Als wäre nichts geschehen. Walther von Hollander

Als wäre nichts geschehen - Walther von Hollander


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seinen Arm um ihre Schulter. Sie paßten in der Größe gut zusammen. Sie hatten oft darüber gescherzt, daß sie wenigstens in dieser Beziehung füreinander geschaffen waren. Aber dann machte sich Ilse verwirrt wieder los. Sie trat zwei Schritte zurück. Sie betrachtete ihn forschend, mit gekrauster Stirn.

      „Sehr elegant bist du gerade nicht“, tadelte sie.

      „Nein ... das ist eine Hose von Hannes, und das Hemd ist auch von ihm, und den Rock hat mir Bruhn, der erste Assistent, geschenkt. So was tragen Herren nicht, die einen Beruf haben.“

      Ilse wollte sagen: Wenn du wegen der Sachen gekommen bist ... Aber Gott sei Dank, das schluckte sie im letzten Augenblick noch herunter. Ganz gegen ihre Gewohnheit. Denn eigentlich „muß“ man doch ehrlich seine Meinung sagen. Sie sagte vielmehr: „Das Schlimme ist ... es ist alles verbrannt. Ich weiß nicht, ob ich dir das schrieb.“

      Nein, du schriebst es nicht, natürlich schriebst du es nicht. Du hast überhaupt nicht geschrieben, wollte nun Conrad sagen. Aber er war es von seinem Beruf her gewöhnt, vorsichtig zu sprechen, und so sagte er: „Ich dachte es mir. Ich habe mit nichts gerechnet.“

      Ilse setzte sich auf die Ecke des Schreibtisches, die Beine leicht übergeschlagen, die Hände um die Fessel des rechten Fußes. Merkwürdig, dachte Conrad, sie hat immer noch dieselben Bewegungen, dieselbe Art zu sitzen. Mit wie wenig Gesten kommt der Mensch sein Leben lang aus!

      „Es war nämlich so“, erzählte Ilse, „ich hatte alle deine Sachen in zwei Koffern verstaut. Luftschutzgepäck. Und meine Sachen in zwei andere. Aber auf die Dauer war das zu schwer. Dies Geschleppe. Drei Treppen rauf, drei Treppen runter. Zweimal, dreimal die Nacht. Wir schafften das einfach nicht.“

      „Wer ist denn wir?“ fragte Conrad.

      „Gerda und ich. Ach, richtig, die kennst du auch nicht, das heißt, du hast sie gesehen. Eben.“

      „Deine Sprechstundenhilfe?“

      „Meine Freundin. Wir haben alles zusammen durchgemacht. Na ja: es ging nicht mehr mit dem Geschleppe. Da haben wir deine Koffer unten gelassen. Viele haben das gemacht. Eigentlich alle.“

      „Und da kam eine Bombe ... und heidiwitzka ... weg alles!“

      Ilse seufzte: „Viel dümmer noch. Eines Tages habe ich die Koffer raufgeschleppt ...“

      „Um die Sachen zu lüften und auszuklopfen“, sagte Conrad ganz ernst. Ilse sah ihn erstaunt an: „Woher weißt du das?“

      „Fernsehen“, nickte Conrad freundlich, „ich kenne doch meine ordentliche Ilse.“ Er sagte wirklich „meine“ Ilse. Sie errötete wieder. Dann erzählte sie wichtig weiter: „Und an diesem Tage kamen die Flieger viel früher als sonst. Es war knapp dämmerig, und alle deine Sachen hingen noch auf dem Balkon. Der Alarm kam viel zu spät. Wir konnten nur noch unsere Koffer nehmen und runterrasen. Und ausgerechnet an dem Abend fielen die Brandbomben auf unser Haus.“

      „Muß hübsch ausgesehen haben, wie meine Anzüge brannten“, lachte Conrad, „der blaue, der graue, der Reitanzug mit den Pepitahosen. Du nanntest mich Pepi, wenn ich ihn anzog. Der Smoking. Und einen Frack hatte ich ja wohl auch?“

      „Ja, einen Frack hattest du auch“, sagte Ilse eifrig, „und am meisten leid tut es mir um den braunen Flanellanzug. Weißt du, warum?“

      Conrad erinnerte sich nicht. Ein Schatten ging über Ilses Gesicht. Sie flüsterte: „Ist ja auch egal. Ist eben alles weg.“

      „Gräm dich nicht“, sagte Conrad herzlich, zu herzlich, fand er plötzlich, und deshalb konnte er auch den dummen Witz nicht unterdrücken, der ihm jetzt einfiel: „Hoffentlich ist der Teppichklopfer auch mit verbrannt.“ Ilse sah ihn verständnislos an. „Der Teppichklopfer? Natürlich. Hattest du ihn besonders in dein Herz geschlossen?“

      „Ich nicht“, sagte Conrad bockig. Aber Ilse verstand ihn auch jetzt nicht. Bei Witzen leitete sie langsam. Morgen oder übermorgen würde sie verstehen, wohin diese Frage zielte. Mit dem Teppichklopfer hatte sie doch natürlich den verfluchten Emmy-Brief herausgeklopft. „Jedenfalls war’s sehr nett von dir, daß du dich so lange um meine Anzüge gekümmert hast“, sagte er freundlich.

