Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold

Malmedy - Das Recht des Siegers - Will Berthold


Скачать книгу
verdankt das hübsche, elternlose Mädchen unter anderem einem Lulatsch von einem Mann, Heinz, dem Panzerleutnant.

      Sie liebte ihn. Sie liebte ihn von Anfang an. Er konnte mit den Augen lachen, ohne das Gesicht zu verziehen. Er hatte eine Art, zuzuhören und ohne zu reden, Antwort zu geben. Er konnte ihre Hände halten, ohne daß sie zitterten. Er konnte stundenlang neben ihr sitzen und sie ansehen und kein Wort sagen. Er war Student, hatte Pläne, hatte eine Zukunft. Nur in seinen Briefen sprach er davon.

      Vera und Heinz schwiegen auch noch, als sie sich in den Armen lagen. 1944 war das. Und Heinz mußte am nächsten Morgen wieder zurück an die Front. Sie verbrachten die letzte Nacht gemeinsam. Sie saßen sich gegenüber, bis sie müde wurden. Auf einmal lagen sie nebeneinander auf Veras Bett. Auf dem Nachttisch tickte ein Wecker, der die Zeit, die ihnen blieb, in kleine Portionen zerhackte. Das Licht hatte Vera ausgelöscht. Der Mond schien so hell, daß jeden Augenblick die Alarmsirenen aufheulen mußten. Aber ein strategischer Zufall trug die Bomben in dieser Nacht in eine andere Stadt.

      Sie küßten sich wie nie zuvor. Sie klammerten sich aneinander. Sie hielten ihre Hände so fest, daß sie schmerzten. Aber sie merkten es nicht. Weder die zwanzigjährige Vera noch der lange Heinz.

      Und es wurde ihnen heiß. Es dröhnte in ihren Ohren. Es legte sich auf ihr Bewußtsein. Es kroch ihnen den Rücken hoch. Es ließ ihre Hände beben. Es ließ sie mit den Zähnen küssen. Und durch das Brausen hindurch, durch den Drang, durch den Sturm spürten sie, was sie sich bedeuteten.

      „Vera“, flüsterte Heinz keuchend.

      „Ich liebe dich“, erwiderte sie. „Ich habe noch nie geliebt. Du bist der erste … und du wirst auch der letzte sein.“

      Er lächelte. In seinen Augen standen Tränen. Er drehte den schmalen Kopf in das Kissen, damit sie es nicht sehen konnte. Aber Vera bemerkte es trotzdem und war glücklich darüber.

      Und ich gehöre ihm, dachte sie. Und es wurde ihr wohlig und warm. Das Glück war groß und ungebärdig. So schön ist das, dachte sie, und so sauber und so anständig und so selbstverständlich.

      „Nein“, stöhnte Heinz, „es darf nicht sein! Es soll nicht sein!“ Er verkrampfte die Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß wurden. Er biß sich auf die Lippen, daß die Spuren noch tagelang daran hafteten.

      „Wir heben uns das auf“, flüsterte Heinz. „Verstehst du, Vera? Diese Welt ist so dreckig. Wir zwei … wir beide … wir machen das anders … ganz altmodisch.“

      Sie streichelte sein Haar. Ihre Finger kannten sein Gesicht auswendig. Sie lächelte mit glänzenden Augen. Ein Radio spielte halblaut, er spuckte süße Melodien und bittere Meldungen in den Raum. Die übliche Mischung aus Schnulze und Heldentod.

      Mein Gott, wie liebte sie ihn in diesem Augenblick. Nicht nur in diesem Moment. Aber die Zeit ließ sich nicht viel Zeit in dieser Nacht. Sie teilten ihr Glück in Minuten und Sekunden ein, in denen sie besprachen, wie es sich durch ihr ganzes, weiteres Leben ziehen sollte. Sie sagten sich Zärtlichkeiten und Gemeinplätze, und alles klang gut und schön und wahr und einmalig.

      Vera brachte Heinz an den Zug. Sie war nicht die einzige Begleiterin eines Soldaten, aber sicher die glücklichste und die traurigste. Es gibt nichts Häßlicheres, nichts Gemeineres, nichts Trostloseres während eines Krieges als die Bahnhöfe, als das Nebeneinander von Abschied und Begrüßung. Hier steht eine überglückliche Mutter und umarmt ihren einzigen Sohn, und daneben sieht eine Frau ihrem Mann nach, dessen Kopf am Fenster immer kleiner wird, ein dunkler Punkt zuletzt. Und den sie nie mehr sehen wird, nie mehr, nie mehr …

      „Komm bald wieder“, sagt Vera.

      „Gewiß“, erwiderte er, „der Krieg ist ja bald aus.“ Ein Kloß würgte in seinem Hals.

      „Wie lange dauert er noch?“ fragte sie.

