Windsbraut. Ursula Isbel-Dotzler

Windsbraut - Ursula Isbel-Dotzler


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und seltsam dämmrig. Tau lag auf den Blättern und den silbernen Spinnwebfäden, die sich von Zweig zu Zweig spannten.

      Das Wäldchen bestand aus einem dicht ineinander verwobenen Gespinst von Brombeerranken, Wildrosensträuchern und mit Waldreben verhangenen, riesigen Bäumen. Wie ein Tunnel führte der Pfad in dieses grüne, kühle Gewölbe aus Laub und Zweigen.

      Obwohl ich gerade noch den Wind auf meiner Haut und in meinen Haaren gespürt hatte, war es hier vollkommen windstill. Kein Blatt bewegte sich, kein Vogel huschte im Geäst, keine Tiere raschelten im Laub, das den Waldboden bedeckte.

      Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Ich wollte umkehren, doch etwas zog mich weiter, ein Drang, der nichts mit Neugier oder Abenteuerlust zu tun hatte. Dann, in all der Stille und Reglosigkeit, an diesem Ort, der wie das Innere eines Zauberbergs war, nahm ich plötzlich einen Geruch wahr, den ich kannte: den scharfen, aber angenehmen Geruch nach Pferden.

      Der Pfad führte jetzt steil bergab. Als ich um die nächste Wegkrümmung kam, sah ich in einer Senke, halb verborgen zwischen Eichen und Rotbuchen, eine Gruppe von Reitern mit ihren Pferden.

      Die Pferde standen dicht gedrängt, streckten die Köpfe vor, kauten am Gebiss, tänzelten unruhig. Seltsam aber waren die Reiter. Sie trugen Uniformen und an Stelle von Reithelmen wunderlich geformte Hüte. Doch was vor allem meine Aufmerksamkeit erregte, war die Anspannung, die von ihnen ausging.

      Stumm saßen sie auf ihren Pferden, sahen alle in eine Richtung, weg von mir, und schienen aufmerksam zu lauschen. Einer von ihnen hatte die Hand erhoben und deutete nach links. Mich nahmen sie offensichtlich nicht wahr.

      Die Art, wie sie sich da im Dämmerlicht des Dickichts zusammendrängten, sich zwischen den Bäumen verbargen, jagte mir eine ganze Serie von Schaudern über den Rücken. Ich spürte, dass sie Angst hatten – ja, eine schreckliche Furcht ging von ihnen aus, hing wie eine Wolke über ihnen und übertrug sich auch auf mich.

      Ich trat einen Schritt zurück, in den Schutz eines überhängenden Strauches. Mein Mund war plötzlich trocken, meine Hände zitterten. Eines der Pferde schnaubte.

      Wieder wollte ich umkehren und den Weg zurücklaufen, so schnell ich konnte, doch aus Angst, mich zu verraten, blieb ich und beobachtete, wie einer der Reiter etwas Merkwürdiges tat: Er schwang sich vom Pferd, trat zwischen den Baumstämmen hervor, kniete auf dem Pfad nieder und legte den Kopf seitlich auf den Boden.

      Ich dachte: Das gibt es nicht, das ist nur ein verrückter Traum! Und doch stand ich da, roch die Pferde, spürte die Zweige und taufeuchten Blätter in meinem Nacken. Und dann, während der Mann noch dort kauerte, hörte ich jäh das ferne Trappeln von Pferdehufen und begriff, was er da machte.

      In der nächsten Sekunde schon sprang er auf. Die Reiter – es waren ungefähr ein Dutzend – wechselten geflüsterte Worte. Ich hörte nicht, was sie sagten, sah nur, wie sich ihre Lippen bewegten.

      Dann hielten sie plötzlich Waffen in den Händen – lange, blitzende Degen oder Bajonette und auch ein paar altmodische silberbeschlagene Handfeuerwaffen, die wie eine Mischung zwischen Gewehr und Pistole wirkten.

      Das Hufgetrappel wurde lauter, schwoll bedrohlich an wie eine Woge, die übers Meer rollt und gegen Uferfelsen donnert. Ein Teil von mir wusste, dass das Geräusch Unheil und Tod bedeutete, so, als wäre ich einer der Reiter dort unten und teilte ihr Geheimnis. Und doch hatte ich keine Ahnung, worum es ging, konnte die Panik nicht erklären, die sich immer stärker in mir ausbreitete.

      Eines der Pferde wieherte schrill. Mich durchzuckte der Gedanke, dass es uns verraten hatte. Denn jetzt wussten sie, wo wir waren, und nichts konnte sie mehr aufhalten.

      Endlich löste sich der Bann, der mich lähmte. Ich wandte mich ab und rannte den Weg zurück, den ich gekommen war, ohne mich noch einmal umzuschauen, ohne mich darum zu kümmern, ob die Reiter mich sahen, stolpernd und keuchend und nur von dem Gedanken beherrscht zu fliehen, ehe sie das Wäldchen erreichten.

      Das Blut rauschte in meinen Ohren und übertönte das Klappern der Hufe. Doch als ich das Ende des grünen Tunnels vor mir sah und den Waldrand fast erreicht hatte, erklang ein Schuss.

      Ein zweiter folgte, eine ganze Serie von Schüssen, die irgendwo hinter mir, in der Tiefe des Dickichts, mit pfeifendem, peitschendem Ton die sommerliche Luft durchschnitten.

      Blindlings raste ich weiter. Und kaum hatte ich die Grenze des Wäldchens überschritten, war plötzlich alles wie verwandelt. Stille und Frieden umfingen mich; ich hörte nichts als das Singen der Lerchen und das ferne Blöken der Schafe. Die Sonne schien und ein warmer Wind, der nach Gras und Sommerblumen duftete, strich über mein Gesicht.

      Kein Schuss war mehr zu hören, kein Getrappel von Pferdehufen, kein Gewieher. Trotzdem wagte ich noch immer nicht, mich umzusehen, jetzt nicht und auch nicht während der ganzen Wegstrecke zurück zum Mousehole Cottage.

      Der Einzige, dem ich erzählte, was ich erlebt hatte, war Simon. Am selben Abend saßen wir auf der Bettkante in seinem Zimmer und er sagte: »Das muss ich mir ansehen. Gleich morgen früh gehen wir gemeinsam hin!«

      Da gibt es nichts mehr zu sehen, sie sind alle längst tot!, ging es mir durch den Sinn, doch ich sprach es nicht aus. Ich wollte nicht wieder zum Wäldchen zurück; zugleich aber lag mir viel daran, dass Simon mir glaubte; und ich hoffte, dass ich vielleicht alles begreifen würde, wenn er bei mir war.

      Doch manche Rätsel lassen sich niemals lösen. Wir gingen am nächsten Morgen den gleichen Weg, über die Brücke, an dem verfallenen Mühlengebäude und der Schafweide vorbei, kletterten über denselben Zauntritt. Das Wäldchen aber fanden wir nicht, so lange wir auch danach suchten.

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