Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold

Malmedy - Das Recht des Siegers - Will Berthold


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Hände mit nach oben gehaltenen Außenflächen dem Oberst entgegen.

      „Da ist die Antwort, Sir“, sagt er, „betrachten Sie meine Fingernägel.“

      Die Nägel des Häftlings Werner Eckstadt sind zu kleinen Stummeln zusammengeschmort. An den Fingerspitzen gaffen blaurote Brandwunden. Zwei Finger der linken Hand stecken in einem weißen Verband.

      „Diese beiden sehen noch schlimmer aus, Sir“, sagt Werner Eckstadt. Seine Stimme ist schwach und dünn. Sein Gesicht ist immer noch mit einer starren Maske überzogen. Seine Augen können noch immer nicht an einem Punkt verharren. Nur sein lebhafter Atem zeigt die Erregung.

      Colonel Evans schaut zum Fenster hinaus. Sein Gesicht ist rot. Er hat es abgewendet. Vielleicht, damit der Häftling die Schamröte nicht bemerkt. Ruckartig fährt er herum.

      „Und wie kommt es dann“, sagt er fast barsch, „daß Sie in Ihrem Geständnis alle Einzelheiten richtig wiedergegeben haben? Das konnten Sie doch gar nicht wissen, wenn Sie nicht beteiligt waren.“

      „Doch“, entgegnet Werner. „Man hat es mir so lange vorgesagt, bis ich es behielt. Und dann steckten sie mir wieder die Zündhölzer unter die Nägel, und wenn ich Ihnen alles beschreiben soll, was sie sonst noch mit mir machten, dann brauchte ich eine Viertelstunde. Ich nehme an, daß Ihre Zeit knapp bemessen ist, Sir.“

      Lange und kalt betrachtet der Oberst sein Gegenüber. In diesem Zustand hat der ehemalige Gefreite nicht viel, was ihn einnehmend machen könnte. Aber seine knappen, schlichten Worte, seine dünne Stimme, seine müden Augen, sein ausgezeichnetes Englisch, seine guten Manieren … das alles übersieht Oberst Evans nicht. Er hat eine intuitive Menschenkenntnis; aber er ist weit davon entfernt, sich auf sie zu verlassen.

      „Setzen Sie sich“, sagt der Colonel, „und erzählen Sie mir Ihre Geschichte, ganz langsam und ganz von vorne und ohne jede Beschönigung. Sie brauchen keine Rücksicht auf meine Zeit zu nehmen.“

      Der Oberst setzt sich auf einen Stuhl, schlägt die Beine übereinander.

      „Das allerdings“, fährt er fort, und wieder streift er mit einem zerstreuten Blick das Fenster, „gilt nur so lange, wie Sie bei der Wahrheit bleiben.“

      Langsam schüttelt Werner Eckstadt seine Befangenheit ab. Langsam rötet sich sein Gesicht. Er wird lebhafter, spricht ohne Stocken, sieht auf, sieht dem Colonel in das Gesicht, ohne zu zucken, ohne abzugleiten. Er spricht ruhig, fast leidenschaftslos.

      „Das ganze Drama beginnt“, sagt er, „mit meiner Versetzung zur SS.“

      „Sie waren also nicht freiwillig bei dieser Organisation?“ unterbricht ihn der Oberst.

      „Na, hören Sie, Sir, wer meldet sich schon freiwillig zu der Garde des Satans?“

      „Ich kenne eine Million Deutscher, die das getan haben.“

      „Und ich kenne eine halbe Million, die dazu gezwungen wurden“, antwortet Werner.

      „Sprechen Sie weiter“, erwidert der Oberst, und wieder sieht er dabei zum Fenster hinaus …

      24 Stunden kannte Leutnant Tebster erst Vera, die Schwester von Werner Eckstadt. Aber diese 24 Stunden hatten genügt, sie jetzt ständig vor Augen zu haben. Er sah ihren Gang, ihre hübschen, flehenden Augen. Er hörte ihre volle, weiche Stimme … und er konstatierte fast ärgerlich, daß er sich in das Mädchen verliebt haben mußte. Verliebt … das war nichts für Vera, das wußte er genau. Sie war kein Mädchen für das Flüchtige. Sie war anders als die anderen. Und ständig würde der Schatten ihres Bruders zwischen Vera und ihm stehen …

      Ein Gedanke läßt den Leutnant nicht los: die in dem Büro von Evans gestohlenen Akten. Von der ersten Sekunde an war er überzeugt, daß eine amerikanische Dienststelle hinter dem Einbruch steckte. Leutnant Tebster arbeitet nicht gerne bei der CIC. Nur seiner Sprachkenntnisse wegen hat man ihn zum amerikanischen Geheimdienst gesteckt. Wenn’s nach ihm ginge, würde er jetzt in Florida Wasserschi fahren und mit Jane und Harriet flirten oder mit Margaret Tennis spielen.

