Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold

Malmedy - Das Recht des Siegers - Will Berthold


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Eckstadt und Leutnant Henry F. Morris hatten sich betroffen angesehen, als vor einer halben Stunde Tebster plötzlich aufgesprungen war und ohne ein Wort der Erklärung davongestürmt war. Sie verbrachten den Abend zu dritt in Veras Wohnung. Eigentlich sollte um zehn Uhr Schluß damit sein. Aber es zog sich in die Länge. Es war durchaus keine Party. Man unterhielt sich über Werner Eckstadt, man beriet im Kreise, wie man ihm helfen konnte.

      Denn er steht unter dem Schatten des Galgens …

      „Tebster ist verrückt“, meinte Morris.

      „Glauben Sie?“ fragte Vera lächelnd.

      „Wer mit Verrückten umgeht, wird schließlich selbst verrückt“, brummte Henry vor sich hin.

      „Ich mag ihn gern“, versetzte Vera.

      „So … Von mir sagen Sie so etwas nie.“

      „Über Sie gerne … zu Ihnen nicht“, antwortete das Mädchen.

      Das Radio spielte halblaut. Vera hatte den amerikanischen Soldatensender eingeschaltet. In einer Viertelstunde ist Sendeschluß. In einer Viertelstunde würde sie auch ihren nächtlichen Besucher hinauskomplimentieren. Ein netter Kerl, ein Gentleman, ein wenig verliebt und sehr korrekt. Ein Mann, der ihrem Bruder helfen will.

      In diesem Augenblick platzt Leutnant Tebster wieder zur Türe herein, unter einem Arm ein Aktenbündel, unter dem anderen die Whisky-Flasche. Zuerst wirft er die Protokolle auf den Tisch, dann stellt er den Whisky behutsam ab.

      „Was sagt ihr nun?“ schießt er los.

      „Zum Whisky?“ fragt Henry.

      „Nein, zu den Akten natürlich.“

      Vera springt auf.

      „Da habt ihr sie wieder“, fährt Tebster fort. „Unversehrt. Da ist der geschmuggelte Brief … hier die Vernehmungsprotokolle. Nichts fehlt. Du kannst sie morgen deinem Boß wieder übergeben“, wendet er sich an Henry, „schließlich herrscht bei uns Ordnung.“

      „Bei euch?“ fragt Vera verdutzt. „Bei der CIC?“

      „Ja, einer unserer Leute ist eingebrochen.“

      „Saubere Dienststelle“, entgegnet Henry. Er lacht, füllt die Gläser voll, „Prost!“

      Sie trinken. Der Whisky heizt ihnen ein. Sie sprechen laut und aufgeregt durcheinander. Sie freuen sich gemeinsam über Tebsters Streich.

      Vera sitzt auf der Couch, den Rücken angelehnt, die Beine übereinandergeschlagen. Sie summt leise die Melodie mit. Ihr Gesicht sieht verträumt aus, frisch, jung. Sie trägt eine einfache Bluse zum dunklen Rock. Die Clips an ihren Ohren klirren leicht, wenn sie den Kopf bewegt und dabei ihre dunkelblonden Haare durcheinanderschüttelt. Sie tut es oft, denn sie muß ihre Aufmerksamkeit zwischen zwei Männern teilen. Links neben ihr sitzt Morris, ein wenig kleiner und ein wenig ernster als Tebster. Tebster ist eine Nuance häßlicher als hübsch, eine Kleinigkeit dünner als schlank, eine Winzigkeit schnoddriger als erlaubt. Er springt auf, verrenkt seine zu lang geratenen Glieder im Rhythmus eines Jitterbugs.

      „Nehmen wir mal an, der Ankläger steckt hinter dieser Geschichte“, beginnt er wieder, „warum läßt er wohl Akten verschwinden? Na, warum?“

      Morris zuckt mit den Schultern.

      „Weil er Dreck am Stecken hat“, gibt er sich selbst die Antwort. „Und warum hat er Dreck am Stecken? Weil die Sache mit Veras Bruder eben doch nicht so stimmt, wie er es sich ausgerechnet hat.“

      Um 1 Uhr endet die Musik.

      Um 1 Uhr 05 ist der Whisky ausgetrunken.

      Um 1 Uhr 10 sitzen die beiden Männer in Tebsters klapprigem Ford, und Morris fragt verdutzt:

      „Warum sind wir eigentlich schon gegangen?“

      Vera steht am Fenster und sieht ihnen nach. Die frische Luft tut ihr gut. Sie kann nicht einschlafen. Sie grübelt über der Aktengeschichte, bis ihr endlich der Schlaf die verworrenen Gedanken abnimmt …

      Der Raum ist kahl und unfreundlich. Er besteht aus einem Tisch, zwei Stühlen und einer als Aschenbecher verwendeten Konservenbüchse. Er besteht weiter aus einer zu kurz bemessenen Gardine und dem Bild des amerikanischen Präsidenten an der Wand.

