, aber klar verständlich erklärt. Typographisch interessant ist, dass im gesamten Text das Ausrufezeichen (kursiv) als Stilelement genutzt wird. Einerseits wird dadurch das Erstaunen über das technisch Mögliche verkörpert (quasi als Ausruf!) und zugleich der Stolz dargestellt, was technisch bereits möglich ist! Das vorgestellte Beispiel kann als sehr typisch für die Einleitung eines Textes angesehen werden, der sich an jugendliche Adressaten richtet und Innovation im Computerbereich beschreibt.

      Das Textbeispiel (G) ist dem Newsticker des Portals www.heise.de entnommen. Es stellt den Nutzen der Virtuellen Realität vor.

       (G) […]Der Angstschweiß ist echt. Eigentlich steht Moritz Kuhn gerade sicher in einem Keller in Immenstadt im Allgäu. Doch wenn der 20-Jährige nach vorn schaut, blickt er in den Abgrund eines Hochhauses in 160 Meter Höhe – denn er trägt eine VR-Brille. Moritz hat spürbare Angst, nach unten zu fallen – dabei sieht er nur eine Simulation.Rund 30 Prozent der Besucher trauen sich nicht, einen Schritt zur Seite in den Abgrund zu machen, sagt Christian Bendlin. Seit März betreibt der IT-Berater in Immenstadt einen Virtual-Reality-Erlebnisraum. Moritz springt am Ende doch. „Ich war richtig zittrig in den Beinen“, sagt er.[…]Auch in der Neurologie wird zu dem Thema geforscht. Schlaganfall-Patienten kann die Technik helfen. Werden Bewegungen virtuell gezeigt, steuert das Gehirn auch in echt die Muskelpartien an. „Da ist nachgewiesen, dass dadurch die Regionen, die geschädigt sind, wieder aufgebaut werden können“, sagt Mathias Müller. Er ist Geschäftsführer einer Firma, die virtuelle Realitätssysteme entwickelt, und kooperiert mit dem psychologischen Institut der Uni Würzburg. Dort arbeitet Lehrstuhlleiter Paul Pauli an einer Zulassung für den Einsatz von Virtual Reality am Patienten. Denn in den Arztpraxen sei die Technik noch nicht angekommen, sagt Pauli.[…]Oft werde vor der Gefahr gewarnt, dass der Unterschied zwischen virtueller Welt und Alltagswelt verschwimme und sich Spieler in der virtuellen Realität verlieren könnten, meint der Wissenschaftler [Tobias Holischka von der Uni Eichstätt-Ingolstadt; im vorangehenden Absatz eingeführt]. Das hält er aber für überzogen: „Wenn der Magen knurrt oder die Blase drückt, ist sehr schnell klar, in welcher Welt wir zuhause sind.“(www.heise.de/newsticker/meldung/Virtuelle-Realitaet-in-der-Forschung-auf-dem-Vormarsch-3813685.html [letzter Zugriff: 31.01.2019])

      Auch hier lässt sich das bereits beschriebene Muster der episodenhaften Einleitung eines popularisierenden Textes verfolgen. Nach einem auffälligen Bild (zeigt einen Nutzer mit rotem Sweater und blauer VR-Brille), das als Leseanreiz dient, beginnt der Text unter der Überschrift Virtuelle Realität in der Forschung auf dem Vormarsch mit einer durch Fettdruck hervorgehobenen Zusammenfassung (zwei Sätze), die gleichzeitig als Texteinleitung dient. An dieser Stelle können die Leser bereits entscheiden, ob sie weiterlesen möchten oder nicht, denn der (hier ausschnitthaft zitierte) Textkörper beginnt erst unter dem Bild. Damit ein weiterer Leseanreiz geschaffen wird, folgt unter dem Bild eine für VR-Brillennutzer leicht nachvollziehbare Episode. In kurzen Sätzen wird das Szenario (Erfahrung der Angst vor einem tiefen Abgrund durch einen VR-Brillenträger) beschrieben. Die Authentizität der Schilderung wird durch die direkte Rede der Akteure unterstrichen.

