Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel. Luzia Pfyl
gerne hätte. Geben Sie es mir.«
Oh, das war ja wunderbar. War dieser Kerl die dritte Partei, die Interesse am Folianten hatte – oder von ihr geschickt worden war? Als hätte sie nicht schon genug Probleme.
»Sie haben von zwei Dingen gesprochen«, versuchte Frost ihn abzulenken. Doch sie kam nicht an das Messer unter ihrem Mantel heran, ohne dass er es bemerkte.
»Ich will Informationen über den Russen. Sie arbeiten für ihn«, knurrte der Amerikaner.
Frost hätte beinahe laut aufgelacht. Sie soll für einen Russen arbeiten? »Freundchen, ich arbeite für niemanden.« Okay, das stimmte so nicht ganz, aber das brauchte er nicht zu wissen. »Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen.«
Sie bemerkte, wie der Mann für den Bruchteil einer Sekunde zögerte. Blitzschnell nutzte sie die Chance aus. Mit einer Drehung ihres Arms befreite sie sich endlich aus seinem harten Griff, während sie die andere Hand unter den Mantel schob und das Messer unter ihrem Korsett zu fassen bekam.
Doch der Amerikaner hatte schnelle Reflexe. Er packte sie am Handgelenk, so dass sie das Messer nicht in seinem Gesicht versenken konnte. Frost knurrte frustriert auf. Dann trat sie mit aller Kraft auf seinen Fuß. Der Mann zischte, doch er ließ ihr Handgelenk nicht los.
»Ich weiß, wer Sie sind«, brummte er. »Geben Sie mir, was ich will, und Sie können unbehelligt gehen.« Mit einem Ruck beförderte er Frost gegen die Hausmauer hinter ihr.
»Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen.« Was faselte der Kerl da? Sie kannte keinen Russen. »Wer zum Teufel sind Sie?« Sie musste ihn irgendwie ablenken, bis sie sich etwas ausgedacht hatte, um ihn loszuwerden.
»Mein Name ist Payne, und mein Auftraggeber hätte gerne sein Buch zurück.«
Frost stutzte. Payne? Dann sah sie sich sein Gesicht genauer an. Sein Hut war durch das Gerangel verrutscht. Braune Augen, braune kurze Haare, hohe Wangenknochen, eine etwas schiefe Nase, kantiges Kinn. Er kam ihr irgendwoher bekannt vor.
Natürlich! »Jackson Payne?«
Das schien den Amerikaner zu überraschen. Er blinzelte, und Frost merkte, wie der Griff um ihr Handgelenk sich kurz lockerte. Instinktiv ließ sie sich in die Knie sinken und rammte ihm ihre Schulter in den Magen. Der Mann ächzte auf und klappte regelrecht zusammen, ließ ihre Hand jedoch nicht los. Frost fluchte.
»Woher«, fing er hustend an und schaute zu ihr auf, »woher kennen Sie meinen vollen Namen? Weiß der Russe also bereits, wer ich bin?«
»Schon wieder dieser Russe! Hören Sie, Mister, ich habe wirklich keine Ahnung, wer das sein soll. Ihre Frau hat mich beauftragt, Sie zu finden, verdammt.«
10.
»Cecilia?«
Frost verzog den Mund zu einem leisen Lächeln. Damit bestand kein Zweifel mehr, dass sie den richtigen Mann vor sich hatte. »Mrs. Cecilia Payne, ja. Sie können sich also noch an den Namen ihrer Frau erinnern. Damit kann ich Gedächtnisverlust als Ursache Ihres Verschwindens abhaken. Und Sie dürfen mich nun wirklich mal langsam loslassen.«
Payne fixierte sie mit einem harten Blick, doch er entließ ihr Handgelenk endlich seinem eisernen Griff. »Woher soll ich wissen, dass Sie mich nicht anlügen?«
Mit der Frage hatte sie gerechnet. »Ihre Frau ist Wissenschaftlerin und arbeitet im Observatorium von Greenwich. Sie ist vor zwei Jahren nach London zurückgekehrt, Sie jedoch sind in New York geblieben, um weiter Ihrer Arbeit als Pinkerton nachzugehen.«
Im darauffolgenden Schweigen starrten sie sich lange an. Frost konnte sehen, wie es hinter den dunklen Augen des Amerikaners arbeitete. »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink vertragen«, meinte sie.
