Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation. Группа авторов

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festgelegt und verbindlich gemacht.

      „Aus der vorläufigen, unsicheren und persönlich gefärbten, nicht additiven Zeitschriftwissenschaft, die mühsam ausgearbeitete, lose Avisos eines Denkwiderstandes zur Darstellung bringt, wird in der intrakollektiven Gedankenwanderung zunächst die Handbuchwissenschaft.“ (Fleck 1980: 157f.)

      „Die entstandenen Begriffe werden tonangebend und verpflichten jeden Fachmann: aus dem vorläufigen Widerstandsaviso wird ein Denkzwang, der bestimmt, was nicht anders gedacht werden kann, was vernachlässigt oder nicht wahrgenommen wird.“ (ebd.: 163)

      In populären Darstellungen dagegen geht es um „[v]ereinfachte, anschauliche und apodiktische Wissenschaft“ (ebd.: 149), um die zweifelsfrei erscheinende, an den exoterischen Kreis gerichtete Darstellung von Wissen. Charakteristisch sei, dass hier nicht strittige Meinungen gegeneinander gehalten werden, sondern dass „eine künstliche Vereinfachung“ (ebd.) erreicht werden muss, die nicht der Einführung in die Wissenschaft entspricht. „Gewöhnlich [besorgt nämlich] nicht ein populäres Buch, sondern ein Lehrbuch die Einführung“ (ebd.). Folgende Merkmale gibt Fleck außerdem für die an exoterische Kreise gerichtete Darstellung an: „künstlerisch angenehme, lebendige, anschauliche Ausführung“ und „apodiktische Wertung, das einfache Gutheißen oder Ablehnen gewisser Standpunkte“ (ebd.).

      Was Fleck hier entwickelt, deckt sich auf verblüffende Weise mit dem, was wir heute zu Sprachgebräuchen in den Wissenschaften feststellen. Als Beispiel sei das wohl unreflektiert befolgte Stilprinzip der Geistes- und Sozialwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für wissenschaftliche Texte genannt (vgl. dazu Fix 2014). Es lautete: weg von der ‚schönen‘, anschaulichen, metaphorischen, eleganten, auch subjektiven Sprache wissenschaftlicher Darstellungen, hin zu rationaler, eindeutiger, sachbezogener, expliziter, konsistenter, ökonomischer, entpersönlichter Sprache. In Anlehnung an Kretzenbacher (1994) spricht Drescher (2003: 56) in dem Zusammenhang vom ‚Ich-Tabu‘, ‚Erzähl-Tabu‘ und ‚Metaphern-Tabu‘. Die Sprache und damit der Autor sollen ganz hinter den Gegenstand zurücktreten. Damit wird Wissenschaft aufgefasst

      „als ein vom historischen, sozialen und kulturellen Umfeld sowie vom Subjekt und seinem Erleben entbundener Raum. Dies lässt sich auch auf ihre [die der Wissenschaft, U. F.] sprachlichen Ausdrucksformen übertragen, denn aus dem geltenden Wissenschaftsverständnis, das Objektivität als höchstes forschungsleitendes Prinzip ansetzt, ergibt sich unmittelbar die Forderung nach einer […] rationalen und sachbezogenen Sprache.“ (Drescher 2003: 55)

      Vereinfacht könnte man diese Eigenschaften als Stilmerkmale des auch gegenwärtig noch vorherrschenden Gruppenstils der Geistes- und Sozialwissenschaften in Deutschland betrachten.1 Bezieht man Textsorten ein, d.h. spezifiziert man seinen Blick, wird die Sache komplizierter, aber − mit Fleck − auch wieder einfacher; denn die von Drescher beschriebene Situation trifft tatsächlich auf Zeitschriftenbeiträge2 völlig zu, nicht aber auf Handbuchliteratur. Untersuchte man erstere nach ihrem Stil, fände man in vielen Fällen eine Situation vor, die sich nach wie vor mit Flecks Beschreibung deckt.3 Es zeigt sich, dass es sich lohnen würde, diese Auffassung in Beziehung zu setzen zu dem kulturell und sozial bestimmten Wissenschafts- und Denkstil-Begriff von Fleck. Woran sich ein eher objektiver oder subjektiver Stil, ein esoterischer oder exoterischer sprachlich festmachen lässt, kann die Sprachwissenschaft zeigen. Was haben Textlinguistik und Stilistik zur Wissenschaftssprache, speziell zur Textsorte ‚wissenschaftlicher Aufsatz‘ zu sagen?