      „Ach, es hat alles keinen Zweck“, seufzte Ilse, „ausgerechnet an diesem Tage mußten die Anzüge oben hängen! Aus dem Keller hätten wir sie noch herausgekriegt.“

      „Ach, Ilse“, neckte Conrad, „Ordnung muß doch bekanntlich sein. Nur: die Ordentlichen werden nie belohnt.“

      „Unsinn“, widersprach Ilse ernst, „nur weil ich ordentlich bin, habe ich meine paar Sachen gerettet. Und auch ein klein bißchen von dir. Das rohseidene Hemd, weißt du, und die silbergraue Flanellhose.“

      „Eine silbergraue Flanellhose hatte ich?“ staunte Conrad, „war ich so fein?“

      „Sehr fein warst du“, sagte Ilse ernst, „warte, ich hol’ gleich die Sachen. Du bleibst doch zu Tisch, nicht war?“

      „Natürlich“, sagte Conrad, „wenn es euch recht ist.“

      Ilse stand schon an der Tür: „Euch? Ach ja, ich muß es Gerda erzählen, daß du da bist.“ Und damit war sie draußen.

      Conrad sah ihr lächelnd nach. So wild ist es also doch nicht mit der Gerda, dachte er. In der Aufregung hatte sie die Freundin vergessen. Ilse neigte früher zu heftigen Frauenfreundschaften. Frauen sind verläßlicher, pflegte sie angreiferisch zu behaupten. Er hörte Ilse draußen aufgeregt reden. Gerda schien leise zu antworten oder gar nicht. Conrad schaute blicklos vor sich hin. Dann plötzlich entdeckte er etwas Erstaunliches: Da neben den Rezeptblöcken stand im Silberrahmen sein Bild. Ach — so hatte er einmal ausgesehen? Er schaute in den Spiegel. „Erbarmungswürdig“, flüsterte er. Und berlinerisch: „Nee ... nee ... wat haben se bloß mit dir jemacht, Conni.“ Er sah wieder das Bild an. Unten in den Rahmen war ein gepreßtes Stiefmütterchen geklebt. Was bedeutete denn das? Und der Anzug mußte der braune Flanellanzug sein. Dr. Conrad Brederopp, der feine Herr von 1938, saß am Tisch eines Ausflugslokals. Dahinter ein Stückchen Wasser. Richtig: Schildhorn. Ein lustiger Vormittag. Sie waren zusammen aus der Praxis ausgerückt. Sie hatten draußen gefrühstückt. Sie hatten aus einer gackernden Blechhenne ein buntes Blechei gezogen mit scheußlichen Zuckerbonbons. Und nachher hatte Conrad ein paar Stiefmütterchen aus dem Beet des Restaurants gestohlen. „Weil das Schicksal dich immer so stiefmütterlich behandelt“, hatte er gesagt, als er ihr das Sträußchen reichte. Und Ilse: „Wenn es mit uns so bleibt, Conrad, will ich mich nie mehr stiefmütterlich behandelt fühlen.“ Und Conrad gerührt: „Ach, Ilseken ... man darf dem Schicksal keine Bedingungen stellen. Da wird es leicht böse.“ Merkwürdig. Er konnte dieses Gespräch wörtlich wiederholen. Eine seltsame Sache, das Gedächtnis. Was man so vergaß und was man behielt: den etwas fauligen Geruch der Havel bei Schildhorn, die alberne Blechhenne, die gestohlenen Stiefmütterchen und Ilses glückliches Lächeln.

      Er wandte sich um, Ilse war wieder eingetreten. Er hielt den Rahmen hoch: „War mal ein netter junger Mensch.“

      „Ja“, sagte Ilse streng, nahm ihm das Bild aus der Hand und stellte es mit einem Ruck auf den Schreibtisch zurück. Aha, dachte Conrad, Gerda, die spitznäsige, hat Ilse daran erinnert, was ich ihr „angetan“ habe. Verstehe. Wenn auch der gedunsene Mensch hier mit dem heiteren Herrn auf dem Bild nichts zu tun hat: die Schulden des heiteren Herrn muß er doch bezahlen. Und in der Erinnerung bleibt nur das Böse. Das Gute wird vergessen. Wenigstens zwischen Ehepaaren. Psychologische Grundgesetze der Ehe ... darüber hatte Dr. Conrad Brederopp, jener Herr im Silberrahmen, einen vorzüglichen Aufsatz geschrieben.

      „Meine ungesammelten Werke sind wohl auch verbrannt?“ fragte er. Ilse nickte. Er streichelte ihr tröstend über das glatte Haar des Hinterkopfes (vorn trug Ilse konservativ zwei Büschel von Locken, mühsam gepflegte, und sie hatte es nicht gern, wenn man über diese Locken strich). „Schadet nichts. Die Aufsätze stimmen, trotzdem sie verbrannt sind. Leider.“ Ilse sah ihn verständnislos an: „Das Rätselreden hast du dir immer noch nicht abgewöhnt“, tadelte sie. Und Conrad: „Ich dachte an einen Aufsatz, den Titel weiß ich nicht mehr: Aber


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