»Dagegen hätte ich tatsächlich nichts einzuwenden. Was ist mit dem Buch? Sie werden es mir wohl kaum freiwillig geben.«
Frost hob das Kinn und legte demonstrativ die Hand auf ihre Umhängetasche, in der sich der Foliant befand. »Ich gebe es seinen rechtmäßigen Besitzern zurück.«
»Nein, nein, so funktioniert das nicht. Mein Auftraggeber ist der rechtmäßige Besitzer. Ich rate Ihnen, es mir auszuhändigen.«
»Sonst was?« Frost ging wieder in Abwehrhaltung, das Messer fest in der Faust.
Der Amerikaner schnaubte verächtlich und schob sich den Hut in den Nacken. Er sah etwas bleich aus um die Nase, fand Frost. Dabei hatte sie ihn gar nicht so hart erwischt.
»Okay, ich sehe, wir kommen so nicht weiter«, fing er wieder an. »Was halten Sie von einem Waffenstillstand, während wir in den Pub da vorne gehen? Das mit dem Drink klingt nicht schlecht.«
Frost wägte kurz ihre Möglichkeiten ab. Mit der Waffe in seiner Manteltasche würde er sie erschießen, sobald sie die Flucht ergriff. Sie würde ihm das Buch auf keinen Fall aushändigen. Sie hatte ihre eigenen Pläne damit. Außerdem war er ebenfalls ihr Auftrag. Sie musste ihn zu seiner Frau zurückbringen.
Wie sie es auch drehte und wendete, eines war klar: Den Pinkerton durfte sie nicht mehr aus den Augen lassen. »Einverstanden«, sagte sie deswegen.
Eine ganze Weile saßen sie sich schweigend gegenüber. Die Situation war etwas merkwürdig. Er wollte den Folianten und sah in ihr eindeutig jemanden, der für den Feind arbeitete. Für sie jedoch war er die feindliche Seite, was wiederum ein Dilemma ihrem Auftrag Mrs. Payne gegenüber darstellte.
Mit hochgezogenen Brauen sah sie dem Amerikaner zu, wie er sein Glas Whisky in einem Zug leerte und gleich darauf ein zweites von der Kellnerin verlangte. »Ich bin neugierig«, sagte sie dann, »was hat es mit diesem Russen auf sich? Und warum glauben Sie, dass ich für ihn arbeite?«
»Man nennt Sie die Schlüsselmacherin, richtig?«
Frost runzelte die Stirn. »Richtig.« Mit diesem Namen war sie im Untergrund bekannt. Sie hatte wohl etwas zu früh gehofft, ihn endlich ablegen zu können.
»Der Russe wird auch der Sammler genannt. Er hat eine Vorliebe für kostbare Einzelstücke, wie das Buch, welches Sie von meinem Auftraggeber gestohlen haben.«
»Und jetzt denken Sie, ich arbeite für diesen Sammler, nur, weil ich eine Diebin bin?« Beinahe hätte sie laut aufgelacht. Das war so fern der Wahrheit, dass es bereits komisch war. »Ich bringe das Buch seinem ursprünglichen Eigentümer zurück. Mr. Bingham hat es unrechtmäßig in seinen Besitz gebracht. Das ist nur fair, meinen Sie nicht?«
Payne legte den Kopf leicht schief. »Sie legitimieren Ihren Diebstahl also damit, dass das Buch bereits gestohlen worden ist.«
»Sie haben es erfasst.« Frost lächelte und nahm einen kräftigen Schluck Whisky. Er brannte in ihrer Kehle, aber die Wärme tat gut. »Und jetzt, wo wir das geklärt haben, sollten wir vielleicht über Sie sprechen, Mr. Payne. Ihre Frau macht sich große Sorgen.«
»Wie Sie sehen können, lebe ich noch. Richten Sie ihr das aus.« Er fing an, sich eine Zigarette zu drehen.
»Sie werden ihr das selbst sagen, wenn wir in der Agentur sind.« Sie machte eine kurze Pause, um ihm Zeit zu lassen, zu protestieren. Doch er konzentrierte sich darauf, seine Zigarette zu drehen. »Ich verlange keine Erklärungen, warum Sie abgetaucht sind und Ihre Frau verlassen haben. Mein Auftrag lautet lediglich, Sie zu finden.«
Payne stieß belustigt den Atem durch die Nase aus und zündete sich dann die Zigarette an.
»Was ist so lustig daran?«, fragte Frost.
»Eine stadtbekannte Diebin betätigt sich als Privatdetektivin. Das ist lustig, Miss Frost.« Ein schiefes Grinsen zeigte sich in seinem Gesicht.
»Ach, ihr Pinkertons seid also besser?«
»Ex-Pinkerton, bitte. Ich habe meinen Job an den Nagel gehängt, bevor ich hierherkam.« Er leerte das zweite Glas und stellte es dann auf dem Kopf zurück auf den klebrigen Tisch. »Hören Sie zu. Ich werde