Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel. Luzia Pfyl

Frost & Payne - Die mechanischen Kinder  Die komplette erste Staffel - Luzia Pfyl


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sie verkauft!«, heulte er und versuchte, das Blut zurück in die Nase zu schniefen.

      »An wen?« Als er nur die Augen zusammenkniff, aber nicht antwortete, seufzte Payne auf. »Du hast drei Sekunden.« Das Klicken eines Revolvers war zu hören. Granger bebte am ganzen Körper und wimmerte. »Drei …«

      »Die werden mich umbringen, wenn ich es Ihnen sage!«

      »Zwei.«

      »Payne, bitte!«

      »Eins.«

      »Okay, okay, warten Sie!« Der Körper des Assistenten entspannte sich ein wenig. »Der Russe. Ich habe sie an den Russen verkauft.«

      Payne ächzte auf. Damit hätte er rechnen müssen. »Ich will den Namen und die Adresse. Wie hast du ihn kontaktiert?«

      »Ich kenne keine Namen. Ich bekam jeweils ein Telegramm mit einem wechselnden Treffpunkt, wo ich das Geld vorfand und meine Ware hinterlegen sollte. Ich habe den Mann nie persönlich getroffen!«

      Dieses Schema war ihm bekannt. Der Russe war zu vorsichtig. Aus dem Assistenten würde er nichts Informatives mehr herausbekommen.

      »Lassen Sie mich gehen, Payne, ich bitte Sie!«

      »Hm …« Payne lockerte den Griff ein wenig. Dann drückte er den Revolver an Grangers Schläfe, worauf dieser sofort wieder zu wimmern begann. »Mr. Newman lässt dir ausrichten, dass du gefeuert bist, Granger.«

      Der Schuss knallte laut in der engen Wohnung. Payne ließ vom leblosen Körper auf dem Schreibtisch ab und steckte den Revolver zurück in das Holster unter seinem Mantel. Mit der Flasche Whisky in der Hand verließ er die Wohnung.

      Der Russe war ein Problem.

      Jackson Payne stand im opulenten Flur des Henley Gentlemen Clubs in der Oxford Street und wartete darauf, dass sein Kontaktmann ihn empfing. Ein dicker roter Teppich schluckte alle Geräusche. An den getäfelten Wänden hingen Portraits der Königsfamilie, und vergoldete Leuchter hüllten alles in warmes Aetherlicht. Aus der geschlossenen Flügeltür zu seiner Rechten drangen gedämpft Gespräche und Gläserklirren. Es war Freitagabend und der Club vollbesetzt. Die Gentlemen kamen gewöhnlich bereits zum Tee und blieben bis weit nach Mitternacht. Sie nahmen ihre Mahlzeiten hier zu sich, sie lasen Zeitung, rauchten Zigarren, tätigten nebenbei ihre Geschäfte, tranken teuren Brandy und sprachen mit ihren Freunden.

      Der Mann hinter dem Tresen beäugte ihn argwöhnisch. Payne bedachte ihn mit einem unbeteiligten Blick, während er eine Zigarette drehte. Er war sich bewusst, dass seine Kleidung und sein Auftreten nicht den Gepflogenheiten eines Gentlemenclubs entsprachen. Er konnte sich glücklich schätzen, hatte man ihn überhaupt bis ins Foyer eingelassen. Sie hätten ihn draußen in der Kälte warten lassen können. Aber es war ihm herzlich egal. Das Wichtigste im Augenblick war, dass er mit seinem Kontaktmann sprechen konnte.

      Payne steckte die Zigarette hinters Ohr und holte ein zerknittertes Lichtbild aus der Innentasche seines Jacketts. Das Mädchen darauf lachte ihm entgegen. Annabella. Payne strich mit dem Finger über ihr fröhliches Gesicht und steckte das Bild zurück in die Tasche.

      »Payne, was zum Teufel suchen Sie hier?«

      Payne schaute auf. Mr. Newman, Sicherheitschef bei Greyson Industries und sein Kontaktmann, kam energisch auf ihn zu und war sichtlich nicht amüsiert, ihn zu sehen. »Ich dachte, ich vergleiche das lokale Establishment mit dem New Yorks. Scheint mir genauso versnobt zu sein.«

      »Ihre Scherze sind wie immer unangemessen.« Newman, ganz elegant im Smoking gekleidet, warf einen Blick auf den naseweisen Empfangsmann hinter dem Tresen. Er nahm Payne am Arm und führte ihn ein paar Schritte weg. »Was ist so dringend, dass Sie nicht wie jeder andere morgen früh in mein Büro kommen konnten?«

      Payne verkniff sich eine sarkastische Bemerkung und kam stattdessen gleich auf den Punkt. Je eher er die Sache hinter sich brachte und diesen Schuppen verlassen konnte, desto besser. »Granger war der Maulwurf.«

