Wirren um Liebe. Anny von Panhuys

Wirren um Liebe - Anny von Panhuys


Скачать книгу
die Person draußen vorbei war.

      Etwas heiser fragte er: „Wie komme ich denn hierher? Mir scheint, ich befinde mich in Ihrer Wohnung.“

      Er erhob sich ungeschickt und versuchte krampfhaft, Haltung zu bewahren, aber ihm war verflixt flau zumute. Die Diele mit den hellen Eichenmöbeln schien sich mitsamt der hübschen Regina Ißberg um ihn zu drehen wie ein Karussell.

      Er brummte: „Stehen Sie doch endlich mal still, wenn ich mit Ihnen spreche!“

      Hellauf lachte das Mädel. War es Übermut, Spott, Zorn oder alles zusammen? Es genügte jedenfalls, ihn ziemlich stark zu ernüchtern, erreichte ungefähr die gleiche Wirkung, als hätte man ihm eine Kanne eiskaltes Wasser über den wirren Kopf geschüttet.

      Er stand plötzlich viel gerader, fuhr sich mit der Rechten über das Haar, das sich, durch tägliches Bürsten an eine bestimmte Lage gewöhnt, sofort fügte.

      „Warum lachen Sie mich aus?“ fuhr er Regina an.

      Sie warnte: „Seien Sie vorsichtig und sprechen Sie nicht zu laut, es könnte draußen gehört werden. Und damit Sie Bescheid wissen, ich habe Sie hier zu uns hereingeschleift, weil Sie draußen schlafend auf dem Flur vor unserer Tür lagen. Ich wollte nicht, daß irgendwer Sie in dem abscheulichen Zustand sähe.“

      „Sie wollten das nicht?“ wiederholte er und schüttelte verständnislos den Kopf. „Es kann Ihnen doch gleichgültig sein, in welchem Zustand jemand mich sieht.“

      Er wollte zur Tür. Da entdeckte sie, daß er neben dem rechten Ohr blutete. Sie stellte sich ihm in den Weg.

      „So, wie Sie jetzt aussehen, sollten Sie nicht hinauf zu Ihrer Mutter gehen. Waschen Sie sich lieber erst. Sie bluten an einem Ohr und sehen außerdem so aus, daß Ihre Mutter, falls sie schon auf sein sollte, sehr erschrecken würde. Das müssen Sie ihr ersparen. Gehen Sie in unsere Badestube und machen Sie sich dort zurecht. Unsere Aufwärterin kommt erst gegen sieben Uhr. Jetzt befindet sich niemand außer uns beiden in der Wohnung. Meine Eltern sind verreist, also kann keiner von Ihrer jetzigen Verfassung etwas erfahren.“

      Er machte eine Bewegung, als wollte er sich auflehnen gegen ihre nüchterne, ruhige Anordnung, aber er biß sich auf die Lippen und schwieg. Da drüben der schmale Gang führte in die Badestube, die Wohnungseinteilung war ja im ersten Stock bei seiner Mutter die gleiche wie hier. Ohne noch eine Silbe zu äußern, setzte er sich in Bewegung, und Regina hörte gleich darauf, wie der Riegel vor die Tür der Badestube geschoben wurde.

      Sie kehrte in ihr Schlafzimmer zurück und trat vor den Spiegel. Erst jetzt wurde sie sich wieder dessen bewußt, daß sie Dieter Lindner im Bademantel und mit offenen Zöpfen gegenübergestanden hatte. Trotzdem nickte sie sich zufrieden zu. Ganz ordentlich sah sie aus, aber nun wollte sie sich doch lieber rasch waschen und anziehen.

      Das tat sie denn auch, und zehn Minuten später war sie tadellos angekleidet, trug nun einen einfachen dunkelgrauen Rock und eine weiße dünne Bluse mit viereckigem Ausschnitt. Ein goldenes Kettchen mit einem Glückskleeblatt aus grünem Email lag um den schlanken Hals und ihr glattgescheiteltes Braunhaar war im Nacken zum Knoten zusammengenommen. Ein rosiges, frisches und kräftiges Jungmädel war sie. Sie warf nur einen sehr flüchtigen Blick in den Spiegel und ging dann hinüber ins Wohnzimmer, dessen Tür weit hinter sich offen lassend, so daß man sie von der Diele aus sehen konnte, und wartete, bis sich durch den schmalen Gang von der Badestube her Schritte dem Wohnzimmer näherten.

      Dieter Lindner trat bei ihr ein.

      Er sah sehr sauber aus und duftete nicht mehr nach Alkohol. Sein Kragen war freilich noch verknittert, die Augen waren verschwommen und der Haltung mangelte die natürliche Straffheit, die Regina immer so besonders an Dieter Lindner gefallen hatte.