      3 Textsorte ‚wissenschaftlicher Aufsatz‘

      Ebenso wie Fleck betrachtet die Textsortenlinguistik Texte als soziokulturelle Phänomene, als Instrumente der Bewältigung lebensweltlicher Probleme. Es ist aus beider Sicht gleichsam lebensnotwendig, dass Kultur- und Kommunikationsgemeinschaften mit ihren Textsorten über Handlungsmuster verfügen, mit deren Hilfe sie auf die Wirklichkeit zugreifen, sie gestalten und bewältigen können. So gibt es Textsorten, die der Lösung lebenspraktischer Probleme dienen, und es gibt solche, die für die emotive Bewältigung von Lebenssituationen (Trauer, Freude) geeignet sind, sowie andere, die die reflexiv-rationale Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, also die Wissenschaft, ermöglichen. Bedingung für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und den Austausch darüber ist, dass es kollektiv vereinbarte Textmuster mit ihren Gestaltungs- und Verbreitungsformen gibt, wie z.B. den wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatz, die Thesen zu einer wissenschaftlichen Arbeit, das Abstract, die Monographie, die Disputation – Textsorten, die eben der reflexiv-rationalen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit dienen. Im Anschluss an Berger/Luckmann (1966) hat Adamzik mit der Einführung der Kategorie der ‚Welt‘ im Sinne von „Bezugswelt als Referenzsystem“ (Adamzik 2016: 116) eine grundsätzliche Klärung für den Umgang mit Texten herbeigeführt, indem sie die verschiedenen Welten, in denen Texte gebraucht werden und „in der die Interaktanten sie situieren“ (ebd.: 114), benennt und erörtert. Es sind die ‚Standardwelt‘, ‚Welt des Spiels/der Fantasie‘, ‚Welt der Sinnfindung‘, ‚Welt des Übernatürlichen‘, ‚Welt der Wissenschaft‘. Wir haben es in unserem Fall mit der Welt der Wissenschaft zu tun. Textsorten existieren zunächst unhinterfragt, als lebensweltliche Selbstverständlichkeit mit ihrer typischen Form, mit ihrem vereinbarten Weltbezug und mit ihrer Funktion – immer gebunden an eine Gemeinschaft, sodass sich ihre Spezifik auch immer nur aus der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft mit ihrer bestimmten Kultur erschließen lässt. Selten werden sie einmal reflektiert: Die Fachsprachenforschung wie die Wissenschaftstheorie und -geschichte und ansatzweise die Textlinguistik und -stilistik aber tun das.1 Durch die analytische Erfassung der Textsorten und ihrer Stile wird deutlich, über welche Möglichkeiten der praktischen wie reflexiven kommunikativen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit wir verfügen. Hier knüpfe ich wieder an Fleck an. Seine Beschreibung des Denkstils, z.B. in der Zeitschriftwissenschaft als „Gepräge des Vorläufigen“ und „Vorsichtigen“ (Fleck 1980: 156), lässt sich auf Textsortenstile und deren Traditionen übertragen.

      Aus welchem Grunde konzentriere ich mich auf die Textsorte ‚wissenschaftlicher Aufsatz‘? Die Antwort liegt zum einen in Flecks Charakterisierung dieser Textsorte, die zeigt, dass das Schreiben von Aufsätzen den Kern wissenschaftlichen Arbeitens ausmacht (s.o.). Zum anderen finde ich in der induktiven korpuslinguistischen Analyse Brommers (2018), die jüngere wissenschaftliche Texte hinsichtlich ihrer sprachlichen Musterhaftigkeit untersucht und dabei dem wissenschaftlichen Aufsatz den zentralen Platz einräumt,2 eine aktuelle linguistische Bestätigung der zentralen Rolle des wissenschaftlichen Aufsatzes, wie sie Fleck darstellt. Es heißt bei ihr:

      „Ziel [des wissenschaftlichen Aufsatzes] ist das Verbreiten von neuem Wissen und das Überzeugen der Wissenschaftsgemeinde. Dies unterscheidet den wissenschaftlichen Aufsatz bspw. von der bewertenden Rezension, von dem vorhandenes Wissen ordnenden und zusammenfassenden Handbuchartikel, aber auch von allen didaktisierenden Textsorten wie dem Lehr‐ oder Einführungsbuch, bei denen die Vermittlung des vorhandenen Wissens im Vordergrund steht.“ (Brommer 2018: 72)

      „[…] mit Blick auf die verschiedenen Realisierungsformen der wissenschaftlichen Kommunikation [lässt sich] festhalten, dass vor allem dem wissenschaftlichen (Zeitschriften‐)Aufsatz ein hoher Stellenwert im Wissenschaftsdiskurs zukommt, der sich auch in dem ihm entgegengebrachten Interesse zeigt. Denn im Allgemeinen wird neues Wissen zuerst in einer Zeitschrift publiziert, von Sammelbänden und Lehrbüchern wird dies nicht gleichermaßen erwartet (vgl. Graefen 1997: 100) – auch wenn sich die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen in diesem Punkt (nach wie vor) unterscheiden“ (ebd.: 34).

      „Hinsichtlich der Kommunikationsteilnehmer ist der wissenschaftliche Aufsatz der Experten‐Kommunikation zuzurechnen. Er dient der Information und dem Austausch unter Fachkollegen oder mit Kollegen verwandter Wissenschaftsgebiete. ‚Wissenschaftlicher Aufsatz‘ meint also genauer ‚akademisch‐wissenschaftlicher Aufsatz‘.“ (ebd.: 73)

      4 Diskurslinguistisches Vorgehen: EIN-Text-Diskursanalyse1

      Mein Vorgehen, drei einzelne Aufsätze als Repräsentanten dreier Denkstile zu betrachten, wirft natürlich Fragen auf. Vor allem die, ob man einen Einzeltext zum Gegenstand von


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