Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation. Группа авторов

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in der „stilgemäßen Auflösung von Problemen“ (Fleck 1980: 131) bestimmt werden. Es geht ihm nicht um die Gestalt der Sprache, also den Sprachstil. Nicht die „Färbung der Begriffe“, so sagt er, und ihre Verknüpfung machen den Denkstil aus, sondern „ein bestimmter Denkzwang“ und „das Bereitsein für solches und nicht anderes Sehen und Handeln“ (ebd.: 85). Dieser Zwang evoziert und prägt die wissenschaftlichen Tatsachen. Fleck erwähnt in dem Kontext aber auch − wenngleich nicht systematisch − den Gebrauch der Sprache.1 So heißt es grundsätzlich: „Der Stil wird sich nach außen in einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamen Institutionen, ähnlicher Kleidung, Häusern, Werkzeugen usw. realisieren“ (Fleck 1983: 170). Im Einzelnen geht es ihm dann z.B. um den Aufbau der Sprache, der schon etwas über den Denkstil aussage (Fleck 1980: 58), um Wörter und ihre Schärfe bzw. Unschärfe (Fleck 1983: 95ff.), um den Gebrauch als ‚Schlagworte‘ (Fleck 1980: 59), um bildliches Sprechen2 und vor allem um die Verwendung der Sprache als ‚Wissenschafts-‘ oder ‚Populärsprache‘ (vgl. ebd.: Kap. 4.4). Hier knüpfe ich an: Fleck zeigt am Sprachgebrauch, besonders an dem der Wissenschaftssprache, den Einfluss, den sprachliche Zeichen auf das Denken und die Herausbildung von Denkkollektiven haben können. An dieser Stelle kommt nun die Kategorie ‚Denkkollektiv‘ als „soziale Einheit der Gemeinschaft der Wissenschaftler eines Faches“ (Schäfer/Schnelle 1980: XXV) ins Spiel. Den Denkstil, so heißt es, „charakterisieren gemeinsame Merkmale der Probleme, die ein Denkkollektiv interessieren, […] Urteile, die es als evident betrachtet, […] Methoden, die es als Erkenntnismittel anwendet“ (Fleck 1980: 130). Weiter: „Ihn begleitet eventuell ein technischer und literarischer Stil des Wissenssystems“ (ebd.). Diese Erkenntnis hat Fleck aus der Beobachtung seiner eigenen Forschungstätigkeit, vor allem bei der kollektiven Arbeit im Labor, gewonnen. So kommt er zu der Auffassung, dass jede wissenschaftliche Tatsache ein historisch und kulturell bedingtes Phänomen sei und nicht einfach vorliege, sondern sich aus unterschiedlichen Diskursen ergebe. Fazit: Denkstile sind zeittypisch und kulturell-sozial geprägt – als Denk- und Sprachformen, über die Kollektive in einer bestimmten Zeit verfügen. Zum wissenschaftlichen Denkstil gehören „eine gewisse formelle und inhaltliche Abgeschlossenheit, […] manchmal besondere Sprache, oder wenigstens besondere Worte“, die „formal, wenn auch nicht absolut bindend, die Denkgemeinde ab[schließen]“ (ebd.: 136).

      2.2 Zum Denkkollektiv

      Wissenschaftliches Denken ist also nach Fleck mehrfach bestimmt: erstens durch die soziale Gemeinschaft der Wissenschaftler eines Faches, zweitens durch die sich daraus ergebende kollektiv bestimmte Sicht auf die Probleme sowie deren Darstellung und drittens durch die Umstände der Zeit, in der das Kollektiv agiert. Nicht übersehen werden darf, dass ein Denkkollektiv für Fleck nicht eine „fixe Gruppe oder Gesellschaftsklasse“ ist, sondern ein „sozusagen mehr funktioneller als substantieller Begriff, dem Kraftfeldbegriff der Physik z.B. vergleichbar“ (Fleck 1980: 135). Ein Denkkollektiv kann von geringerem oder größerem Umfang sein und bereits dann entstehen, „wenn zwei oder mehrere Menschen Gedanken austauschen“ (ebd.). Dies sind dann „momentane, zufällige Denkkollektive, die jeden Augenblick entstehen und vergehen“ (ebd.). Daneben aber „gibt es stabile oder verhältnismäßig stabile: sie bilden sich besonders um organisierte soziale Gruppen“ (ebd.; Hervorhebung im Orig.). Hierzu gehören zweifellos die Kollektive von Wissenschaftlern. In Gruppen von Wissenschaftlern als (relativ) stabilen Denkkollektiven verfestigt sich ein Denkstil als „gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen“ (ebd.: 130). Stabile Denkkollektive bilden einen spezifischen Denkstil mit zum Teil spezifischen Wörtern und technischen Termini aus. „Stabilisiert sich ein Denkstil über Generationen hinweg, wird dieser innerhalb des Denkkollektivs durch Schulung, Erziehung und besondere Zeremonien der Aufnahme […] an die nachfolgenden Generationen weitergegeben“ (Möller 2007: 399; Hervorhebungen U. F.).1 Bei Fleck spielt das Horizontale, das Nebeneinander der Denkkollektive die bestimmende Rolle, während die vertikale Über- und Unterordnung von Denkkollektiven für ihn weniger präsent zu sein scheint. Sicher muss man aber auch diese hierarchische Ordnung einbeziehen, die mit Blick auf den Denkstil zu Stufen von Kollektivität führt. Je nachdem auf welcher Ebene man sich befindet, wird der Grad der kollektiven Zusammengehörigkeit und damit die Übereinstimmung im Denkstil und der Bestand der gemeinsamen Denkfiguren und Argumentationsmuster größer sein. Blickt man auf die hier vorgestellte Hierarchie der Geisteswissenschaften, so wird klar, dass sich die Denkkollektive auf unteren Ebenen (4, 5) bilden. Hier vollzieht sich Denkstilwandel. Daran wird anzuknüpfen sein.