      „Ich danke Ihnen für Ihre Güte, Fräulein Ißberg, und bitte um Verzeihung für die Umstände, die ich Ihnen bereitet habe“, sagte er.

      Es klang kalt und gleichgültig, als hätte er sich den Satz, während er sich im Badezimmer befand, immer wieder vorgesprochen, bis er ihn auswendig konnte.

      Ein bißchen mehr Freundlichkeit und Wärme hätte ich doch wohl verdient, dachte Regina. Sie sah ihn an.

      „Sie brauchen mir gar nicht zu danken. Mir lag eben daran, meines Vaters Haus sauber zu halten. Wenn jemand Sie so, wie Sie draußen lagen, gefunden, hätte man vielleicht gesagt: Schöne Mieter hat Doktor Ißberg.“

      Nicht im mindesten hatte sie gedacht, was sie eben behauptet, aber sie hatte sich geärgert über seinen allzu gleichgültigen Dank.

      Er aber war schon nüchtern genug, um sich gekränkt zu fühlen. Mit einer sehr förmlichen Verbeugung sagte er:

      „Ich darf aus demselben Grund — ich meine, weil Sie Ihres Vaters Haus sauber zu halten wünschen — wohl auch hoffen, daß Sie das Abenteuer von heute früh gegen jedermann verschweigen werden.“

      Sie neigte den Kopf.

      „Damit dürfen Sie natürlich rechnen, ich verspreche es Ihnen fest; selbst meine Eltern sollen nichts davon erfahren.“

      Den Hut in der Hand, erwiderte er: „Ich danke Ihnen für das Versprechen und will jetzt gehen.“ Er grüßte, und sie begleitete ihn bis zur Tür.

      Da — gerade, als sie diese öffnete und oeide zusammen im Türrahmen standen, sahen sie sich Frau Gerhard aus dem zweiten Stock gegenüber, die soeben fortgegangen war und eben das Haus wieder betreten hatte. Sie pflegte seit kurzem täglich mit der Schäferhündin Diana einen kurzen Frühausgang zu machen.

      Regina war, als müsse sie sich vor den immer etwas dreisten Augen Frau Else Gerhards in ein Mauseloch verkriechen.

      Sie wurde rot bis zu den Schläfen — vor diesen Augen und vor dem niederträchtigen Lächeln, das um den schmalen Frauenmund lag.

      Frau Gerhard grüßte und meinte: „Oh, sind Ihre Eltern schon von der Reise zurück, Fräulein Regina?“

      Sie besann sich keinen Augenblick. Heute würden Vater und Mutter ja wiederkommen, aber erst nach Mitternacht. Mochte die so abscheulich Lächelnde ruhig glauben, sie wären schon hier.

      Sie nickte also: „Gerade sind sie angekommen, und Herr Lindner, der schon heute morgen zum Baden gegangen war, kam gerade zurecht, um den Koffer vom Auto reintragen zu helfen.“

      Wie auf ein scharfes Kommando versch wand das Lächeln, das Regina so sehr beleidigte, und freundlich sagte der schmallippige Mund: „Wir scheinen das Haus der Frühaufsteher zu sein. Ihre Frau Mutter, Herr Lindner, sah ich von der Straße aus auch schon zum Fenster hinausschauen.“

      Dieter Lindner nahm mit ein paar Sätzen die Treppe. Er war jetzt vollkommen nüchtern und begriff, in welche peinliche Lage Regina Ißberg durch ihn hätte kommen können. Zum Glück renkte sich, wie es schien, noch alles ein.

      Frau Gerhard nickte Regina zu und schnalzte mit der Zunge: „Komm, Diana! Komm, mein gutes Hundchen!“

      Regina schloß die Wohnungstür und blieb in der Diele stehen mit fest verschlungenen Händen.

      Die unvermutete Begegnung war noch leidlich gut abgegangen, aber seit dem abscheulichen Lächeln Frau Gerhards war es, als läge ein Alpdruck auf ihrer Brust.

      Der Tag hatte nicht gut begonnen.

      2.

      Drei Stunden später traf Frau Gerhard, als sie in der Nachbarschaft einkaufte, die Aufwärterin von Ißbergs bei einer Gemüsehändlerin und meinte: „Jetzt muß gleich wieder mehr eingekauft werden für die Mahlzeiten, nicht wahr, weil Herr und Frau Doktor Ißberg zurückgekommen sind?“

      Die Schwemmert schüttelte den Kopf.

      „Die sinn noch janich zurück, Herr und Frau Doktor kommen erst heute nacht wieder.“

      Else Gerhard stutzte und fragte schnell: „Wissen Sie genau, daß sie noch nicht wieder da sind? Mir war es doch so, als wären sie heute früh vorgefahren.“

      „Ausgeschlossen!


Скачать книгу