Als wäre nichts geschehen. Walther von Hollander

Als wäre nichts geschehen - Walther von Hollander


Скачать книгу
p>

      Walther von Hollander

      Als wäre nichts geschehen

      Roman

      Saga

      Als wäre nichts geschehen

      © 1951 Walther von Hollander

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711474495

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      1

      Gespräch im Obstgarten über Emmy

      Es war ein Herbsttag, genau gesagt, der 9. September. Die Sonne schien warm in den etwas verwilderten Garten der Hohmanns draußen in Blankenese. Die Äpfel waren bunt und gut geraten. Die Birnen an den schlechtgeschnittenen, kleinen Bäumen hingen rissig und borkig im üppigen Laub. Violette Herbstastern und gelbe Goldraute blühten in großen wuchernden Büschen. Im Hintergrund des Gartens, dicht vor dem baumbestandenen Abhang, der zum Fluß hinabging, sah man ein paar verunkrautete Erbsenbeete und eine noch grüne Wand von Stangenbohnen mit handlangen, fingerdicken Schoten. Unten von der Elbe her hörte man die Dampfer tuten. Aber man sah den Fluß nicht. Denn es lag ein leichter Nebelschleier über dem Wasser.

      Hilla, die Frau des Architekten Hannes Hohmann, Ende Dreißig, schwarzhaarig, mit einem weißen kühnen Streifen durch das Haar, mit einem nicht besonders geschmackvollen grünen Sommerkleid, strumpflos, Sandalen an den Füßen, Hilla Hohmann saß in einem der Liegestühle und schnippelte unaufmerksam Bohnen in eine etwas angeschlagene Emailleschüssel. Ab und zu blickte sie zu Conrad Brederopp hinüber, der in dem anderen Liegestuhl lag, eine Illustrierte vor der Nase. Er trug ein blaues Leinenhemd mit aufgekrempelten Ärmeln und zu weitem offenem Kragen. Auch die Hose war aufgekrempelt und viel zu weit. Es waren nicht seine eigenen Sachen. Hannes Hohmann hatte sie ihm gepumpt. Brederopp warf die Illustrierte ärgerlich fort. Man konnte sein Gesicht sehen. Es mußte einmal sehr hübsch gewesen sein. Aber jetzt war es ungesund gedunsen. Aufgeschwemmt. Schweißperlen standen auf der schön gewölbten Stirn. Die sehr hellen Augen hatten einen Schleier. Das Haar des Vierzigjährigen war eisengrau, eigenwillig gelockt, mit einem Scheitel, der nur mühsam durch das Gewirr gezogen war.

      Brederopp gähnte gewaltig: „Schön ist es bei euch. Märchenhaft schön.“

      Hilla Hohmann lächelte: „Nur verdammt langweilig, nicht wahr?“

      Brederopp sah sie erstaunt an. „Für euch muß es allerdings verdammt langweilig sein“, sagte er etwas spitz, „ein aufgedunsener Plenni, der sich in der Sonne herumräkelt, ein Psychiater a. D., der mit der eignen Psyche nicht fertig wird. Da habt ihr euch was Schönes aufgeladen.“

      „Mit Erbitterung kommen Sie bei mir nicht weiter, Conrad“, sagte Hilla ruhig, „ich bin froh, daß Sie da sind, und Hannes ist es auch.“

      Ein Apfel polterte vom Baum. Brederopp erhob sich schwerfällig, betrachtete die bunte Frucht und legte sie auf die geschnippelten Bohnen. „Dann ist es ja gut“, sagte er und wandte sich dem Hause zu. „Setzen Sie sich wieder her“, sagte Hilla friedlich, „ich muß endlich mit Ihnen reden.“ Mit einem Seufzer setzte sich Conrad. Er holte aus seiner Hosentasche ein primitiv gehämmertes Messingbüchschen, schaute bekümmert hinein, weil nur noch wenig Tabak drin war, drehte sich mit fixen Fingern eine Zigarette und begann das Zigarettenbüchschen auf einem Finger zu balancieren. Er entwickelte dabei eine beachtliche Geschicklichkeit. „Also bitte“, sagte er, scheinbar in sein Spiel vertieft, und da Hilla schweigend ihre Bohnen weiterschnippelte: „Sie wollen wissen, warum ich hier bei euch herumsitze. Sechs Wochen sind es bald. Und die Tätigkeit eines Rauchers ausübe, eines Schläfers zur Not noch und eines Fressers.“

      „Essen können Sie ruhig mehr“, stellte Hilla sachlich fest, „das täte Ihnen bestimmt gut.“

      „Ich mag nicht“, brummelte Conrad und wirbelte das Büchschen immer schneller, bis es hinfiel und der spärliche Tabakrest sich auf dem Rasen verstreute.

