Kinder der Zeit. Rudolf Stratz
anders. Schützen kann ich Sie nur, wenn ich mir ein Anrecht darauf geb’! Na — und Schwester oder Cousinchen — dos glaubt einem ja kein Mensch!“
Asta schwieg und wandte den Kopf nicht nach der halblauten Stimme hinter ihr. In der klang bei aller Vergnüglichkeit ein freundlicher Respekt. Dieser einfache Mann aus dem Volke mit schäbigem, feldgrauem Musketiermantel besass einen natürlichen Takt, der sie beruhigte. Sie seufzte nur leise und rührte sich nicht. Der Rucksack war wieder in dem Gepäcknetz verstaut. Aus dem forschte von oben ein tiefer Bass:
„Na — Sie sind wohl heilsfroh, junge Frau, dass Sie ihn wiederhaben — was?“
„Ja“, sagte Asta Oderwolff beklommen, auf dem Knie des Unbekannten sitzend. „Sehr . . .“
„Sind ihm wohl entgegengefahren?“ erkundigte sich ein Kleiner ihr gegenüber.
„Ja. Das bin ich.“
„Wo wohnt ihr denn nachher?“
„In Berlin.“
„Wie lang’ denn schon?“
Herrgott, wie lange bin ich denn schon verheiratet? frug sich Asta Oderwolff . . . Mit vierundzwanzig? „Vier Jahre!“ sagte sie.
„Also gerade kriegsgetraut!“
„Ja.“
„Beim Ausmarsch!“ bestätigte ihr Mann. Er hatte seinen Arm um sie gelegt und stützte sie in dem Schaukeln des schlecht verkuppelten Wagens. Der war nur dämmerig erleuchtet. Aber die Soldaten hatten eine Stallaterne angezündet und an die Dede gehängt. Sie schwankte wild wie in einem Schiff auf hoher See durch die Luft und warf unstete, im Zickzack zuckende Lichtstreifen in jähem Wechsel von Helle und Finsternis über die vielen Männer. Die Soldaten hatten die Fenster fest geschlossen. Die Luft wurde stickig und menschenheiss — grau und trübe von einem Nebel von Tabaksqualm.
Asta Oderwolff sass still und bocksteif da. Sie wagte kaum zu atmen. Sie hielt die Hände im Schoss und schaute vor sich hin und fühlte, wie der Arm des Feldgrauen sie zuweilen beim Schleudern des Wagens in den Geleiskurven schonend fester stützte, dass sie nicht herunterrutschte. Nie mehr als nötig. Er hatte etwas unausgesprochen Achtungsvolles gegen sie. Seine Ritterlichkeit rührte sie. Wenn es nur so blieb . . . Er fragte:
„Sitzt du auch bequem, Mariechen?“
Sie begriff, dass er etwas Liebevolles zu ihr sagen musste, ein Ehemann nach seiner Heimkehr aus dem Felde. Sie zwang sich zu einem innigen Lächeln und antwortete: „Danke! Sehr!“ und fragte sich dabei: Wie heisst er denn nur? Ich muss doch seinen Vornamen kennen . . .
„Möchtest du dich nicht mehr anlehnen?“
„Danke! Es ist nicht nötig . . . Karl!“
Sie brachte es glücklich heraus. So. Nun heisst er Karl. Die Feldgrauen fingen an schläfrig zu werden. Lehnten sich zurück. Pafften. Einer meinte schmauchend:
„. . . ’ne seine Frau haste . . . Die schöne Kluft . . .“
„Hat sie sich alles selber verdient . . . im Krieg . . .“, lobte sie ihr Mann.
,,Als was denn?“
„Damenschneiderin. In den feinsten Häusern.“
„Das sieht man ihr an!“ bekräftigte der Bass aus dem Gepäcknetz.
„Geschmack hat sie . . . Donnerwetter.“
Asta Oberwolff konnte zum Glück, aus Übung der Hofzeit, lächeln, wann sie wollte. Sie tat es auch jetzt und schwieg und fühlte den warmen Atem ihres Gatten von der Seite an ihrer Wange. Sie sah ihn nicht an. Sie dachte sich: Eine reizende Situation für eine Hofdame . . . Wenn das die Oberhofmeisterin sähe . . . die rührte, auf der Stelle der Schlag . . .
Fräulein von Oderwolff musste plötzlich gegen einen innerlichen Lachkrampf ankämpfen, der sie fast erstickte. Sie holte ihr Taschentuch heraus und hielt es vor das Gesicht, um ihre Heiterkeit zu verbeissen — eine ganz unpassende Heiterkeit —, und entsetzte sich dabei vor sich selber: War das schon der Geist der neuen Zeit? Steckte der so schnell an?
