Lasse Laufen. Paul Frommeyer
um die Ohren, vermutlich, um ihm den Eindruck zu vermitteln, zumindest theoretisch auf der Höhe des Themas zu sein.
„Verstehe“, sagte der Nachbar mit bewusstseinsschwangerem Gesichtsausdruck, um mit geradezu priesterlicher Attitüde fortzufahren. „Habe Sie also bekehrt. Saulus wird zum Paulus.“ Dann fügte er an: „Gehen Sie zu einem Lauftreff. Für Sie genau das Richtige.“ Schlussendlich offenbarte er sich noch als der Hohepriester tiefenpsychologischer Einsichten in die Seele eines eingerosteten Oldtimers auf zwei Beinen, wie ich einer war. Sicher wisse er, dass Spezies wie ich die spontane Neigung hätten, sich erst mal zurückzuziehen zum Laufen, Problem alleine angehen pipapo. Alles menschlich, aber falsch. Verstecken sei genau das Verkehrte. Offensiv angehen die Sache, schlug er nachdrücklich vor, Verbündete im Geiste der gemeinsamen Körperertüchtigung suchen, nur keine Scheu haben und so weiter und so fort … Zum Schluss gab er Ort und Zeit eines solchen Lauftreffs durch.
Zwei Tage später stand ich im halbwegs modischen Jogger-Outfit am Parkplatz vor einem heimeligen Waldstück. Was sich bei diesem „Lauftreff“ ereignete, kann ich nur gestrafft wiedergeben. Der Platz reicht für eine umfassende Schilderung nicht aus. Jedenfalls: Ich bin gelaufen. Vielleicht einen Kilometer. War danach natürlich völlig fertig. Körperlich. Tatsächlich vernichtet aber war ich seelisch, geistig, sozial. Nicht dass mich alle – es waren rund ein Dutzend weiterer Lauftreffteilnehmer da – in Grund und Boden gelaufen hätten. Oder mich hätten spüren lassen, wie sehr ich als unsportlicher Sack doch die Bürde des Außenseiters zu tragen habe. Was mich umbrachte, war genau das Gegenteil: Diese Zuwendung, diese Freundlichkeit, die Zartheit im Umgang miteinander, ja die Liebe aller zu jedem war es. Wie in gewissen anderen sozialen Biotopen gesagt wird: „Gut, dass wir drüber geredet haben“, so sagt der regelmäßige Teilnehmer beim Lauftreff: „Du, wirklich super, dass wir gemeinsam gelaufen sind.“ Männlein wie Weiblein fiel derart verbal über mich her. „Ehrlich, du, ich freu mich riesig auf die nächste Woche.“ Dreimal habe ich diese Formulierung gehört.
Ich geh da nie wieder hin. Ich will nicht, dass mir eine Dame mit lila Stirnband in einer, auch noch aufgrund meiner Schwäche eingelegten Pause unaufgefordert die Wade massiert. Ich mag es auch nicht, dass mir ein etwas anämischer Kerl dabei das andere Bein hebt und die Wade hin und her schüttelt, so stressig und mit einer Frequenz wie man sonst vielleicht an einem dünnen Bäumchen rumrüttelt, in der Hoffnung, es könnte ein Maikäfer runterfallen.
Als ich da so auf dem frühlingsweichen Waldboden lag, an der einen Wade die Dame in Lila, an der anderen den Kerl, der meinen verkrampften Muskel wie verrückt schüttelte, da kam mir ein Gedanke: Besser als zu laufen wäre für mich wohl, ich würde eine Selbsthilfegruppe für unsportliche und übergewichtige Männer gründen.
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