Berliner Polizei von 1945 bis zur Gegenwart. v.-Hinckeldey-Stiftung
Sicht haarsträubend, aber damals nichts Besonderes.
Geschlossene Einsätze gab es gegen das Schieberunwesen auf dem schwarzen Markt, der sich damals um den Reichstag herum gebildet hatte. Im Tiergarten wurde eine besondere Polizeiwache eingerichtet, weil dort große Flächen an Bürger freigegeben worden waren, um Gemüse anzubauen. Diese mußten nachts gegen Diebstähle gesichert werden.
Die extreme Kälte im Winter 1946/47 brachte eine Reihe weiterer Probleme mit sich. Überall gab es Wasserrohrbrüche. Weitgehend waren auch die Toilettenanlagen durch die eingefrorene Kanalisation außer Betrieb. Das führte dazu, daß die Menschen ihre Fäkalien in irgendwelchen Behältern auf der Straße deponierten. Heute kann man sich das kaum noch vorstellen. Der Einsatz in diesem »Betätigungsfeld« war nicht gerade einfach.
Die Erfüllung sozialer Aufgaben gehörte zu unserem Alltag. Haus um Haus unseres Revierbereiches wurde abgelaufen, um zu erfahren, ob alte hilflose Menschen dort lebten, die wir dem Sozialamt meldeten.
Bei der extremen Kälte war unsere Bekleidung für den Streifendienst natürlich unzureichend. Um einen Schutz für die freiliegenden Ohren zu haben, wurden aus Damenstrümpfen Ohrenschützer angefertigt.
Die Spree war zugefroren. Das hatte für uns wenigstens den Vorteil, daß wir sie überqueren konnten, um in das zu unserem Revier gehörige Hansaviertel zu gelangen, das fast nur aus Ruinen bestand. Wegen der zerstörten Brücken mußten wir sonst einen großen Umweg machen.
Unsere Dienststelle besaß nicht genügend Brennmaterial. Ich weiß noch, daß uns hier »im Wege der Amtshilfe« eine Nebenstelle der Wasserwerke in Alt-Moabit aushalf. Wir trugen den Koks unter unserer Pelerine in Eimern zum Revier, damit es nicht so auffiel. Dort setzten wir uns dann um den Kanonenofen herum, um uns aufzuwärmen und um auf der Herdplatte Brot zu rösten. Weil es nicht zumutbar war, Gefangene in den eisigen Zellen unterzubringen, saßen diese friedlich mit uns am Ofen.
Aufgrund der unzureichenden Versorgung, unter der die ganze Bevölkerung litt, bemühte sich jeder darum, zusätzliche Lebensmittel zu beschaffen. Ich bin damals gemeinsam mit einem Kollegen, der früher Schiffer gewesen war, in Uniform über Land geradelt, um bei Bauern, die der Kollege kannte, Kartoffeln zu hamstern. Wir hatten auf der Rückfahrt an der Stadtgrenze große Mühe, die Kartoffelsäcke durchzubekommen, weil Kollegen der Volkspolizei sie konfiszieren wollten.
Die Polizei war damals im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) in der Industriegewerkschaft 14 »Öffentliche Betriebe« in der Sektion 5 organisiert. Ich war gleich am Tag meines Dienstantritts auch Gewerkschaftsmitglied geworden. 1947 kam ich in den Betriebsrat der Polizeiinspektion Tiergarten, außerdem gehörte ich zur Betriebsgewerkschaftsleitung. Wir konnten nur wenig zur Festigung der beruflichen Stellung unserer Kollegen tun. Es gab nur Pflichten und keine Rechte. Im wesentlichen bemühten wir uns deshalb um soziale Hilfen. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund hatte den Spitznamen »Freier Deutscher Gemüsebund«, weil die Beschaffung von Gemüse damals eine gewerkschaftliche Leistung war.
Innerhalb des FDGB war eine Gegenbewegung entstanden, um der Dominanz der Kommunisten Paroli zu bieten. Eine unabhängige Gewerkschaftsopposition (UGO), hauptsächlich gestützt durch Polizeiangehörige, die der SPD angehörten, konnte auch bei der Polizeiinspektion Tiergarten die Mehrheit im Betriebsrat erringen.
Nach der Teilung der Gewerkschaft wurde die UGO der Vorläufer des Landesbezirks Berlin des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Es gelang jedoch nicht, innerhalb dieser Organisation eine eigene Polizeigewerkschaft durchzusetzen. Die UGO-Betriebsgewerkschaftsleitungen der Polizei bereiteten daraufhin die Gründung einer eigenen Interessenvertretung vor.
Am 23. Juli 1948 versammelten sich die Vertrauensleute aller Polizeidienststellen in der »Kampfstätte« der Berliner Gewerkschaften, in »Kliems-Festsälen«. Einmütig wurde dort der Beschluß gefaßt, den Verband der Polizeiangehörigen Groß-Berlin zu gründen. Aus diesem Verband entstand später der Landesbezirk Berlin der Gewerkschaft der Polizei.