Nein. Sie sagte sich: Es war mehr Galgenhumor. Es war so ein tolles Gefühl, dass alles drunter und drüber ging und auf einmal alle Etikette aufhörte und die Leute vor dem Schloss auf den Rasenbosketten laufen durften, ohne dass die Polizei sie aufschrieb, und man hier auf den Knien eines unbekannten Vaterlandsverteidigers thronte, während drüben der angestammte Thron leer und verwaist stand.
Sie bekam es plötzlich mit der Angst: Nun wird er allmählich aus sich herausgehen — den zärtlichen Ehemann spielen. Mich liebevoll schaukeln und tätscheln. Oder gar zu knutschen anfangen, um mir auf seine Weise seine Zuneigung zu bezeigen . . . Grässlicher Gedanke . . . Ich bin ja ganz wehrlos. Ich muss stilhalten. Er kann mit mir machen, was er will.
Aber nichts davon geschah. Der lange Feldgraue sass ganz ruhig da und trug förmlich ehrerbietig seine Last. In einer stillen Achtung. Schonend. Er nutzte seine eheherrliche Gewalt in keiner Weise aus. Er hielt seine Eheliebste auf seinen Knien nur ganz zart, sanft, mit der Hand auf ihrem ungewohnten, etwas knochigen Sitz. Er schien mehr Übung als sie in derlei zu haben. Man fühlte das, trotz seiner Zurückhaltung, Gott weiss wie. Er hatte so eine weiche Art, mit Frauen umzugehen — ganz anders, als er vorhin die Männer angewettert hatte.
„Nicht weinen“, sagte er ihr sanft ins Ohr und sah dabei trotz ihres abgewandten, in das Taschentuch vergrabenen Kopfes, an dem verräterischen Zucken ihrer Wangen, dass ihr der letzte Rest von unterdrückter Lachlust um die Lippen spielte, und lachte vergnügt mit, und beide platzten heraus.
„Immer munter!“ lobte aus dem Gepäcknetz der Bass.
„Alte Eheleute, und tun noch, als seien sie verlobt!“ sagte wohlgefällig der Mann mit der Pfeife.
Das Fräulein von Oderwolff wurde sehr gemessen und das bei dunkelrot und sah dadurch sehr hübsch aus. Sie sass steil aufgerichtet, wie es sich für eine Hofdame gehörte, auf den Knien ihres Mannes, ohne ihn anzuschauen, so wie auf einem Koffer beim Zugwechsel auf dem Bahnsteig. Er lachte immer noch herzlich.
„Sie tun mir ja leid! Aber ich kann’s nicht ändern!“ sagte er leise. Die Soldaten hörten es nicht. Da wandte sich wieder der Landsturmmann von gegenüber zutraulich qualmend an sie:
„Wieviel Kinder habt ihr denn?“
„Drei!“ entschied der Gatte. „Den Georg, das Lisettchen und den kleinen Karl! Du musst nicht so verängstigt dasitzen, Schatz! Die Kameraden tun dir nichts!“
„I wo werden wir denn!“
„Mögen Sie Schokolade?“
Eine braune Hand vom Bocken bot treuherzig an. Asta Oderwolff schüttelte scheu den Kopf: „Danke . . .“
„Es ist ihr halt ungewohnt!“ meinte ihr Mann. „Müde ist sie auch! Nun wärm’ dir mal ein bisschen die Augen, Mariechen! Ruh’ dich aus.“
Er rückte sich mit einem lächelnden Mitgeführ zurecht. Seine Stimme war gut wie die eines besorgten Gatten.
„Flink, Mariechen! Du kannst nicht immer so steif wie ein Ladstock dasitzen! Das hältst du auf die Dauer nicht aus. Nun zier’ dich mal nicht! Kuschel dich mal mollig an meine Schulter! Die Kameraden nehmen das nicht krumm!“
„Nich ’ne Bohne, liebe Frau!“
Er berührte ganz sanft mit der Hand ihren dunkelbraunen Haarknoten und schob ihr den Kopf zurück, dass der seine Brust berührte. Sie liess es geschehen. Sie war so erschöpft von der Aufregung dieser Stunden, dass sie froh war, eine Stütze für ihre hämmernden Schläfen zu finden. Sie liess ihr Haupt da, wo er es hingebracht. Sie legte es an das graue, fadenscheinige, entlauste Tuch des Soldatenmantels, in dem gerade vor ihrer Backe ein geflicktes Schutzloch sass. Sie hörte mit matt geschlossenen Augen, wie ihr Mann rauchend den Nebensitzenden ihr Lob verkündete und sie dabei schützend mit den Armen umfangen hielt.
„Eine Perle von einer Frau! Jetzt ist sie ja ein bisschen