Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold

Malmedy - Das Recht des Siegers - Will Berthold


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Das Ende des letzten deutschen Vorstoßes war ebenso rasant wie sein Beginn …

      Auf den Straßen verendeten, brennend, zur Seite gekippt, die Panzer, die SPWs, die Sturmgeschütze, die Spähwagen. Nun spritzten die Körper zerfetzter deutscher Soldaten auseinander wie vor Stunden noch die ihrer Feinde.

      Aber davon sahen Eckstadt und Wieblich zunächst nicht viel. Es entging ihnen auch etwas anderes. Sie wußten nicht, daß es immer noch wahnsinnige, anonyme Mörder gab, die, ihrem niedrigen, gemeinen Instinkt folgend, wahllos Menschen schlachteten … um wenigstens eine Erinnerung aus dem letzten deutschen Angriff mit nach Hause zu nehmen: die Erinnerung an die freigegebene Treibjagd auf Kriegsgefangene.

      In diesen Tagen erschoß ein Oberscharführer zehn amerikanische Kriegsgefangene, mit denen er sich vorher unterhalten hatte …

      In diesen Tagen knallten aufgesessene Infanteristen von Panzerfahrzeugen aus belgische Frauen nieder, die an der Dorfstraße standen …

      In diesen Tagen wurden amerikanische Kriegsgefangene erschossen, weil sie verwundet waren und weil man sich nicht um sie kümmern wollte …

      Und all diese Verbrechen tobten sich in einem engen Kreis um die belgische Stadt Malmedy aus.

      Während dies geschah, füllten sich die Wälder mit versprengten deutschen Soldaten. Eckstadt und Wieblich blieben nicht lange allein. Erst war es ein kleiner Haufen, dann ein großer, schließlich ein halbes Bataillon. Auch Offiziere waren dabei.

      Wenn Offiziere dabei sind, gibt es wieder Befehle. Eckstadt und Wieblich wurden auseinandergerissen. Werner Eckstadt war nicht traurig darüber. Er hoffte, dem Richtkanonier nie mehr wieder zu begegnen.

      Er irrte sich …

      Er gehörte nunmehr zu einem sogenannten „Rabbatzhaufen“, wurde erneut versprengt und wiederum mit anderen zusammengezogen, bis die Ardennenoffensive endgültig versickert war.

      Dann kam er zu einem Ersatztruppenteil der SS nach Deutschland. Man hatte ihm diese Einheit während der Sonderausbildung in Sennelager ins Soldbuch eingetragen.

      Er glaubte, daß jetzt die Gelegenheit gekommen sei, sich endgültig von der SS zu trennen. Er ließ sich beim Kompaniechef melden.

      Der Hauptsturmführer hatte eine roten, feisten Nacken. Er trug die üblichen Auszeichnungen, hatte sich wohl aber inzwischen auf den Heimatkriegsschauplatz spezialisiert.

      „Na, was ist mit Ihnen los?“ bellte er. „Urlaub gibt’s nicht, Herrschaften, das sage ich euch gleich …“

      Werner verzog keine Miene.

      „Jawohl, Hauptsturmführer“, antwortete er stur.

      Der Kompaniechef hatte wasserblaue Schweinsaugen. Er zwinkerte nervös.

      „Was wollen Sie dann?“

      „Hauptsturmführer, ich bitte um Versetzung.“

      „Was wollen Sie?“

      „Ich bitte um Rückversetzung zur Wehrmacht.“

      Der Hauptsturmführer legte die Hand an das fleischige Ohr.

      „Was haben Sie da gesagt?“

      Eckstadt holte tief Luft.

      „Ich wurde vor sechs Monaten für einen einzigen Sondereinsatz zur SS versetzt … Mir wurde gesagt, ich käme anschließend wieder zum Heer. Ich bin Gefreiter bei der Panzerwaffe.“

      Der Kompaniechef lief gleichzeitig blau und rot an.

      „Was sind Sie?“ brüllte er. „Halten Sie ’s Maul! Gefreiter bei der Panzerwaffe? Sie haben wohl ’nen Furz gefrühstückt!“ Er bellte so laut, daß die Fensterscheiben leise klirrten. Dabei ging ihm die Puste aus.

      „Hinlegen!“ brüllte er.

      Werner zögerte einen winzigen Moment … Ist ja doch alles Scheiße, dachte er und warf sich auf den Fußboden.

