Sternstunde der Mörder. Pavel Kohout

Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout


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«daß es ein Phantom sein könnte?»

      Morava war empört.

      «Sie meinen, der Hausmeister hat sie selbst ausgeweidet? Herr Kommissar, da müßten Sie ihn kennen! Als er die Tür oben offen fand und die Tat entdeckte, da ging ihm auf, daß er soeben dem Mörder begegnet war. Er war sich sicher, der kommt zurück und bringt auch ihn um, und hat sich vor Angst in die Hosen gemacht.»

      «Morava, übertreiben Sie nicht.»

      Der schilderte daraufhin das unwahrscheinliche Bild des Zeugen, der sich während der Befragung seine langen Unterhosen wusch.

      «Bei dem ist alles total weg. Selbst unser Doktor hat sich vergebens mit ihm abgemüht. Der Mann behauptet, der Volltreffer hätte gleich das Nebenhaus erwischt, und begann sich schon einzureden, sie wäre dabei draufgegangen. Den Täter hat er vor Angst aus seinem Gehirn gebrannt, er weiß von ihm nichts.»

      «Überhaupt nichts?»

      Morava war auf der Hut, weil Berans Blick erkennen ließ, daß ihm etwas Wichtiges entgangen war. Was wohl??

      «Nur, daß es ein Mann war ...»

      «Und woher weiß er dann, daß er ein Tscheche war?»

      Ach, ich, ach, dachte er mutlos, er hätte doch lieber zur Post gehen sollen!

      «Ich weiß nicht ...», hauchte er gedemütigt.

      «Wer von den Deutschen ist damit rausgerückt? Der Standartenführer?»

      «Nein, ihr Polizeimann. Der hat natürlich bluffen können!»

      «Wo ist der Hausmeister?»

      «Wahrscheinlich zu Hause ...»

      «Sagen Sie Jitka, sie soll uns von Tetera einen Wagen bereitstellen lassen!»

      Gott sei für das «Uns» gedankt, tröstete er sich, als er das Büro verließ, er hätte mich gleich zu irgendeiner Speichereinbruchslappalie abschieben können. Das Mädchen lächelte ihn wie immer wehmütig an, und sein Herz begann zu rasen. Hat sie etwa Mitleid mit ihm, fragte er sich, pflegt Beran ihr zu sagen, was ich für ein Trottel bin? Schon wieder wußte er, daß er keine Chance hatte, bei ihm so wenig wie bei ihr.

      Als er den Teller mit dem letzten Knödelhappen auswischte, fühlte er sich so behaglich, daß er wieder an Sie dachte. Im Magen muß es so gemütlich sein wie in der guten Stube, sagte sie immer. Das mährische Kraut war nach seinem Gusto, wie haben die das hier in Prag gelernt? Er war kein Biertrinker, doch selbst das Siebengrädige war süffig, für den Krieg ein Wunder, es zeugte von tief gelagerten Fässern und gut gereinigten Röhren. Die Wirtschaft war fast leer, nur ein paar Stammgäste drängten sich am Ausschank und redeten über irgendein Ereignis so laut, daß er sich erinnerte. Der Luftangriff! Da war doch der Luftangriff ...

      Angestrengt kramte er in seinem Gedächtnis, wann das war. Ja, er sah sich Dabei durch Glassplitter waten, die urplötzlich den Teppich bedeckten, sah sich an einem Haus vorbeigehen, gerade von einer Fliegerbombe getroffen, wie kommt es nur, daß er nichts gehört hat? Sonderbar. Sosehr er sein Gehirn auch zermarterte, von allem, was kurz Davor und kurz Danach war, blieb ihm in allen Einzelheiten nur Das.

      Der Friedhof, ja, dort wußte er noch alles. Später blieb ihm nur noch der Rücken in Erinnerung, dem er mit Abstand bis zu jenem Haus folgte. Danach nahm er offenbar nur noch ihre Augen wahr, die so aufmerksam verfolgten, was er mit ihr machte. Seine Tat hat in ihm sogar die Bomben verdrängt, übrigens kann es kein purer Zufall sein, daß sie gerade heute das erstemal fielen, heute, wo er Damit begonnen hat!

      Von allen denkbaren Gefühlen waren ausschließlich Erleichterung und Stolz am Platz. Warum ist er dann auf einmal wieder unruhig? Und warum macht sich sogar sein Magen so unangenehm bemerkbar, der doch gut mit Speis und Trank versorgt ist? Warum macht sich in seinem Innern erneut die Spannung breit, derer er sich über Mittag so wunderbar entledigt hat? Wonach fahndet so aufgeschreckt sein Gehirn, wenn doch heute alles geleistet worden ist, sogar mit einem Lob? Plötzlich wußte er es. Dieser mensch!