      Gegen Mitternacht betritt er sein Büro. Er folgt blind seinem Verdacht: Bauer, der deutsche Agent der CIC, den er nicht leiden konnte, der Vera rufen ließ, um sie einzuschüchtern …

      Woher die Anzeige gekommen war, kann Leutnant Tebster nicht feststellen. Sie blieb anonym. Bauer wußte es sicher. Aber Bauer log ihn aus irgendeinem Grunde an. Und das machte den Leutnant stutzig.

      Leutnant Tebster steht in Bauers Zimmer. Er hat die Schlüssel zu seinen Schränken und zu seinem Schreibtisch. Und er zögert nicht eine Sekunde, sie zu benutzen. Im Schrank ist nichts zu finden. Das Schloß am Schreibtisch klemmt zuerst. Tebster würgt seine Ungeduld und sein Unbehagen hinunter und versucht es noch einmal.

      Endlich gibt die Schublade nach. Obenauf liegen drei Packungen Camel, darunter Manuskriptpapier, daneben Bleistifte, zwischen den Bleistiften ein Brief. Stück für Stück nimmt der Leutnant den Inhalt heraus.

      Ganz unten steckt in einem braunen Umschlag ein dickes Paket. Zugeklebt. Tebster reißt es auf. Akten. Er zieht sie hervor.

      Mit einem Blick stellt er fest, daß es sich hier um die aus dem Büro von Colonel Evans entwendeten Protokolle über den deutschen Gefreiten beziehungsweise SS-Rottenführer Werner Eckstadt handelt.

      Der Leutnant läßt sich auf einen Stuhl plumpsen, zündet sich eine Zigarette an und überlegt. Vor ihm liegen Aussagen der Malmedy-Voruntersuchung … und ein geschmuggelter Brief an Vera.

      Der Teufel mag wissen, denkt Tebster grimmig, was ich jetzt zu tun habe …

      Nach der dritten Zigarette weiß er es.

      Er hat einen Ausweg gefunden; sein Plan ist so selbstverständlich, so einfach, daß er breit über sein sympathisches Jungengesicht grinsen muß …

      Der Zigarettenrauch kringelt sich in blauen, dichten Schwaden zur Decke. Die einfarbigen, verschmutzten Vorhänge sind zugezogen. Der gelbe Lampenschirm gießt sein gedämpftes Licht über ein Aktenbündel im braunen Umschlag. Draußen gähnt die Straße, schläfrig und leer. Vor dem säulengeschmückten Eingang des CIC-Hauptquartiers halten zwei bullige MP-Posten mit gleichgültigen Gesichtern sinnlose Wache …

      Nur ein Mann ist im Haus: Leutnant William R. Tebster, ein junger, schlaksiger Bursche mit lustigem Gesicht und viel zu lang geratenen Gliedern.

      Eben hielt er Razzia in fremden Schubladen. Mit Erfolg. Vor ihm liegen Protokolle, die gestern aus dem Büro von Colonel Evans gestohlen wurden. Colonel Evans ist der Hauptverteidiger des in einigen Tagen beginnenden Malmedy-Prozesses.

      Der Leutnant aus Texas sitzt bequem im Stuhl, die Beine auf dem Schreibtisch. Ab und zu greift er gedankenverloren nach einem Wasserglas mit Whisky und trinkt in langsamen, bedächtigen Schlucken. Er ist allein. Aber er grinst breit über sein Jungengesicht. Seine Gedanken machen ihm Spaß, von welcher Seite sie ihn auch angehen.

      Da folgte er einer plötzlichen Eingebung, daß sein deutscher Assistent Bauer etwas mit dem Aktendiebstahl zu tun haben könnte. Schließlich hatte der Mann Vera Eckstadt gewarnt. Impulsiv folgte er seinem Verdacht, stürmte an den MP-Posten vorbei, die ihn verdrossen grüßten, schnappte sich die zweite Schlüsselgarnitur … und entdeckte, daß der unbekannte Einbrecher bei seiner eigenen Dienststelle saß. Und Bauer hieß. Er hatte diesen deutschen CIC-Angestellten nie leiden können. Zufällig aber war Bauer sein Assistent. Somit war der Leutnant eigentlich der Auftraggeber eines Diebstahls, von dem er nichts wußte.

      Tebster lacht lautlos vor sich hin, greift sich das Aktenbündel und die halbvolle Flasche Whisky, verstaut sorgfältig beides in seiner Aktentasche, räumt Bauers Schreibtischschublade ein, legt die Reserveschlüssel an ihren Platz, löscht das Licht und stürmt dem Ausgang entgegen. Er freut sich auf Veras große Augen, und er freut sich auf Bauers Gesicht am nächsten Morgen.

      Diesmal erwidert er den Gruß der MP-Posten, springt in sein Auto, einen klapprigen Ford, gibt Gas und würgt den Motor ab, weil er vergaß, die Handbremse zu lösen. Er braust die Kurven am Friedensengel hinunter, rast durch die nachtdunkle


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