      „Auf!“ schrie der Hauptsturmführer. Er kam um seinen Schreibtisch herum. „Hinlegen! Auf! Hinlegen! Auf! Hinlegen! Auf!“

      Dann ließ der Kompaniechef Werners Zugführer kommen.

      „Diesen Defätisten schleifen Sie so lange, bis er nicht mehr weiß, ob er ’n Männchen oder ’n Weibchen ist!“

      Der Hauptsturmführer sah Werner von oben bis unten an. Sein Ton wurde gefährlich leise:

      „Sehen Sie sich ja vor! Mit Leuten wie Sie machen wir verdammt kurzen Prozeß! Wehrmacht, was? Bei uns wird Ihnen wohl der Boden zu heiß, wie? Sie Lump! Sie möchten sich wohl, bevor der Ofen ausgeht, noch ein Alibi sichern, he?“

      Werners Kieferknochen mahlten.

      „Ich habe nicht gesagt, daß der Krieg verlorengeht. Das haben Sie jetzt gesagt, Hauptsturmführer.“

      Der Kompaniechef wurde spitz und blaß im Gesicht.

      „’raus mit dem Kerl!“ brüllte er.

      Werner zockelte hinter dem Zugführer her. Er nahm ihn, wie befohlen mit auf den Hof.

      „Marsch! Marsch!“ leierte der Oberscharführer im tranigen Kommandoton.

      Werner lief, nicht übertrieben schnell, quer über den Hof, an dem Geräteschuppen vorbei, immer weiter, bis er hinter sich „Achtung!“ hörte.

      Er erstarrte zur vorgeschriebenen Säule, die Hände an der Hosennaht. Der Zugführer war hinter ihm hergelaufen. Sie waren jetzt außer Sicht des Kompaniegebäudes.

      Der Oberscharführer grinste.

      „Du hast den Arsch ganz schön auf, Mensch“, sagte er, „wie kannst du denn so was machen? Stell dir mal vor, zu dir kommt eener, wenn dein Boot am Absaufen ist, und sagt: Icke kann ja aussteigen, du nich! Da wirste ganz schön sauer, was … Mensch, denk doch! Die Amis sind am Rhein, und die hier, die können vor lauter Nervosität schon nicht mehr loofen.“

      Der Oberscharführer wühlte in der Hosentasche und brachte ein Päckchen zum Vorschein.

      „Zigarette?“ fragte er.

      Eckstadt nickte.

      „Danke.“ Seine Hände zitterten.

      „Quatsch“, brummte der Oberscharführer.

      Der Hauptsturmführer dachte sich für Werner eine Bestrafung aus, die selbst einem phantasielosen Offizier einfällt: er schickte ihn an die Front.

      So wurde Werner einer der wenigen deutschen Soldaten, die sich im Durcheinander des Zusammenbruchs in Ungarn, in der Tschechoslowakei und schließlich in Österreich noch wohler fühlen als an einer anderen Front. Hier war er eine anonyme Nummer, die zusammen mit den Kameraden durch den Wolf gedreht wurde. Daraus würde man ihm später keinen Vorwurf machen können.

      Im März 1945 beendete ein verirrtes Infanteriegeschoß für Werner vorzeitig den Krieg. Er landete in einem Lazarett in Bad Reichenhall.

      „Na, diesen Krieg haben Sie überstanden“, sagte der Oberarzt. Er war von der Wehrmacht. Und der Schußbruch in Werners Oberarm war nicht von schlechten Eltern …

      Werner lag in einem schneeweißen Bett und versuchte zu vergessen. Er hatte Grund genug, zu vergessen, und auch die Möglichkeit dazu fehlte ihm nicht … Denn die Gegenwart war betäubend nah. Die Gegenwart hieß Brigitte.

      Sie war Schwester auf der Station. Sie trug aufreizende Strümpfe über aufreizenden Beinen. Sie war sehr zurückhaltend und sprach mit Werner Eckstadt grundsätzlich nur das Nötigste. Sie hatte große, graublaue Augen und enganliegende, schwarze Haare.

      Wie schwarz ihre Haare waren, sah Werner eines Tages im Stationszimmer, wo Schwester Brigitte gerade ihre zierliche weiße Haube vor dem Spiegel aufsetzen wollte.

      „Donnerwetter“, sagte er, „sind Sie hübsch!“

      Sie fuhr herum. Sie musterte ihn kalt.


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