      Ohne ein Zeichen von Ungeduld läßt Colonel Evans stundenlang die Erzählung des deutschen Häftlings Werner Eckstadt über sich ergehen. Er macht sich ab und zu Notizen und bedeutet gleichzeitig mit einer Handbewegung dem Untersuchungsgefangenen in der zerschlissenen Wehrmachtsuniform, weiterzusprechen.

      Der Colonel kennt sich aus im Umgang mit Gefangenen. Gewöhnlich merkt er jedes Zögern, jede Beschönigung, jede Übertreibung, jede Lüge. Hinter seiner gleichgültigen Miene verbirgt sich gespannte Aufmerksamkeit. Der Oberst weiß, ohne es sich einzugestehen, daß er froh wäre, wenn er Werner Eckstadt bei einer Lüge fassen könnte … wenn diese ungeheuerlichen Vorwürfe gegen eine amerikanische Anklagevertretung, gegen eine offizielle Institution seines Landes, haltlos zusammenbrächen. So stellt er mit verborgenem Mißmut fest, daß er beginnt, dem armseligen Soldaten Glauben zu schenken.

      Colonel Evans steht auf, geht an die Türe, winkt den an der Wand lehnenden GI heran.

      „Holen Sie mir zwei Flaschen Coca-Cola“, sagt er.

      „Yes, Sir“, antwortet er, „aber der Häftling darf kein Coca-Cola trinken.“

      „Führen Sie gefälligst den Befehl aus!“ brüllt ihn der Colonel zusammen. „Und vergessen Sie die Gläser nicht.“

      Der Soldat braucht zehn Minuten. Vermutlich hat er sich inzwischen noch beim Anstaltskommandanten beschwert. Er stellt unlustig die Gläser auf den Tisch, wirft im Vorbeigehen Werner einen bösen Blick zu. Der Oberst schenkt ein.

      „Nehmen Sie“, sagt er zu Werner.

      Und weiter geht die Vernehmung. Wieder dauert sie Stunden. Wieder kommt Werner alles kreuz und quer über die Zunge. Plötzlich verliert er die Nerven, springt auf, schreit:

      „Hat ja alles keinen Sinn! Gehen Sie, Sir! Sie glauben mir nicht. Sie dürfen mir gar nicht glauben.“ Seine Augen sind starr. Blaue, eckige Adern treten an seiner Stirn hervor. Speichel sitzt in seiner linken Mundecke. Die Haare hängen ihm in die schweißnasse Stirne. „Das darf für Sie ja gar nicht wahr sein!“

      Er plumpst auf den Stuhl zurück. Der Kopf sinkt auf seinen Arm. Das Geschrei geht in Röcheln über.

      „Sie sind ja Amerikaner“, stößt er hervor. „Sie können mir ja doch nicht glauben!“

      Der Oberst betrachtet die Szene kalt und distanziert. Er steht auf, geht an das Fenster, öffnet es, schließt es im nächsten Augenblick wieder, dreht sich um.

      „Sie sind müde“, erwidert er, „ruhen Sie sich eine Stunde aus, dann komme ich wieder.“

      Er ruft den Posten.

      Werner Eckstadt wird in seine Zelle zurückgebracht. Für eine Stunde, für 60 Minuten, für 3600 Sekunden …

      Werner Eckstadt läßt das Essen stehen. Seine Gedanken gehen im Kreise herum. Er schiebt angewidert die Schüssel mit dem grauen Fettbrocken zurück. Ich Idiot, denkt er verzweifelt, und da stoße ich den einzigen Menschen, der seit meiner Verhaftung mich wenigstens anhörte, vor den Kopf.

      Blitzartig ziehen die Stationen der Hölle an ihm vorbei: die Versetzung zur SS, der Absprung mit dem Fallschirm, die Szene vor dem Tigerpanzer, der Angriff der „Lightnings“. Damals stand er mit Wieblich, dem Richtschützen, an der Waldschneise. Der Wind hatte die Wolkendecke endgültig aufgerissen. Der Himmel wurde zum Rangierbahnhof für amerikanische „Lightnings“. Wo immer sich Fahrzeuge zeigten, wo Soldaten in Gruppen beieinanderstanden, krepierten die Bomben der Flugzeuge.

      „Aus der Bescherung sind wir ja rechtzeitig entwischt“, grinste Wieblich zufrieden. Der Mann begriff, was die deutsche Generalität, die mit der Ardennenoffensive den Krieg gewinnen wollte, nun


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