Wirren um Liebe. Anny von Panhuys

Wirren um Liebe - Anny von Panhuys


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die muß es wissen“, gab Frau Gerhard in so sonderbarem Ton, zu, daß Frau Schwemmert dachte: Eine ganz komische Frau, die Frau Gerhard. Machte die sich lustig über sie? Sie mochte die Gerhard mit ihrer Neugierde überhaupt nicht.

      Also Doktor Ißberg und Frau waren noch nicht von ihrer kleinen Reise zurück; Dieter Lindner aber war morgens gegen sechs Uhr aus der Wohnung gekommen. Daß die Schwemmert erst um sieben Uhr anzutreten brauchte, wußte Frau Gerhard ja.

      Regina Ißberg hatte demnach gelogen, als sie behauptete, die Eltern wären heute früh zurückgekehrt und der zufällig vom Baden kommende Dieter Lindner hätte den Koffer aus dem Auto in die Wohnung gebracht. Alles war Lüge. Die Schwemmert wußte nichts von der Rückkehr der Eltern Ißberg, und das genügte vollkommen.

      Hm, eine sonderbare Geschichte! Man fand sich da nicht gleich zurecht.

      Regina Ißberg und Dieter Lindner!!

      Frau Gerhard brachte ihre Neuigkeit zuerst bei ihrem Mann an. Dieser, ein stattlicher Vierziger, mit gutmütigem Gesicht machte eine heftig abwehrende Bewegung.

      „Else, ich bitte dich, brocke dir und uns kein ungenießbares Süppchen ein. Der Himmel mag wissen, wie sich das alles verhält, jedenfalls geht es uns nichts an. Rede nur niemand gegenüber davon. Sowas kann gefährlich werden, und man lädt sich leicht eine Ehrenbeleidigungsklage auf den Hals. Ich habe viel übrig für Regina Ißberg, und wer sie richtig anguckt, weiß, an dem Mädel ist alles goldecht.“

      Die Frau fragte gereizt: „Bei unserer Hansi ist das wohl anders, was? Bei der hält man wohl nicht gleich alles für goldecht, nicht wahr?“

      Er lachte: „Hansi ist ein lieber Kerl, aber an Regina Ißberg kann das Küken natürlich noch nicht ran.“ Er wurde ernst: „Du gibst dir freilich alle Mühe, Talmi aus ihr zu machen. Zum Glück entwickelt sie sich in der Beziehung nicht so, wie du es gern möchtest. Taube Nüsse mag ich nicht.“

      Sie fuhr gereizt auf ihn los: „Ich bin also in deinen Augen eine taube Nuß, nicht wahr? Ist ja recht nett, was du mir da schon am Vormittag sagst.“ Sie spottete: „Und du bist doch der tauben Nuß nachgelaufen, warst verzweifelt, als sie nicht gleich deine Frau werden wollte.“

      Er lächelte versöhnlich: „Laß doch, Else! Wozu die Aufregung? Wir zwei sind vor unserem Ehewägelchen längst gründlich eingefahren. Ich werde nur manchmal widerborstig, wenn ich an Hansi denke. Das Mädel hat Werte, aber du möchtest durchaus ein Püppchen aus ihr machen, und ich will so ’n kerniges Geschöpf zur Tochter haben, wie Regina Ißberg eins ist.“

      Sie nickte heftig. „Natürlich, gerade so eine wie die Komödiantin gefällt dir.“

      Bums! schlug eine Tür zu, und die junge Hausgehilfin in der Küche zuckte zusammen. Wenn Frau Gerhard eine Wohnungstür zuwarf, war sie nachher immer ziemlich schimpffreudig aufgelegt und ließ ihren Ärger an ihr aus. Richtig, es ging schon los!

      Frau Gerhard fegte in die Küche hinein und schrie: „Warum sind noch keine Kartoffeln geschält? Warten Sie vielleicht auf die Unterstützung der Heinzelmännchen? Die gibt’s bloß im Märchen, meine Liebe, die kommen längst nicht mehr, um die Faulheit zu unterstützen.“

      Ursel Stolp spürte, wie es unter ihren Lidern brannte. Sie war nicht faul, sie rackerte sich brav ab vom Morgen bis zum Abend, aber nie ward ihr dafür auch nur ein einziges Wort des Lobes zuteil. Und das braucht ab und zu jeder, der sich alle Mühe gibt, seine Arbeit möglichst gut zu machen.

      „Sie möchten mir wohl jetzt was vorheulen?“ schalt Else Gerhard. „Das verbitte ich mir. Ich bin nervös und vertrage keine Heulerei. Nehmen Sie sich zusammen und arbeiten Sie.“

      Ursels frisches Gesicht war ein bißchen blaß geworden, aber sie weinte nicht. Hart sein muß man! mahnte sie sich selbst. Es lohnte sich nicht, solche Dinge schwer zu nehmen. Sie hatte Pech gehabt mit ihrer ersten Stellung; allzu schlimm war es schließlich nicht. Manchmal war Frau Gerhard ganz nett, und dafür mußte man ab und zu mal einen ungerechten Vorwurf einstecken können.

