Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4. Inger Gammelgaard Madsen

Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4 - Inger Gammelgaard Madsen


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glaube sogar, ich hätte das Gleiche gemacht, wenn Eve das Zeitliche gesegnet hätte. Und du garantiert auch, wenn es Irene gewesen wäre.«

      »Sprich nicht über so was!« Roland schenkte sich ein Glas Mineralwasser aus einer Halbliterflasche Pellegrino ein, die er aus Italien mitgebracht hatte. Es sollte den Geschmack des schlechten Kaffees aus seinem Mund vertreiben.

      »Nein, nein, ich versteh schon; aber wenn sich der Kriminalkommissar im Fernsehen vor aller Öffentlichkeit als Leiter der Ermittlungen hinstellt, denken nun mal alle gleich, es ginge um Mord.«

      »Ich habe nie behauptet, die Ermittlungen zu leiten. Ich habe lediglich an die Leute appelliert, sich mit Informationen an uns zu wenden. Und glaubst du wirklich, die Leute in ihren Wohnzimmern wissen, wer ich bin, und legen es so aus, dass es sich um einen Mordfall handelt?«

      »Nicht die Durchschnittsbürger, nein. Dafür bist du sicher zu selten im Fernsehen, du willst ja am liebsten gar nicht dort auftreten – normalerweise. Aber die Presse legt es natürlich so aus. Ich werde von Journalisten regelrecht bombardiert. Sind nach deiner – Einlage – schon irgendwelche Rückmeldungen eingetroffen?«

      »Ein paar, aber keine von Bedeutung. Eine Frau will ihn gegen Mitternacht in der Innenstadt in der Straße für die Busse gesehen haben, eine andere behauptet, er habe zur gleichen Zeit mit ihr zusammen im Nachtbus nach Viby gesessen. Wieder andere haben ihn im Zug nach Skanderborg gesehen. Das Übliche.«

      Kurt Olsen stand auf. »Diese Informationen leitest du dem zuständigen Beamten weiter, und dann widmest du dich wieder deinem eigenen Kram. Okay?«

      Roland nickte. Wie waren wohl die Ermittlungen der italienischen Polizei nach Salvatores Verschwinden abgelaufen? Hätten sie ihn etwas früher gefunden, wäre er nicht ermordet worden.

      Sobald Kurt Olsen gegangen war, zog Roland die Aufsatzhefte aus der Schublade. Es war etwas faul an dem Ganzen. Und was könnte an Tobias Abrahamsens Aufsätzen denn für die Polizei interessant sein, wie es sein Lehrer offensichtlich meinte? Hatte sein Verschwinden wirklich etwas mit dem Selbstmord seines Vaters zu tun? Roland schenkte sich noch ein Glas Wasser ein und fing an zu lesen.

      11

      Anne entdeckte ihn, als sie mit einer Tüte in der Hand aus dem Haupteingang des Magasin kam. Nun, da der erste Arbeitstag in der neuen Tätigkeit überstanden war, hatte sie sich einen neuen Pullover verdient, wie sie fand. Es war lange her, dass sie es sich hatte leisten können, Klamotten zu kaufen. Er stand auf der Brücke an der Immervad-Straße, zusammen mit einem Kameramann, der gerade damit beschäftigt war, den Blick über den Fluss einzufangen. Sie blieb ein wenig stehen und sah zu ihm hinüber – hauptsächlich, um sicherzugehen, dass er es tatsächlich war. Aber die roten Haare und die Sommersprossen waren unverkennbar. Er hatte sie noch nicht bemerkt.

      »Hi, Nicolaj!«, rief sie. Sie fand selbst, dass es ein wenig allzu begeistert klang. Wie konnte sie nur so wild darauf sein, ihren ehemaligen Journalistenschüler zu treffen? Damals, während ihrer Arbeit an dem Moorleichenfall für das Tageblatt, als Chefredakteur Thygesen sie zu Nicolajs Mentorin bestimmt hatte, weil der sich für Stoffe aus dem kriminalistischen Bereich interessierte, hatte sie ihn oft genug weit weg gewünscht. Obendrein hatte er ihr einmal eine schallende Ohrfeige verpasst. Ihr stiegen Tränen in die Augen, als sie nun auf ihn zuging und sich eingestehen musste, wie sehr sie diese Zeit doch vermisste.

      »Anne!« Er klang eher überrascht als begeistert, aber seine Augen schienen förmlich zu lächeln, als er sie umarmte. »Was machst du denn hier?« Er sah die Tüte. »Ah, du gehst shoppen.«

      »Ausnahmsweise mal.« Sie sah zu dem Kameramann hinüber. Auf seiner Kamera prangte das Logo von TV 2. Nicolaj stellte ihn vor.