      Dieses Männlein, das er ohne weiteres an sich vorbeigehen ließ, dessen Gruß er sogar erwiderte, genau der kann alles in Gefahr bringen. Kann alles Vernichten! Wie konnte er das unterschätzen? Will er seine Sendung erfüllen, darf er nicht erkannt werden. Nun war es leider unumgänglich, das nächste Mal die bequeme Kluft samt der handlichen Tasche abzulegen! Für ihn kein großes Problem, aber: was, wenn dieser Mensch ein Gedächtnis für Gesichter hat??

      Warum verschonte er ihn eigentlich? Bestimmt war er auf dem Weg zu ihr! Wohin konnte er sonst gehen? Einen Mann hatte sie nicht, die Witwe, wahrscheinlich trieb sie es lustig mit ihm! Ja, bestimmt hat er sie nach diesem Schreck bespringen wollen. Wie der Eber die Sau. Auch solche verdienen Züchtigung!

      Aber wer ist er? Wo findet er ihn? Nachdem er die Ursache seiner Unruhe erkannt hat, erwachte sein Kopf aus der Ohnmacht und dachte wieder scharf. Der Kerl war im Hemd ohne Jacke gewesen, im Februar! Wahrscheinlich also aus dem Haus. Und dieses Haus wurde sichtbar von der Oberklasse bewohnt, der er eindeutig nicht angehörte. Und warum bemühte er sich die Treppe hinauf, statt den herrschaftlichen Lift zu nehmen? Natürlich. Der hausmeister.

      Deutlich zeichnete sich vor seinen Augen die schmale Tür unten im Hausflur ab. Aber wenn er nicht allein wohnt? Dann sei das Schicksal den anderen gnädig, indem es ihn aufmachen läßt.

      Er stand auf, um zu zahlen und zu handeln.

      Die Naturalwohnung bestand aus einer kleinen Küche und einer Stube. Der Hausmeister, anscheinend Witwer, war nach wie vor auf Sauberkeit und Ordnung bedacht. Sie sahen ihn schon vom Gehsteig aus, die geplatzte Fensterscheibe mit einem Klebestreifen reparieren. So wie der Mörder sie benutzte ... dachte Morava. Der Mann öffnete ihnen noch im Dunkeln und tappte dann zum Fenster, um das Verdunkelungsrollo herabzulassen, ehe er Licht machte. Morava amüsierte sich, wie Beran schnupperte. Wittert er die Unterhosen?

      Der Hausmeister konnte oder wollte sich immer noch nicht erinnern, wie der Unbekannte im Treppenhaus ausgesehen hatte. Um ihn abzulenken, fragte der Hauptkommissar ihn dann eine geraume Weile über die Baronin aus. Er entlockte ihm nur ein paar oberflächliche Wahrnehmungen, keiner aus der Familie von Pommeren konnte Tschechisch, und der Hausmeister beherrschte höchstens zwei Dutzend der notwendigsten deutschen Ausdrücke. Er wußte nicht viel mehr, als daß der General kurz nach der Besetzung der Tschechoslowakei von Berlin hierher versetzt worden war, er und sein Sohn waren später an der Front gefallen, und die Baronin hatte die Urnen auf dem nahen Vyšehrader Friedhof beisetzen lassen, wo sie die beiden täglich besuchte.

      Morava verfolgte gelehrig, wie Beran die Angelschnur der ausgeworfenen Fragen immer mehr verkürzte. Er konnte im voraus sagen, wann jene fallen würde, auf die der Befragte anbeißen sollte.

      «Sie haben diesen Mann zuerst gegrüßt, nicht wahr?»

      «Jo», sagte der Hausmeister, ohne zu zögern.

      «Wie?»

      «Na ... Tag ...»

      «Und er sagte?»

      «Dasselbe. Er hat auch Tag gesagt, ja, genau!»

      «Daß Sie sich ausgerechnet daran erinnern?»

      «Er hat das irgendwie sonderbar gesagt ...»

      «Wie sonderbar?»

      «Weiß ich nicht ...»

      «Hat er gestottert? Oder war er heiser? Rollte er das R? Hat er mit der Zunge angestoßen? Hat er genäselt? Geknurrt? Hatte er womöglich eine Fistelstimme?»

      Morava bewunderte den Chef, wie der immer neue Angebote aus dem Ärmel holte, doch der Hausmeister hörte nicht auf, den Kopf zu schütteln.

      «Was war daran so sonderbar?»

      «Weiß nicht ... irgendwie hat das nicht gepaßt zu ihm.»

      Morava wagte es, sich ins Spiel zu mischen.

      «Etwa zu seiner Kleidung?»

      «Schon möglich ...»

      Beran


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