Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold

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mehr.

      Das nächste, was er wieder sah, war Leutnant Prince. Der Offizier lächelte.

      „Warum nicht gleich so, Eckstadt?“ fragte er.

      Werner Eckstadt erbrach sich.

      Der Leutnant hielt ihm ein Papier vor. Werner tanzten die Buchstaben vor den Augen.

      „Unterschreiben Sie Ihr Geständnis?“

      „Kein Geständnis“, murmelte Eckstadt.

      Der Leutnant lachte.

      „Sie haben eben dem Sergeanten alles zugegeben … Warum stellen Sie sich nur bei mir so an?“

      „Ich habe nichts zugegeben“, entgegnete Eckstadt mühsam.

      Da bekam er einen Schlag auf den Oberarm.

      „Willst du behaupten, daß ein Amerikaner lügt!“ schrie Cornedbeef.

      Und für Werner Eckstadt wurde es zum zweitenmal Nacht.

      Man zerrte ihn in die Zelle zurück. Cornedbeef hatte ihn sich halb über die Schulter gehängt. Er kniff ihn unterwegs dreimal so infam in die Nase, daß Werner Eckstadt die Tränen kamen.

      Wann immer Werner eine Minute Zeit zum Überlegen hatte, zwischen den Folterungen der Anklagevertretung, zwischen der Qual der eigenen Gedanken, überlegte er wieder und wieder: wie kommen sie dazu, sich wie ein Haufen wildgewordener Faschisten zu benehmen? Wie kommen sie dazu, Hitlers Methoden zu übernehmen? Er hatte sich nach der Demokratie, die er nicht kannte, gesehnt. Und die Enttäuschung, die er jetzt, buchstäblich am eigenen Leib, erfuhr, schien ihm noch größer zu sein als die körperliche Qual. Er dachte dabei nicht an Cornedbeef. Typen dieser Art gibt es in allen Ländern, in allen Uniformen … sadistische, erbärmliche, geborene Mörder, manchmal leider auch in einer Demokratie.

      Nein, diesen Schläger zog er nicht in seine Überlegungen ein. Was aber veranlaßte den zwar farblosen, aber sicherlich korrekten Leutnant Prince, solche Methoden nicht nur zu dulden, sondern noch anzuregen?

      Von Hauptscharführer Müller wußte Werner nichts. Vielleicht hätte das Wissen um dessen Tat den Kreislauf seiner verzweifelten Gedanken beendet. Er hätte das Benehmen seiner Peiniger wenigstens begreifen können. Verstehen schon, entschuldigen vielleicht, billigen natürlich nicht …

      Als Müller als einer der ersten Untersuchungsgefangenen in das Vernehmungszimmer geführt wurde, kannte Leutnant Prince genau sein Verbrechen. Ein Verbrechen ohne Beispiel. Damals, an der Straßenkreuzung bei Malmedy …

      Eben hat das Massaker begonnen. Dutzende von Amerikanern fliehen um ihr Leben. Aber die Mörder lachen nur. Einige GIs laufen auf den Wald zu, die meisten fallen, noch bevor sie ihn erreichen. Nur Leutnant Johnson, ein drahtiger, junger Offizer aus New York, kommt weiter. Aber hinter ihm ist Hauptscharführer Müller. Die Todesangst treibt den Leutnant vorwärts. Er wenigstens hat eine Chance, zu entkommen. Aber er stolpert über eine Baumwurzel und bleibt liegen.

      Da ist schon der Verfolger neben ihm. Johnson kommt langsam hoch, hebt die Hände in die Höhe. Sein aschfahles Gesicht zuckt, seine Augen bitten, seine Lippen bewegen sich wortlos. Abseits vom Gemetzel stehen sich zwei Menschen gegenüber. Und der Leutnant fällt auf die Knie, hebt die Hände. Die Todesangst gibt ihm Worte. Er betrachtet seinen Verfolger … ein Gesicht, zwei Augen, ein Mund, eine Nase, Hände, ein Herz … das alles hat der Hauptscharführer. Äußerlich gesehen ist er ein ganzer Mensch. Nichts wurde vergessen. Nichts, außer einer Spur von Gewissen.

      „Ich habe zwei Schwestern“, stammelte der Leutnant, „und eine alte Mutter … Sie lebt von mir. Wenn Sie mich erschießen …“

      „Pistole“, sagt Müller.

      Mit zittrigen Händen macht sie Johnson los und übergibt sie ihm.

      „Ich bin nicht freiwillig in den Krieg gezogen“, fährt der Amerikaner fort, „so wenig wie Sie.“ Seine Worte überschlagen sich. Er spricht Englisch. Müller versteht mehr seine Gebärden als seine Worte.