      (1) Wissenschaft

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      (2) Geisteswissenschaften

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      (3) Sprachwissenschaft

      │

      (4) Sprachtheorie, Grammatik, Stilistik u.a.

      

      (5) Richtungen innerhalb der Teildisziplinen

      2.3 Zu den denksozialen Formen

      Auch innerhalb eines Denkkollektivs findet man Hierarchisierung: Fleck unterscheidet hier einen esoterischen (inneren) und einen exoterischen (äußeren) Kreis.

      „Dabei entspricht der esoterische Kreis der Elite eines Denkkollektivs. Dies sind die ‚Eingeweihten‘, die für das Fortentwickeln des Wissensbestandes durch Diskussion und Veröffentlichungen von Bedeutung sind. Entsprechend gehören relativ wenige Personen diesem Kreis an. Im Gegensatz dazu bildet die Mehrheit eines Denkkollektivs den exoterischen Kreis. Hierzu gehören die Laien und die MitläuferInnen. Sie haben ihre Bedeutung in der Annahme des vom esoterischen Kreis veröffentlichten Wissens und in dessen Bewertung.“ (Brühe/Theis 2008)

      Bei dieser Unterscheidung nach Kreisen von Denkkollektiven hat Fleck auch deren denksoziale Formen − in der linguistischen Terminologie die ‚Textsorten‘ − im Blick, die dem jeweiligen Publikum auf unterschiedliche Weise Wissen vermitteln. Die Textsorten wissenschaftlichen Denkstils, mit denen Fleck sich befasst hat, sind ‚Zeitschriftenartikel‘, ‚Handbuch‘ und ‚populäre Wissenschaft‘ (Fleck 1980: 148). Die ‚Zeitschriftwissenschaft‘ und die ‚Handbuchwissenschaft‘ bilden nach Fleck die denksozialen Formen des esoterischen Kreises. Ihre Inhalte sind für den Rest der Gesellschaft kaum verständlich. Erst durch die ‚populäre Wissenschaft‘ wird der exoterische Kreis der „allgemein gebildeten Dilettanten“ (ebd.) erreicht. Die Zeitschriftwissenschaft, sagt Fleck, trägt „das Gepräge des Vorläufigen und Persönlichen“ (ebd.: 156). Das heißt, der Autor befindet sich noch im Prozess der Erkenntnis. Für alles ist er allein verantwortlich. Nicht alles ist schon abgesichert. Vielmehr: Nichts wird je völlig abgesichert sein. Das äußert sich u.a. in der Vorsicht bei Formulierungen. „Fast immer“, so Fleck, will der Autor „seine Person verschwinden lassen“ (ebd.: 157), indem er sich unpersönlich ausdrückt. Zur Zeitschriftwissenschaft gehören die Texte, die in diesem Aufsatz betrachtet und von denen drei analysiert werden. Es zeigt sich u.a. in den Arbeiten von Brommer (2018) und Klammer (2017), dass diese Haltung auch heute noch gilt. Bei Fleck heißt es:

      „Die Zeitschriftwissenschaft trägt […] das Gepräge des Vorläufigen und Persönlichen […] Hierzu gehört […] die spezifische Vorsicht der Zeitschriftarbeiten; sie ist erkennbar an den charakteristischen Wendungen wie: ‚ich habe nachzuweisen versucht, daß …‘‚ ‚es scheint möglich zu sein, daß…‘, oder auch negativ: ,es konnte nicht nachgewiesen werden, daß …‘ […]

      Das zweite Merkmal, das Persönliche der Zeitschriftwissenschaft, steht in gewissem Zusammenhange mit dem ersten. Die Fragmentarität der Probleme, Zufälligkeit des Materials (z.B. Kasuistik in der Medizin), technische Einzelheiten, kurz die Ein- und Erstmaligkeit des Arbeitsstoffes verbinden ihn unzertrennlich mit dem Verfasser. Dessen ist sich jeder Forscher bewusst und fühlt zugleich das Persönliche seiner Arbeit als ihren Fehler“ (Fleck 1980: 156f.; Hervorhebungen im Orig.).

      Anders ist das in der Handbuchwissenschaft, die eine „kritische Zusammenfassung“


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