      »Das ist Tue. Wir filmen für TV 2.«

      »Hör auf! Du bist jetzt beim Fernsehen?«

      »Nicht ganz. Ich arbeite jetzt freiberuflich und mache als freier Mitarbeiter auch manchmal was fürs Fernsehen. Und du?«

      »Ach, ich mach so dies und das«, antwortete sie und sträubte sich innerlich zuzugeben, dass sie nur putzte. Es war ein harter Tag gewesen und sie spürte die ungewohnte Arbeit bereits schmerzhaft im Rücken.

      »Hast du Lust auf eine Tasse Kaffee – wie in den alten Zeiten? Wir können im Magasin Café einen Cappuccino trinken, den magst du doch so gerne.«

      »Ah, du erinnerst dich. Aber hast du denn Zeit? Seid ihr nicht gerade am Filmen?«

      »Tue kann den Rest auch alleine filmen. Wir drehen einen Beitrag über Tobias Abrahamsens geheimnisvolles Verschwinden im Aarhuser Nachtleben und sind gerade dabei, sein Tun und Treiben zu rekonstruieren. Hast du Zeit?«

      »Jep, das kannst du glauben.«

      »Geiiil!«

      Dieses Wort, das sie einst zur Weißglut gebracht hatte, war nun Musik in ihren Ohren.

      Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster. Nicolaj besorgte Kaffee. »Der geht auf mich«, sagte er, als er die Tassen auf den Tisch stellte. Anne protestierte nicht.

      »Wer, sagst du, ist verschwunden?«

      Nicolaj staunte. »Hast du noch nicht davon gehört?! Gerade du, die so etwas immer vor allen anderen weiß.«

      »Ich gebe zu, ich bin momentan nicht besonders gut auf dem Laufenden, es hatte so viel … Wann ist es denn passiert?«

      »Tobias ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag verschwunden, nachdem er zuvor mit einigen seiner alten Klassenkameraden in der Stadt gefeiert hat. Er war betrunken. Sein Arbeitgeber hat ihn Montag Mittag als vermisst gemeldet, nachdem er nicht bei der Arbeit erschienen war. Er ist Zimmererlehrling.«

      Nicolaj genehmigte sich einen Schluck aus der großen Tasse und Milchschaum legte sich über seine Oberlippe. »Roland Benito ist an der Sache dran.« Er blinzelte ihr zu.

      »Die sehen das also schon als einen Mordfall.«

      »Nach dem, was ich gerüchteweise gehört habe, hat sich der Kriminalkommissar unnötigerweise aus persönlichen Gründen eingemischt.«

      »Kennt er denn den Vermissten, oder … Ach, du meinst die Geschichte mit dem Mafiamord in seiner Familie …«

      »Genau, so wird gemunkelt.«

      »Dann haben sie in Roland Benitos Abteilung wohl zu wenig zu tun«, murmelte sie in ihre Tasse. Sie probierte den Cappuccino. Die jungen, durchtrainierten Baristas des Cafés standen an der Bar und versuchten cool auszusehen, während sie mit den jungen Besucherinnen flirteten.

      »Aber ich weiß nicht, ob das stimmt«, fuhr Nicolaj fort. »Vielleicht ist auch etwas aufgetaucht, was auf Mord hinweist.«

      »Und du bist jedenfalls dabei, Tobias’ Tun und Treiben nachzuverfolgen?« Sie hoffte, dass er die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht bemerkte.

      »Das ist momentan mein Auftrag, ja. Du kannst dir die Sendung später bei TV 2 ansehen.«

      Anne nickte.

      »Dass das Tageblatt zumachen musste, war echt scheiße. Es war ein richtiger Schock für mich, als Thygesen das gesagt hat. Hast du gehört, was er jetzt macht?«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Er ist bestimmt tot. Wie kann er ohne seine Zeitung überleben?«

      »Hatte er überhaupt ein Leben?«

      Die gleiche Frage hatte sie sich auch schon oft gestellt. Sie lächelte, aber eigentlich war das traurig.

      »Kamilla ist die Vernünftigste von uns gewesen, sie hat das sinkende Schiff rechtzeitig verlassen. Hast du sie mal wieder gesehen? Garantiert, nicht? – Best friends forever«, fügte er mit verstellter Mädchenstimme hinzu.

      »Eigentlich treffen wir uns nicht besonders oft. Ich habe sie erst gestern mal wieder besucht, aber ansonsten habe ich nur einmal mit ihr telefoniert, seit sie bei der Zeitung aufgehört hat. Aber sie ist im Moment irgendwie nicht ganz sie selbst.«

      »Glaubst du nicht, dass sie über ihre Arbeit als Werbefotografin froh


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