      „Brieftasche“, sagt er.

      „Ich bin Arzt … Ich werde es. Sobald der Krieg aus ist.

      Nur ein Examen fehlt noch.“

      „Armbanduhr“, sagt der Hauptscharführer.

      In der ersten Sekunde begreift es der Leutnant nicht. Dann reißt er sich die Uhr vom Arm, lächelt irre dabei, denkt, hofft: alles ist gut, der Mann will nur die Uhr, nicht das Leben. Hundert Uhren will ich ihm geben, ein Leben lang würde ich für Uhren arbeiten und sie ihm geben. Nur meine Mutter soll nicht weinen. Nur meine Schwestern sollen nicht allein sein.

      Der Oberscharführer grinst. Er fuchtelt mit der Pistole herum. Kaliber neun Millimeter, „Smith & Wesson“. Er schiebt den Entsicherungsflügel zurück und wieder vor. Er spielt damit wie ein Kind mit einem Feuerzeug.

      „Zigaretten“, sagt er dann.

      Hastig langt der Leutnant in die Tasche, gibt ihm ein Päckchen.

      Der Oberscharführer zündet sich eine Zigarette an, grinst immer noch, betrachtet die Uhr, durchstöbert die Brieftasche, nimmt ein paar Dollarscheine heraus, schiebt sie ein.

      Noch immer knallt es in naher Ferne. Noch immer flehen Menschen vergebens um das Leben. Noch immer werden sie von Panzern, deren Besatzungen zum Schießen zu faul sind, in die Mitte genommen und zu Brei zerrieben.

      „No“, schreit der Leutnant, „no!“

      Müller geht ganz nahe an ihn heran. Er zeigt dem Offizier die eigene Pistole, läßt wieder den Sicherungsflügel zurückklinken, hebt die Pistole an die Schläfe von Leutnant Johnson, grinst immer noch, läßt sich Zeit, zieht noch einmal an der Zigarette, blinzelt gegen die Sonne, freut sich über das Gestammel seines Gefangenen, lacht schallend … und drückt ab.

      Daneben, das erstemal. Daneben, das zweitemal. Absichtlich. Grinst immer noch.

      Dann erst macht er Schluß mit ihm.

      Die Sache hat ihm Spaß gemacht. Sein Gesicht weist das aus. Er lächelt noch immer. Deutlich können ein paar belgische Waldarbeiter seine verzogene Fratze sehen, die ganz in der Nähe standen, die Szene verfolgten und sich das Gesicht des Mörders einprägten. So wurde er überführt, ohne es zu wissen.

      Deshalb läßt Leutnant Prince den Militärpolizisten Cornedbeef mit dem Holzschlegel wahllos auf die Untersuchungsgefangenen eindreschen, bis, wie bei Werner, die Wunde aufbricht, bis der Arm abzufallen droht. Der Leutnant glaubt, daß er im Recht ist dabei. In einem barbarischen Recht.

      Dieser Mörder Müller behauptet, unschuldig zu sein.

      Das gleiche beteuert Werner Eckstadt.

      Das sagen alle Untersuchungsgefangenen.

      Hauptscharführer Müller wird gestehen. Die Wahrheit.

      Seine Mitgefangenen werden auch gestehen. Verbrechen, die sie nie begingen.

      So kommt Leutnant Prince ans Ziel: so glaubt er wenigstens, am Ziel zu sein. Denn, daß unter den Kriegsverbrechern Unschuldige sind, daß sogar die Mehrzahl von ihnen nichts mit dem Massaker zu tun hat, daran denkt er nicht.

      Er denkt nur an Leutnant Johnson …

      Während Werner in dem Vernehmungszimmer von Dachau dem wortlosen Oberst Evans das Unfaßbare berichtet, während dem Chefverteidiger dabei der Ekel langsam hochkriecht … Ekel vor den Untersuchungsmethoden seines eigenen Landes, fährt ein alter, klappriger Ford mit amerikanischer Nummer über die Autobahn München–Salzburg. Der lange, schlaksige Leutnant Tebster sitzt am Steuer, neben ihm Vera Eckstadt, hinter ihr Leutnant Morris.

      Der Himmel ist wolkenlos blau. Die Sonne streichelt die Erde. Ein Tag, wie er eigens für Ausflüge junger, übermütiger Menschen geschaffen scheint. Rechts liegen im Dunst des schönen Wetters die Berge. Und weiter rollt der Wagen. Die drei jungen Leute im Auto schweigen. Jeder denkt vor sich hin … ohne einen Blick für die Landschaft, für die friedlichen Berge, für den blauen Himmel.


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