      Frau Schwemmert, die schon seit zehn Jahren die Aufwartung bei Doktor Ißberg besorgte, kam mit ihren Einkäufen nach Hause. Regina trat zu ihr in die Küche, und während die Frau ihre Einkäufe auspackte, fragte Regina leichthin: „Nun, Schwemmerten, gibt’s etwas Neues?“

      Sie trug noch immer den Alpdruck von der Begegnung mit Frau Gerhard mit sich herum und hoffte, sich durch oberflächliche Unterhaltung davon befreien zu können.

      Sie erhielt von der grauhaarigen Liese Schwemmert die Antwort: „Ach, ville Neuet weiß ick och nich, Fräulein Rejina. Bei’s Einkaufen habe ick die Gerhardsche von oben jetroffen, die hat jefragt, ob Ihre Eltern schon hier sinn.“

      Reginas Alpdruck verstärkte sich. Ihr Herz klopfte plötzlich stark und schmerzhaft.

      Sie fragte: „Und was haben Sie ihr geantwortet, Schwemmerten?“

      Die Frau sah sie etwas erstaunt an.

      „Wat sollte ick denn anders antworten, als dett Ihre Eltern erst heute nacht kommen?“

      „Ja, was sollten Sie anders antworten!“ echote Regina und sah dabei aus, als wäre es etwas ganz Fürchterliches, was sie bestätigen mußte.

      Sie nahm mechanisch die Kohlrabis auf und legte sie wieder hin.

      „Sehr schön ist das Gemüse, ich esse es gern, und die Eltern mögen es auch.“

      Frau Schwemmert fragte: „Wat is denn mit Sie los, Fräulein Rejina? Sie sehen janz verkwast aus, als wäre Sie nich jut.“

      „Mir ist auch wirklich nicht gut“, quälte Regina hervor, ließ die Frau stehen, lief hinüber in ihr Schlafzimmer und grübelte: Was für dummer Schnack konnte aus der Geschichte von heute morgen entstehen, wenn Frau Gerhard nicht den Mund hielt!

      Sie wußte, sie könnte es den Eltern nicht erzählen, daß Dieter Lindner so häßlich betrunken gewesen war, und daß sie ihn in die Wohnung geschleift hatte, damit nur niemand ihn so verkommen sehen sollte. Sie würden mit Recht fragen: Was ging denn dich der Mensch an? Und könnte sie antworten: Ich mag ihn so gern und wollte ihm beistehen? Auch seine Mutter tat mir leid!

      Nein, sie könnte das nicht antworten.

      Sie überlegte und beschloß, Frau Gerhard die Wahrheit zu sagen und sie um Schweigen zu bitten. Auf diese Weise würde sich wahrscheinlich alles am besten aus der Welt schaffen lassen. Ihr blieb auch kein anderer Weg übrig.

      Aber hatte sie Dieter Lindner nicht Schweigen versprochen? Durfte sie das Versprechen brechen?

      Nein, das durfte sie nicht, ohne durch ihn von ihrem Versprechen entbunden zu sein.

      Sie faßte sich an die Stirn. Ihr war, als spüre sie dahinter deutlich das aufgeregte Hin- und Herflattern ihrer Gedanken. Plötzlich mußte sie lachen. Ein kurzes, befreiendes Lachen war es. Mit was für Gedanken plagte sie sich eigentlich herum? Was war denn groß geschehen? Frau Gerhard dachte sicher nicht daran, weiterzuerzählen, was sie gesehen hatte, und wenn sie es doch tun würde, würde Dieter Lindner nicht zögern, jedermann zu erklären, wie er zu seinem Frühbesuch bei ihr gekommen war. Von jetzt an wollte sie nicht mehr daran denken. Sie war von Natur ein so frohgemutes Menschenskind, daß sie nicht leicht über Schwierigkeiten stolperte, und allzu viele waren auch noch nicht auf ihrem jungen Lebensweg gewesen.

      Sie freute sich sehr, daß sie Dieter Lindner einen Dienst hatte erweisen können. Und so widerlich ihr Betrunkene auch waren, sie suchte nach Entschuldigungsgründen für ihn. Es wäre traurig gewesen, wenn man im Hause über ihn gelacht hätte.

      Weshalb soll ein Mann nicht mal gelegentlich ein paar Glas mehr trinken, als gerade nötig ist? Wahrscheinlich hatte er mit Freunden gefeiert. Und einmal ist keinmal.

      Sie entschuldigte das, was sie im ersten Augenblick maßlos erschreckt hatte, und reinigte auf diese Weise ihre Erinnerung von dem abscheulichen Bild, das sich ihr geboten, als sie heute früh auf den Flur hinausgetreten war.

      Kurz nach Mitternacht fuhr eine Autotaxe mit den Eltern vor. Sie hatten


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