      „Ich mag auch keine Bohnen schnippeln“, sagte Hilla ärgerlich, „ich bin nämlich eine miserable Hausfrau. Mich langweilt alles, was mit dem trauten Heim zusammenhängt. Von Natur aus bin ich Frauenrechtlerin, damit Sie es endlich wissen.“

      „Gräßlich“, seufzte Conrad, „alle Frauenrechtlerinnen sind borniert, hochnäsig und verbittert, außer Ihnen natürlich. Übrigens, warum haben Sie dann geheiratet?“

      Hilla lachte: „Kein Mensch weiß, warum er heiratet. Bestenfalls weiß er, warum er verheiratet bleibt.“

      Conrad schielte mißtrauisch zu Hilla hinüber. „Sie sind ein listiger Indianer, Hilla“, sagte er anerkennend, „aber Sie brauchen gar nicht auf Schleichpfaden heranzukriechen.“

      „Also kurz und direkt: Warum gehen Sie nicht einmal zu Ihrer Frau?“

      „Ich war ja da“, sagte Brederopp, „tatsächlich. Sie wohnt in Wandsbek. Eine greuliche Backsteinstraße ist das, eingequetschte Gärtchen hinter Eisenzäunen, wissen Sie: Zäunchen aus lauter stumpfen Lanzen zusammengeschweißt. Kümmerliche Obstbäumchen, Beerensträucher, verregnete Astern und stabile Gerüste zum Teppichklopfen und dahinter putzig verzierte Häuschen, zweistöckig, aus roten und gelben Backsteinen. Stück für Stück der Traum eines Krankenkassenangestellten. Mittlere Laufbahn. Samtportieren vor den Fenstern mit Troddeln ...“

      „Ich kenne Wandsbek“, unterbrach Hilla ungeduldig.

      „Na ja ... und in einem solchen Haus wohnt Dr. med. Ilse Brederopp. Sprechstunden 9 bis 10 und 16 bis 17 Uhr. Erste Etage, Geranien in Blumenkästen vor den Fenstern. Ich mag Geranien nicht. Sie stinken, finde ich.“

      „Und warum sind Sie nicht hinaufgegangen?“ fragte Hilla hellsichtig.

      „Wegen Emmy“, sagte Conrad heiter, „tatsächlich wegen Emmy.“

      „Wer ist denn Emmy?“

      „Das habe ich mich auch gefragt“, seufzte Conrad. Er begann wieder seine Kunststücke mit dem Messingbüchschen, warf es von den Fingerspitzen auf die Handfläche, von der Handfläche auf die Fingerspitzen. Scheinbar völlig in das Spiel vertieft. Dabei begann er endlich zu erzählen, schnell und tonlos, eine Geschichte also, die er sich selbst schon oft erzählt hatte: „Sie müssen sich das einmal vorstellen, Hilla, ein Waldlager in der Ukraine; irgendein freier Fleck mitten in einer Waldwüste. Das ist nämlich auch Wüste, wenn man nichts zu sehen bekommt als Bäume, Bäume, Bäume. Und natürlich Stacheldraht rings ums Lager und ein paar Wachttürme mit Azetylenscheinwerfern, ein paar Baracken, ein paar Pritschen drin, ein Tisch und gräßlich viele marode, dreckige, hungrige, überanstrengte Männer. Drei Fragen gibt es da nur: Hältst du das aus? Was gibt es zu essen? Was macht die Frau zu Hause? Was für prächtige samtene Venusse diese ausgemergelten Kerls zu Hause hatten, wundervolle Wesen. Ich kannte sie alle: Käthe, Maria, Anna, Hermine. Sogar eine Fritzi hatten wir, eine Langblondine in Maulwurfspelz und, soweit man das auf der zerknitterten Fotografie erkennen konnte, ein gieriges Biest. Aber auch sie eine gütige Venus von Herz und Humor. Und alle schrieben sie. Die meisten: Ich warte auf Dich. Einige auch: Lieber Walther oder Karl oder Emil: ich habe einen anderen und ein Kind. Und Emil — oder war es Karl? — schlich sich während der Frühstückspause weg und hängte sich an einem Baum auf. Aus Liebe. Es gab ja genug Bäume.“

      „Ihr werdet auch keine Engel gewesen sein“, sagte Hilla merkwürdig hart, „und wenn Ilse ...“

      „Wenn es das gewesen wäre“, lachte Conrad böse. „Ich sehe es durchaus nicht ein, warum eine Frau drei oder fünf Jahre warten soll, ob sie ihr Wrack von Mann vom lieben Staat gütigst wieder franko Haus zurückgeliefert bekommt.“

      „Sie


Скачать книгу