Ebenfalls im Juli 1948 wurden die bei den Polizeiinspektionen bestehenden Überfallkommandos durch Funkwagen abgelöst. Jede Inspektion erhielt zunächst einen Funkwagen. Ich war sehr stolz, zu den ersten Funkwagenbesatzungen zu gehören. Die Funkwagen waren übrigens Leihfahrzeuge aus alliierten Beständen.
Die Teilung der Berliner Polizei wurde 1948 in der Praxis nur allmählich umgesetzt. Zunächst sprachen die Kollegen hüben und drüben an der Sektorengrenze noch miteinander, bis eines Tages die Ostseite dort Polizeiangehörige aus Sachsen einsetzte, die dann befehlsgemäß jeden Kontakt mit dem »Klassenfeind« ablehnten.
Neben dem Funkstreifendienst bestand ein gut funktionierender Straßenaufsichtsdienst. Alle Straßen und Plätze waren in ein Streifen- und Postennetz einbezogen, das weitgehende Sicherheit für die Bevölkerung gewährleistete. Die Schutzpolizei konnte auf diese Weise ihre Aufgabe hervorragend erfüllen, durch Prävention strafbare Handlungen möglichst schon im Ansatz zu verhindern. Da noch keine speziellen Polizeigesetze erlassen worden waren, beriefen sich die Schutzpolizisten bei der Dienstausübung auf die Berliner Straßenordnung beziehungsweise das Allgemeine preußische Landrecht, wo bestimmte Ordnungsprinzipien vorgeschrieben waren. Besondere Sektionswachtmeister überwachten die Einhaltung dieser Regelung.
Die wichtigste Dienststelle war das Polizeirevier mit dem Revierkriminalbüro als Anlaufstelle für die Bürger. Mit diesem Netzwerk konnte auch die im Chaos des Jahres 1945 entstandene Schwerst- und Bandenkriminalität in den folgenden Jahren erfolgreich bekämpft werden.
Über die Anfänge der Schutzpolizei – Zwischen Markgraf und Stumm
Wilfried Jacobi interviewt Hans-Georg Urban
Dr. Urban trat im August 1945 als Jurist in den Dienst des Polizeipräsidiums Berlin und arbeitete in dieser Zeit eng mit dem damaligen Leiter der Präsidialabteilung und späteren Polizeivizepräsidenten Dr. Johannes Stumm zusammen, der nach der Spaltung der Berliner Polizei im Jahre 1948 Polizeipräsident wurde.
Herr Dr. Urban, wie kamen Sie 1945 bereits kurz nach Kriegsende in den Polizeidienst?
Ich habe mich am 30. Juni 1945 im Polizeipräsidium in der Elsässer Straße gemeldet. Zunächst bei einem Personalchef, der sich Tölken nannte, der aber schon kurze Zeit später als SS-Mann entlarvt wurde und die Polizei wieder verlassen mußte. Er sagte mir als erstes: »Diese Polizei braucht keine Juristen, wir machen es diesmal ohne Juristen. Aber Sie können ja mal zum Genossen Stumm gehen, vielleicht hat der Interesse für Sie.« Ich habe mich daraufhin bei Herrn Dr. Stumm gemeldet, und nach einem kurzen Gespräch meinte Stumm: »Sie können gleich hierbleiben, Sie können sofort anfangen.« Nachdem er sich nach meiner juristischen Ausbildung und meiner bisherigen Tätigkeit erkundigt hatte, überlegte er: »Das Zweckmäßigste wäre, Sie würden ein Dezernat für Rechtsangelegenheiten übernehmen.« Rechtliche Probleme fielen in großer Zahl an, wobei man allerdings sagen muß, daß es noch keine Gerichte gab, die entscheiden konnten, ganz zu schweigen von Arbeitsgerichten. Die Entscheidungen in Personalangelegenheiten und anderen Fragen traf demnach mehr oder weniger der Polizeipräsident.
Polizeipräsident Markgraf hatte ursprünglich mit der Polizei überhaupt nichts zu tun. Er war Berufssoldat, zum Oberleutnant befördert worden und Ritterkreuzträger. Markgraf und Stumm waren ein absolut ungleiches Paar: Markgraf völlig von den Russen abhängig, ohne, wie er mir jedenfalls versicherte, Mitglied der Kommunistischen Partei zu sein; Stumm dagegen alter Sozialdemokrat, der bis 1932 im Polizeipräsidium – zuletzt als Kriminalrat – mit politischen Fällen befaßt gewesen war. Stumm war mein unmittelbarer Chef, er gab mir die Anweisungen, und ich muß sagen, daß ich zu ihm ein besonders gutes und herzliches Verhältnis hatte.
Aber ich wurde auch öfter zu Markgraf gerufen, und daraus ergaben sich für mich Probleme. »Was hat Markgraf gesagt?« wollte Stumm wissen, und Markgraf erkundigte sich bei mir nach Stumm. Denn nach einem Jahr Zusammenarbeit verkehrten die beiden nur noch schriftlich miteinander.
Im Laufe der ersten drei Jahre, d. h. bis zur Teilung der Polizei, war ein ständiger Wechsel unter den Polizeiangehörigen zu verzeichnen. Die Gesamtbelegschaft betrug etwa 15 000 Mann. Soviel