Lasse Laufen. Paul Frommeyer

Lasse Laufen - Paul Frommeyer


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Nachbarn wieder vollständig und syntaktisch einwandfrei ein, Wort für Wort. Dann manch anderes, was er in der jüngeren Vergangenheit so von sich gegeben hatte. Die einzelnen Themen tun nichts zur Sache, rein gar nichts. Jedenfalls sagte ich wenig später zur besten aller Ehefrauen: „Ich glaube, ich sollte es doch mal wieder mit Laufen versuchen, man weiß nie, was man so an vielfältigem Nutzen daraus ziehen kann.“

      „Meinst du, Herzchen?“

      „Ich denke schon!“, sagte ich und schlug dann vor, an dem Abend einfach mal den blöden Fernseher auszulassen. „Schließlich kann man“, hauchte ich rüber zu ihr, „schließlich kann man doch auch mal wieder – ein gutes Buch lesen …!“

      Der innere Schweinehund und ich

      Mit des Nachbarn Hund, einem Mops namens Spiridon, hatten wir uns ja bereits mehrfach befasst. Ich komme nun zu einem anderen, etwas merkwürdigen Vertreter der Tierwelt. Es muss eine Art Zwitterwesen sein, halb Schwein, halb Hund, eben ein Schweinehund. Ein Begriff, der gewöhnlich als Beleidigung herhalten muss, man benutze ihn also dosiert und überlegt. „Du Schweinehund!“ Viel übler geht es kaum.

      Indes handelt es sich bei diesem Tier nicht nur um ein merkwürdiges, sondern sprachlich betrachtet auch um eines, das oft mit einem Beiwort versehen daherkommt, wodurch der Gebrauch zur Beleidigung gewöhnlich schon ausgeschlossen wird. Es ist der sprichwörtliche innere Schweinehund. Was aber genau hat es damit auf sich? Tu was gegen deinen inneren Schweinehund! Wie oft habe ich das gehört? Überwinde deinen inneren Schweinehund … Jenes merkwürdige Tier verkörpert mithin nichts anderes als die eigene Willensschwäche, dies oder jenes, das angegangen werden müsste, endlich tatsächlich einmal zu bewerkstelligen. Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach; auch und gerade, wenn es um das Laufen geht.

      Womit wir dann brachial beim Thema wären. Natürlich weiß ich, dass es sinnvoll wäre, endlich mal die Laufschuhe … Natürlich weiß ich, was mich daran hindert … Eben diese ganze Herde an inneren Schweinehunden, die ich mir herangezogen habe.

      Welches Schweinderl darfs denn sein? Wer sagte das doch gleich noch? Ach ja, Robert Lemke beim heiteren Beruferaten: „Was bin ich?“ lautete die inzwischen legendäre Sendung. Welches Schweinehunderl darfs denn sein? Na klar, das innere Schweinehunderl. Und was ich bin? Ne faule Sau, was sonst. Ich selbst darf das sagen, und sei es nur, weil die Sau sich bei all den Hunden und Schweinderln und Schweinehunderln geradezu aufdrängt.

      Etymologisch betrachtet, also was die Wortherkunft betrifft, geht der „Schweinehund“ übrigens zurück ins vorletzte Jahrhundert. Der „Sauhund“ wurde bei der Wildschwein-Jagd eingesetzt. Hetzen, Ermüden und dann Festhalten des Wildes war seine Aufgabe. Woraus dann, übertragen auf den Menschen und als böse Beleidigung, der Schweinehund wurde, also jemand, der einen anderen (Menschen) hetzt, ermüdet und festhält, wenn er ihn denn erwischt. Das wäre also geklärt. Wobei es mir schleierhaft bleibt, wie aus dem gewöhnlichen der innere Schweinehund wurde. Also das Synonym, die Metapher schlechthin für die Antriebslosigkeit.

      Klar, ich könnte meinen Nachbarn fragen. Der wird es wissen. Der weiß alles über das Laufen in Theorie und Praxis und alle Themen, die auch nur im Entferntesten damit zu tun haben könnten. Also auch so randständige Sachen wie die Antriebslosigkeit, die Trägheit, die Faulheit, endlich mal das Laufen anzupacken. Sprich, den inneren Schweinehund zu hetzen, zu ermüden und dann zu packen und festzuhalten. Wer aber hetzt dann die Sau …? Pardon, aber die Sache läuft hier ziemlich schweinisch aus dem Ruder.

      „Immerhin etwas, das läuft, wenn Sie es schon nicht tun“, würde mein Nachbar vielleicht sagen. Der rennt ja bekanntlich jeden zweiten Tag an meinem bescheidenen Haus und Grundstück vorbei. Hält, wenn er am Jägerzaun Pause macht, schlaue Vorträge. Übers Laufen, Joggen, Rennen, die ganze Palette. Und ich, als ausgewiesener Unsportler, stehe meist da wie ein vom Lehrer beim Rauchen ertappter Pennäler.