      „Nicht mehr lange.“

      Der Stationsvorsteher pfiff gedankenlos. Beide zuckten zusammen. Und die Lokomotive heulte zurück. Es klang wie das Wimmern eines Hundes, dem man versehentlich auf den Schwanz tritt.

      Dann zerriß die Panzermine den Leutnant.

      Der „Panther“ legte sich auf die Seite und begrub vier Mann, darunter Heinz, den Kommandanten.

      „Für Führer, Volk und Vaterland“, stand auf dem Waschzettel, den der Kreisleiter Vera in das Haus brachte, zusammen mit patriotischen Phrasen, unsteten Blicken und ungeduldigem Füßescharren.

      Vera hält das Bild von Heinz in der Hand. Er sieht sie mit seinen offenen Augen an, mit Augen, die jetzt gebrochen sind, die nie mehr den Glanz und das Elend dieser Welt sehen können …

      Was von der Liebe übrigblieb, vegetierte unter einer Fotografie in einer Wandvase, deren Blumen regelmäßig gewechselt werden.

      Vera steht auf, wischt sich mit der Hand über die Stirn, als ob sie dadurch die Erinnerung bannen könnte. Sie denkt verbissen: es ist gut, daß ich Sorgen habe. Es ist gut, daß ich um Werners Leben kämpfen muß. Wenigstens denke ich dann nicht an Heinz. Vielleicht kann man doch einmal vergessen.

      Vielleicht …

      Ach so, ich muß ja noch Tebster und Morris meine neue Adresse geben.

      Die Stimme des Leutnants Tebster klingt frisch und ausgeschlafen.

      „Hello!“ ruft er krähend in die Muschel. „How do you do?“

      Vera gibt dem CIC-Offizier ihre neue Anschrift. Sie ist jetzt Untermieterin in einer angeschlagenen Wohnung in der Innenstadt.

      „Ich bin arbeitslos“, fügt Vera hinzu.

      „Macht nichts“, erwidert Tebster. „… Ich beschaffe Ihnen einen neuen Job.“

      Damals rollte die Ardennenoffensive weiter. Die Panzer rasselten mit ihren Ketten auf dem steinhart gefrorenen Boden der Straße, ihre Umrisse wuchsen ins Riesenhafte. Die Sondermeldungen jagten sich im Rundfunk. Oft zwei und drei am Tage. Müde, abgehetzte Menschen blieben stehen und horchten ungläubig auf die triumphierende Stimme aus dem Äther. Immer wieder hatte Goebbels vom Tage der Vergeltung gesprochen und von Wunderwaffen gefaselt. War die Stunde gekommen? Sollten die Alliierten aus Belgien, aus Frankreich hinausgejagt werden? Zeichnete sich ein zweites Dünkirchen ab? Die Fortschritte Rundstedts schienen in diesen ersten Tagen so überraschend, so unglaublich, so riesig, daß viele wieder daran zu glauben begannen.

      Aber kaum waren die Fanfaren der letzten Sondermeldungen ausgeklungen, da kam die Wende … und die Offensive brach zusammen. Jetzt hatten die Kämpfe ihren Höhepunkt erreicht. Der Tod kassierte seine fetten Zinsen auf beiden Seiten. Die Panzer der deutschen Vorhut waren durchgebrochen. Das Gros Rundstedts schloß dicht zur Hauptkampflinie auf. Häuser, Sträucher, Bäume, Gräben, Hügel und Bäche wurden zur Front … und diese blutende, blitzende, donnernde, brennende Front verwandelte sich für Tausende junger Männer in zweierlei Uniformen zu Gräbern.

      Und inmitten dieser Hölle stand Werner Eckstadt, schrie, bangte, zitterte und lief um sein Leben.

      „Nicht schießen! Ich bin Deutscher. Nicht schießen! Wartet!“ Seine Stimme war heiser, seine Lungen schmerzten.

      Der vordere Panzer stoppte. Werner Eckstadt gefror das Blut in den Adern. Panzer schießen nur, wenn sie halten! Er stolperte schreiend vorwärts, den Panzern entgegen, die Augen vom Entsetzen geweitet, den Mund voll Dreck und Schnee …

      Das Turmluk des vorderen Tigers öffnete sich. Von dem auftauchenden Kopf sah Werner Eckstadt nur die FT-Haube. Ein Arm fuchtelte herum und winkte ihn heran.

      Werner Eckstadt taumelte auf den Panzer zu.

      „Ich bin Deutscher“, rief er noch einmal.

      Klausen sah ihm entgegen. Er lachte kalt.

      „Mann, Mann“, sagte er gemütlich von seinem Panzerturm herab, „Deutscher bist du? Das fällt euch auch bloß ein, wenn ihr Bauchweh habt. Bist wohl Deutsch-Ami, was?“

      „Nein, Obersturmführer“,


Скачать книгу