      Newman hielt inne und hob die buschigen Augenbrauen. »Granger, sagen Sie? Der Assistent?« Payne nickte. »Das ist unglücklich. Der Mann war gut, wir waren nie unzufrieden mit seiner Arbeit. Wer hätte das gedacht?«

      »Und trotzdem hat er Sie und Ihre Leute hintergangen, und Sie haben nichts davon bemerkt«, erwiderte Payne. »Haben Sie ihn derart schlecht bezahlt?« Er dachte an die schäbige Wohnung und Grangers einfache Kleidung. Die neuen Schuhe und den teuren Whisky hatte er sich garantiert nicht von seinem Gehalt gekauft.

      Newman warf ihm einen scharfen Blick zu. »Sie sollten sich nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen, Payne. Was ist mit den Plänen?«

      »Er hat sie verkauft.«

      »Ich will Ihnen nicht alles aus der Nase ziehen müssen, Mann. Reden Sie.«

      »Granger hat die Pläne an den Russen verkauft. Für wie viel, weiß ich nicht. Aber er wird keine Probleme mehr machen.«

      Newman nickte und schien zufrieden. »Sie bleiben an der Sache dran, nehme ich an.«

      Payne zog die Zigarette hinter dem Ohr hervor und zündete sie mit einem Streichholz an. »Sie wissen anscheinend nicht, mit wem Sie es zu tun bekommen haben. Der Russe wird auch der Sammler genannt. Niemand weiß, wer er ist, und niemand stellt sich zwischen ihn und etwas, das er haben will.«

      »Ich habe die Geschichten über ihn gehört, Mr. Payne. Angeblich hat er ein halbes Jahr lang New York terrorisiert, weil er ein ganz bestimmtes Bild wollte.«

      Es war Die Anatomie des Dr. Tulp von Rembrandt gewesen, erinnerte sich Payne. Erst war das Kunstmuseum beinahe gesprengt worden beim Versuch, es zu stehlen, dann hatte man die Witwe, der das Gemälde gehörte, entführt, um ihre Familie zu erpressen. Payne war mit seinem Partner auf den Fall angesetzt worden, doch sie hatten weder die Entführer noch den Mann hinter den Kulissen zu fassen bekommen. Auch das Bild hatten sie nicht zurückbringen können. Die Sache war ein gefundenes Fressen für die Presse gewesen, um die Pinkertons schlecht dastehen zu lassen.

      »Lord Greyson täte gut daran, die Pläne zu vergessen und neue zu machen«, meinte Payne. »Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Hat uns drüben ziemliche Probleme bereitet. Aber wenn Sie wollen, dass ich an der Sache dranbleibe …« Er stieß den Rauch durch die Nase aus und musterte sein Gegenüber. Falls Newman ihn nun vom Fall abzog, wäre die Möglichkeit dahin, mehr über den Russen zu erfahren. Dann wären die letzten Monate völlig umsonst gewesen.

      »Das möchte ich, in der Tat. Lord Greyson duldet keine Spinner wie diesen Russen, die sich in seine Geschäfte einmischen.«

      Payne nickte und setzte sich den Hut auf. Der Sammler war garantiert kein Spinner, so viel wusste er, aber das brauchte er Newman nicht auf die Nase zu binden. Er tat dies alles hier nur, um Annabella zu finden.

      Er wandte sich gerade zum Gehen, als Newman ihn zurückhielt. Der Empfangsmann überreichte dem Sicherheitschef ein Telegramm, welches er hastig überflog. »Ich hoffe, Sie haben heute nichts mehr vor.«

      Payne legte den Kopf schräg. »Nur eine Verabredung mit einer Flasche Whisky.«

      Newman schnaubte und zerknüllte dabei das Stück Papier in seiner Hand. »Sparen Sie sich die dummen Scherze. Der Russe hat soeben erneut zugeschlagen.«

      »Sind Sie sicher, dass er es ist?« Payne trat näher. Ob das die heiße Spur war, nach der er schon so lange suchte?

      »Dies ist ein Telegramm von Mr. Nelson Bingham, einem sehr guten Freund von Lord Greyson.« Newman wedelte mit dem zerknüllten Papier. »Vor einer halben Stunde wurde ein wertvoller Foliant aus seinem Haus gestohlen. Angeblich ist das Buch einzigartig – etwas, das der Russe mit Sicherheit haben will.«

      »Aber das ist kein Beweis, dass es der Russe war.«

      »Mr. Bingham identifizierte die Diebin. Sie ist im Untergrund als die ‚Schlüsselmacherin’ bekannt. Sie arbeitet nur auf Auftrag und gehört zu den Besten ihres Fachs.« Newman musste als Sicherheitschef von Lord Greysons Stahlimperium


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