      Neulich habe ich mich dabei erwischt, mit quasi wissenschaftlicher Akribie etwas wie einen Musterkatalog der Ausreden zu erstellen, den ich meinem Rennfanatikus hätte präsentieren können.

      Ich fing guten Mutes an.

      Ausrede Nummer 1: Die Arbeit hindert mich an sportlicher Betätigung.

      Ausrede Nummer 2: Private Verpflichtungen hindern mich am Laufen.

      Ausrede Nummer 3: Der Nutzen sportlicher Betätigung wird maßlos übertrieben.

      Ausrede Nummer 4: Laufen ist die langweiligste aller sportlichen Betätigungen überhaupt.

      Ausrede Nummer 5: …. Tja, das war es dann nämlich schon. Zwar fiel mir noch das eine oder andere ein. Doch nicht einmal mich selbst konnte das meiste auch nur halbwegs überzeugen. Stets machte sich ein irritierendes Geräusch über jeden meiner Einfälle her. Ich hörte es grunzen und bellen in einem. Ein ganzes Rudel innerer Schweinehunde machte sich über jede meiner Ausreden und Vorwände her. Keine Chance gegen diesen Zwitter auf vier Beinen. Nichts stärker als die ernüchternde und schmerzende Einsicht, schlicht zu faul zu ein, nach ebenso faulen Ausreden zu suchen, nichts in der Hand zu haben außer der betrüblichen Erkenntnis ausgewachsener Willensschwäche.

      Das grunzbellende Tier muss niedergekämpft werden. So kann es nicht weitergehen. So wird es nicht weitergehen. Morgen werden Laufschuhe gekauft. Übermorgen werden sie geschnürt.

      Einen Begleiter auf vier Beinen habe ich auch schon. Ich bin sicher, er wird nicht sonderlich stark aufbegehren gegen mein Ansinnen, mich zu begleiten.

      Das Tier hatte zwar bisher noch keinen Namen. Doch bevor ich meinen ersten Lauf mit ihm zusammen in Angriff nehme, wird er getauft. Ich werde den Kerl – es handelt sich um ein männliches Exemplar – Schumi nennen. Ich finde, der Name passt ausgezeichnet zu meiner Schildkröte.

      Lauftreffs sind schlimmer als die Hölle

      Nie wieder. Jedenfalls nicht so, unter den Umständen. Aber der Reihe nach. Ich hab’s getan. Klingt wie ein Geständnis? Ist auch eins. Ich bin gelaufen! Hatte ja neulich schon angedeutet, dass der innere Schweinehund endlich erlegt werden muss. So einfach war das natürlich nicht getan bei einer sportlich so degenerierten Gestalt wie mir. Man fliegt ja schließlich auch nicht ins Weltall, ohne sich vorher beispielsweise auf die besonderen Lebensumstände unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit vorzubereiten.

      Der Vergleich mag hinken. Aber für mich war eben lange Zeit die Vorstellung, laufen zu gehen, mindestens so abenteuerlich wie die, mich mal eine Weile in die Raumstation MIR oder ISS zurückzuziehen. Will sagen, es bedurfte unbedingt einer gewissen strategischen Vorbereitung auf den ersten Lauf. Zunächst war mein Gedanke, die Angelegenheit konspirativ anzugehen, still und heimlich.

      Das hätte manchen Vorteil gehabt. Etwa den, dass beispielsweise andere Renner, Walker, Jogger mich nicht hätten sehen, sich also auch nicht über mich hätten lustig machen können. Ich glaube nämlich, dass der gemeine Hobbyläufer eben genau das sein kann: gemein. Wie ein Kind, das es nicht besser weiß, das Wort Rücksichtnahme noch nicht im Vokabular hat. Einfach draufkloppt mit der Schüppe im Sandkasten, wenn ihm was nicht passt. Oder aber – womit wir wieder beim Läufer wären – sich halb schlapp lacht, wenn er einen schlappen Unsportling wie mich nach Dekaden der Inaktivität bei seinen ersten Schritten sieht. Wie er seinen älter gewordenen Leib in Gang zu setzen versucht wie ein anderer seinen Oldtimer, der seit einer Generation in der Garage vor sich hinrostete. Keine so angenehme Vorstellung, wie es da pufft und knallt und das alte Stück doch nicht von der Stelle kommt. Und das Ganze vielleicht noch beobachtet wird, zum Beispiel vom schadenfrohen Nachbarn.

      Dann lieber zu einer Zeit und an einem Ort, wo man ganz sicher unbeobachtet ist. So zumindest mein Ursprungsgedanke. Wie so oft aber kam wieder alles anders: Das ist zur Hälfte meine eigene Schuld, zur anderen Hälfte – Sie ahnen es! – die meines Nachbarn. Des Profi-Hobbyläufers, dieses Prototypen des durchtrainierten Homo sapiens. Ich sprach ihn rundheraus auf mein Vorhaben an. Fataler Fehler, wie ich heute weiß.

      „Sagen Sie mal, lieber Herr Nachbar“, hob ich an, „was meinen Sie, wie sollte ich meine ersten


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