      Nach der Episodenschilderung wird das Textthema vorgestellt: Es geht um den Virtual-Reality-Erlebnisraum in Immenstadt. Dann folgen kurze Textabsätze, die den Durchbruch der VR-Brillen in verschiedenen Anwendungsfeldern skizzieren; teilweise gibt es Hyperlink-Querverweise zur weiteren Lektüre. Überschriften mit Leseanreiz, wie z.B. Nische vor dem Durchbruch?; Werkzeug für die Medizin; Helfen dank VR lenken die Leser zu speziellen Themen. Der Abschnitt Helfen dank VR weist auf den Nutzen von VR in der Neurologie hin. Typisch sind wieder kurze Sätze, direkte und indirekte Rede aus (vermeintlichen) Zitaten der Kommunikationsakteure, die auf Ort, Zeit und Geschehen hindeuten. Jeder Absatz weist in sich eine thematische Abgeschlossenheit auf, zeigt aber auch sprachliche Signale der Einbettung in einen Gesamtkontext (Auch in der Neurologie …: Denn in den Arztpraxen sei … noch nicht angekommen). Diese Art der Berichterstattung ist typisch für allgemeinverständlichen, episodenhaft berichtenden Online-Journalismus: viel Information auf wenig Raum andeuten und über Querverlinkung mit mehr Informationen versehen. Die Onlinetexte regen durch ihre relative Kürze und die Querverweise dazu an, sich weitere Texte zu erschließen bzw. detaillierte Informationen gezielt zu suchen.

      Der Text schließt mit der Frage nach der Fähigkeit zur klaren Unterscheidung zwischen realer und virtueller Welt. Die potentiell bestehende Angst wird zunächst durch wiedergegebene Rede im Konjunktiv thematisiert. Das dann aufgeführte Beispiel des knurrenden Magens versucht den Rezipienten die vielleicht durch die Textlektüre aufkeimende Angst vor der Macht der virtuellen Realität zu nehmen und führt sie zurück auf den Boden der Tatsachen.

      Betrachten wir abschließend die Reaktion von Rezipienten auf den Blogtext. Es wurden fünf Kommentare veröffentlicht. Drei setzen sich besonders mit dem letzten Abschnitt, also der Verwischung von realer und virtueller Welt durch Kinder auseinander. Während ein Kommentar auf eine wissenschaftliche Studie dazu verweist und zu dem Schluss kommt: Bei Kindern ist das nicht so einfach. Sehr sehr heißes Eisen, wird in einer Antwort darauf erklärt, dass VR-Brillen offiziell nicht für Kinder geeignet sind, ohne dass eine entsprechende Quelle genannt würde.

       (H) Deshalb ist VR sowieso nichts für Kinder – immerhin auch bereits offiziell. Die aktuellen Brillen (also VIVE und Rift) sind ab 12. Das „Phänomän“ ist kein neues und auch weithin bekannt. Kinder bis ca. 10 haben das Problem, Realität und Fiktion korrekt zu trennen. Weshalb Gruselfilme und brutale Actionkracher auch nichts für die Kleinen sind. Man könnte sagen: Alles wie erwartet. Kinder haben in der VR nix verloren. Die brauchen eben ein paar Jahre, um in der realen Welt anzukommen. (www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Virtuelle-Realitaet-in-der-Forschung-auf-dem-Vormarsch/Re-Naja/posting-30941620/show/ [Letzter Zugriff: 31.01.2019])

      Somit erfüllt sich das Ziel des Blogtextes, zu informieren und gleichermaßen zu einer kritischen Reflexion anzuregen. Der Kommentartext zeichnet sich durch den Charakter eines sonst mündlich geäußerten Statements aus. Das bestätigt indirekt den Übergang von Schriftsprache zu einer schriftlich fixierten mündlichen Äußerung, die in dieser Form nur digital möglich ist.

      Vergleicht man gedruckte Texte zur Popularisierung von Wissenschaft (z.B. in Wissenschaftsmagazinen) mit online publizierten Texten, so wird – wie exemplarisch gezeigt – sehr schnell ein Stilwechsel in Richtung Mündlichkeit, Kürze und Anschaulichkeit deutlich. Der Zeitdruck der Redakteure und Blogger, Informationen im Netz dar- oder vorzustellen, scheint zudem dazu zu führen, dass Texte auch einen gewissen Flüchtigkeitscharakter erhalten. Was heute aktuell ist, kann über einen Kommentar bereits morgen nicht mehr relevant sein und von weiteren Entwicklungen zu VR und AR bereits überholt sein. Diese schnelllebige Berichterstattung wird uns auch in den kommenden Jahren weiter begleiten und ist auch Ausdruck von Veränderungen in der popularisierenden Darstellung von Fachinhalten, die teilweise einen oberflächlichen Charakter tragen und dadurch unter


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