Windsbraut. Ursula Isbel-Dotzler

Windsbraut - Ursula Isbel-Dotzler


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davon durch eine Trennwand abgeteilt, um einen zusätzlichen Flur zu schaffen. Es war jetzt nur noch eine Glastür im Zimmer. Der Mann aber hatte eine schwere Eichentür zugeschlagen. In dieser Nacht, als die Gestalt erschien, war Lady Lukas der Raum auch bedeutend größer vorgekommen als für gewöhnlich.«

      Vater unterbrach sie wieder. »Was ja bedeuten würde, dass Lady Lukas damals in eine frühere Zeit zurückversetzt war – in die Zeit nämlich, als dieser Mann lebte und der Raum noch anders aussah und anders eingerichtet war.«

      Mir wurde immer unheimlicher. Ich wäre am liebsten aufgestanden und aus dem Haus gegangen, hinaus in den Sonnenschein, um nichts mehr hören zu müssen. Fast gegen meinen Willen blieb ich sitzen und Simon, den nicht so leicht etwas erschrecken konnte, fragte: »Das ist aber doch sicher schon mehr als zwanzig Jahre her. Schläft denn heute noch einer in diesem Zimmer?«

      Mama schüttelte den Kopf. »Nein, es wird nicht mehr benutzt. Lady Lukas sagt, es sei nicht bewohnbar. Bedienstete behaupten, sie hätten manchmal auch das Schluchzen eines Kindes aus diesem Raum gehört.«

      »Ich habe gefragt, ob die Möglichkeit besteht, dass ich mal eine Nacht da verbringe, aber das wollte sie nicht«, fügte mein Vater hinzu.

      »Vielleicht, weil es ja überhaupt nicht echt spukt«, meinte Simon. »Womöglich hat Ihre Gnaden Angst, man könnte nachweisen, dass die ganzen Schauergeschichten frei erfunden sind. Sie lebt schließlich davon.«

      Mama zündete sich eine Zigarette an. »Nein, du, das glaube ich nicht. Erstens ist es sowieso fast unmöglich zu beweisen, dass es einen Spuk nicht gibt. Und zweitens ist an der Sache wirklich etwas dran, ich spür’s in meinen Knochen. Übrigens soll Darkwood Hall auf den Resten eines keltischen Heiligtums erbaut worden sein. Die Kelten nannten ihre heiligen Plätze ›Grenze‹. Es waren gefährliche Orte, wo man unversehens von der Wirklichkeit in eine übernatürliche Welt stolpern konnte, wenn man nicht aufpasste.«

      Vater machte ein nachdenkliches Gesicht. »Der Herrensitz scheint ja tatsächlich eine Art Spukzentrum zu sein – es gibt da eine Menge von verschiedenartigen Erscheinungen, die offenbar nichts miteinander zu tun haben, sondern auf ganz unterschiedliche Begebenheiten aus mehreren Jahrhunderten zurückgehen. Zum Beispiel dieser Geist in Reitkleidung, der ab und zu durch eine Wand in der Bibliothek tritt, hinter der sich eine längst zugemauerte Treppe befindet.«

      Während er Luft holte, fügte Mama rasch hinzu: »Unten in der Cafeteria, die Lady Lukas für Besucher eingerichtet hat, ist auch schon mehrmals das wilde Getrappel von Pferdehufen gehört worden.«

      »Pferdehufe?«, wiederholte ich. Meine Stimme klang dünn.

      Meine Eltern sahen mich an. Ihre Blicke waren plötzlich höchst interessiert, so als hätten sie eine ganz neue, überraschende Seite an mir entdeckt.

      »Ja, das ist in der Tat recht merkwürdig«, äußerte mein Vater. »Du hast ja auch nachts dieses Hufgetrappel gehört …«

      Wenn ich jetzt gesagt hätte, dass ich mich unbehaglich fühlte, wäre das gewaltig untertrieben gewesen. Simon merkte es als Einziger.

      »Seht sie nicht an wie eine Henne, die goldene Eier legt!«, sagte er. »Und überhaupt, für heute reicht’s mit dem Horrorszenario. Komm, Bella, wir gehen ins Dorf, Eis essen.«

      Unterwegs trafen wir Rebecca. Das heißt, wir trafen sie nicht, sie tauchte vielmehr hinter dem Gartentor auf, als wir vorbeigingen, und wir luden sie zum Eis ein.

      Sie kam mit, wie sie war, in ihrer Reithose und in eine Wolke von Stallgeruch gehüllt. Klar, dass wir schon nach zehn Minuten über Darkwood Hall redeten. Rebecca kannte natürlich alle Gerüchte, die in St. Mary in the Woods über den Spuk im Herrenhaus verbreitet wurden.

      »Die Lady ist selbst nicht ganz richtig im Kopf«, sagte sie und tippte sich dabei an die Stirn. »Meschugge, durchgedreht. Ihr Mann ist ihr schon vor Jahren weggelaufen, weil er in diesem Bunker nicht mehr leben wollte. Eins ihrer Kinder ist als Baby plötzlich in einem dieser komischen Zimmer gestorben. Und ihr Sohn ist nach Kanada abgedüst. Aber sie ist einfach nicht bereit, Darkwood Hall aufzugeben.«

      »Vielleicht kriegt sie’s ja nicht los«, meinte Simon. »Und ich nehme an, sie lebt davon.«

      »Klar würde sie die Hall loskriegen. Es waren schon allerhand Leute da, die ihr jede Menge Geld dafür geboten haben. Eine Filmfirma und irgend so ein stinkreicher Japaner …«

      Ich feilte an einem Satz. Endlich brachte ich ihn heraus.

      »Vielleicht gehören das Haus und der Spuk ja für sie zu ihrem Leben und ihrem Schicksal«, sagte ich.

      Rebecca musterte mich überrascht. Vermutlich wunderte sie sich, dass ich überhaupt mehrere zusammenhängende Worte sprechen konnte, noch dazu in verständlichem Englisch. Dann schüttelte sie den Kopf.

      »Wie kann man mit Gespenstern leben wollen?«, fragte sie.

      »Die Menschen sind verschieden«, sagte Simon. »Glauben denn die Leute im Ort, dass an den Spukgeschichten etwas Wahres ist?«

      »Sicher. Es gibt ja ein paar, die selbst schon einiges davon mitbekommen haben. Bedienstete aus der Hall, die im Dorf leben. Den Mann in Reituniform hat die Mutter unserer Putzfrau selbst gesehen, als sie noch jung war und da oben sauber gemacht hat.«

      »Gibt es auf Darkwood Hall Pferde?«, fragte ich.

      »Jetzt nicht mehr. Früher hatten sie wohl mal einen großen Reitstall. Die Überreste kann man noch sehen. Es gab bestimmt Platz für zwanzig Pferde. Der Urgroßvater von Lady Lukas war ein leidenschaftlicher Reiter. Vielleicht ist das ja auch der Typ, der ab und zu mal in der Bibliothek auftaucht.«

      »Stimmt es, dass man in der Cafeteria gelegentlich Hufgetrappel hören kann?«, wollte Simon wissen.

      »Ja, klar, eine Freundin hat es selbst gehört, als sie letzten Sommer mit ihren Eltern zu Besuch hier war und die Hall besichtigt hat. Sie sagt, es klang total gruselig, so, als würde ein ganzes Heer von Reitern über den Schlosshof galoppieren. Aber als sie aus dem Fenster sahen, war da kein einziges Pferd, nur die parkenden Autos.«

      In der folgenden Nacht schlief ich kaum. Ich lag in dem zu kurzen Bett und wartete und lauschte. Das Licht ließ ich brennen.

      Stunde um Stunde verging, doch nichts geschah. Ich hörte die Geräusche der Nachttiere – die Rufe der Käuzchen, das Gebell der Füchse, den entsetzten Schrei eines Vogels, der von einem Raubtier getötet wurde. Aber kein Hufschlag erklang, weder um Mitternacht noch später, als die Zeiger meiner Armbanduhr auf zwei standen. Und als gegen fünf Uhr morgens der erste Hahn krähte, wusste ich, dass die Nacht um war, und schlief endlich ein.

      Beim Frühstück stand ich für kurze Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

      »Hast du etwas gehört?«, fragte mein Vater, sobald ich noch ziemlich schlaftrunken auf die kleine Terrasse trat, wo Simon und meine Eltern in der Morgensonne saßen.

      Ich schüttelte den Kopf und gähnte.

      »Versprich, dass du uns sofort weckst, falls sich in den kommenden Nächten irgendetwas Außergewöhnliches tut!«, schärfte Mama mir ein und fügte, an meinen Vater gewandt, hinzu: »Vielleicht entwickelt Bella ja einen Draht für übersinnliche Dinge, jetzt, wo sie in der Pubertät ist.«

      »Besten Dank, darauf kann ich gern verzichten«, murmelte ich.

      Der Tee schmeckte scheußlich. Meine Mutter kann überhaupt nicht kochen, nicht einmal Tee oder Kaffee.

      »Wenn man zur Spökenkiekerei veranlagt ist, ist man es, ob man will oder nicht«, belehrte mich mein Vater und biss genüsslich in sein Toastbrot.

      Nachmittags ging Simon zu Rebecca, um auf ihrer Stute Lilybeth zu reiten. »Komm doch mit!«, sagte er, aber ich hatte keine Lust und fühlte mich auch nicht eingeladen. Ich nahm meinen Fotoapparat und wanderte los, wobei ich mich möglichst weit von Darkwood Hall entfernte. Doch als ich auf einen kleinen Hügel stieg, um die weiten, geschwungenen Wiesen, die sanften Anhöhen und die Schafweiden zwischen den Hecken zu fotografieren, sah ich das Herrenhaus unter mir


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