Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan
»Ihr seid ein seltsamer Rebell, Malcolm Elliott. Ein widerstrebender Rebell. Ihr solltet mich mit Ermutigungen überschütten, nicht mit Zweifeln.«
»Ach«, sagte Elliott. »Kümmert Euch nicht um mich, Randall. Ich weiß seit mindestens drei Jahren, daß die einzige Hoffnung für dieses Land in einer Rebellion liegt. Die allereinzige. Da bin ich mir ganz sicher. Aber Gott hat mich nicht als Rebell erschaffen. Es kommt mir so vor, als handelte ich meiner eigenen Natur zuwider.«
»Ihr seid schlimm dran, Ihr Armer, und ich bedaure Euch. Als ich auf Steeple Hill stand und sah, wie die Karren davonfuhren, und die Frauen schreien und hinterherrennen hörte, da sagte ich mir: Bei Gott, Randall, zur Hölle damit, und wenn die Franzosen im Süden landen, dann will ich Mayo aufwekken. Und das kann ich, bei Gott. Ich und Ihr und Corny O’Dowd und Tom Bellew und Duggan mit seinen Whiteboys, wenn sie sich mit uns zusammentun. Und als ich das gedacht hatte, da hatte ich das Gefühl, ich hätte einen Whiskey getrunken. Oder in Castlebar beim Rennen gewonnen. Süßer Jesus, sagte ich mir und hätte am liebsten meinen Hut in die Luft geworfen. Beim Blut der Jungfrau Maria, wir werden hier den Ton angeben. Wir werden Mayo regieren.«
»Hört Euch doch bloß an«, sagte Elliott und lächelte wieder. »Ihr seid ein gotteslästerlicher, götzenanbetender Papist. Und Ihr habt von dieser Rebellion so wenig Ahnung wie von Platos Werken.«
»Ich habe weitaus mehr Ahnung als Ihr«, widersprach MacDonnell. Er setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich dann elegant in den Sattel. »Wir werden Mayo regieren.« Er berührte seinen Hut mit der Reitpeitsche und hielt auf die Straße nach Norden zu.
Elliott dagegen ritt südwärts, in Richtung Ballina, wo die Männer aus Killala im Gefängnis saßen, nach Moat House. Links von ihm erhoben sich in weiter Ferne in blauem Dunst die Ox Mountains. Seine Straße führte an der träge fließenden Moy entlang, einem guten Lachsfluß. Er hatte als Junge darin geangelt, mit krummem Stock und aufgespießtem Wurm, der unten am Bindfaden baumelte. Es war genausogut seine Welt wie die MacDonnells, aber er fühlte sich in ihr nicht mehr zu Hause. In Dublin hatte er sich nach ihr gesehnt, zuerst in Trinity und dann in seinem Quartier bei King’s Inn. Damals konnte er sich an jede Kurve des Flusses erinnern, an den Anblick jeden Himmels, an das Gefühl der Herbstwege unter seinen Stiefeln. Eine Möwe, die vor dem blauen und silbernen Dubliner Himmel mit den Flügeln schlug, konnte ihn im Nu nach Mayo versetzen, und er konnte sehen, wie der Fluß sich in die Bucht von Killala ergoß, konnte das brackige Wasser der Bucht riechen. Nun gab es nur Ackerland, öden Horizont, schale, geschmacklose Luft. Um seine Laune zu heben, versuchte er erfolglos, seine Erinnerungen an den Anblick wiederzufinden, der sich vor ihm erstreckte.
Killala, 8. August
»Du hast das schon alles richtig verstanden, Ferdy«, sagte MacCarthy. »Aber wir haben es hier mit einem großen Gedicht zu tun und nicht mit einem Pacht- oder Kaufvertrag. Laß uns alles noch einmal durchgehen.«
Sie saßen nebeneinander an dem niedrigen, groben Tisch in O’Donnells Küche, die offene Ovidausgabe lag zwischen ihnen, ihr Einband war lose und die Seiten vergilbt.
»Wir fangen noch einmal an«, sagte er geduldig. »Inde per immensum ventis ...« Die Worte hallten in seinem Kopf wider, Klänge so reif und mächtig wie Glockenschläge.
Inde per immensum ventis discordibus actus nunc huc, nunc illuc exemplo nubis aquosae fertur et ex alto seductas aethere longe despectat terras totumque supervolat orbem.
Er ließ seine Augen über die vertraute Seite gleiten. Dieser kunstfertige Heide, wer konnte sich schon mit ihm messen! Und mein Gott, die Sprache, die ihm gegeben wurde, war reich und machtvoll. Es gab keine Aufgabe, die sie nicht bewältigen konnte. Sie zog sich in Schlingen gelassener Kraft über die Seite.
»Perseus ist durch die Luft unterwegs, durch den Himmel selber, und bald wird die ganze Welt zu seinen Füßen liegen. Er wird unendlich weit durch die Luft getragen, erzählt uns der Dichter, erst hierhin, dann dorthin, wie der Nebel. Und als er nach unten blickt, sieht er die ganze Welt, oder was sie damals für die ganze Welt gehalten haben, die armen Heiden. Killala hat er nicht gesehen. Wie die Seevögel, die du bei Downpatrick Head sehen kannst, mit ihren weiten Flügeln, so hoch, daß sie mit ihren kleinen Augen von Galway bis Donegal sehen können. Aber obwohl sie uns frei erscheinen, sind die Winde doch ihre Herren und werfen sie nach Herzenslust herum. Behalte die Seevögel von Downpatrick wie ein Bild in deiner Erinnerung, und dann versuch es nochmal.«
Aber O’Donnell legte seine große, schwere Hand auf die Seite und verdeckte die Worte. Eine schwarze Wolke zog über dem großen Meer im Süden auf.
»Ach, Owen, es war lieb von dir, mit deinen Büchern herzukommen, aber ich kann jetzt nicht an Perseus oder Seevögel denken. Nicht, solange der arme Gerry und die anderen im Gefängnis sitzen.«
»Es ist hart für dich, Ferdy, und noch härter für Gerry. Aber du mußt noch lange warten bis zur Gerichtsverhandlung.«
»Und wir wissen beide, was dann passieren wird«, sagte O’Donnell. Er schob die Ovidausgabe beiseite. »Ich bin ein friedlicher Mann, aber wenn ich meine beiden Hände um Paudge Nallys Kehle legen könnte, dann würde ich das Leben aus ihm herausquetschen. Wirklich. Er wird mit seinem Lügenmaul noch Gerrys Leben verschwören.«
MacCarthy, der keinen Trost für ihn wußte, schloß das Buch und schob die lockeren Seiten hinein. In der Dämmerung ruhte Perseus am Rand der Welt, weit im Westen, wo die See sich ausdehnte und wo die tausend Herden des Atlas nach Lust und Laune über die grasbewachsenen Ebenen wandelten.
»Und dabei wollten wir in diesem Jahr etwas mehr erwirtschaften als die Pacht«, sagte O’Donnell, »wo die Ernte so gut ausfällt, wenn Gott will, Maire und Gerry und ich haben erst vor kurzem an diesem Tisch darüber gesprochen. O Gott, Owen, am Ende werden sie ihn wohl hängen. Glaubst du das auch?«
»Ach, wirklich, Ferdy, bis zur Verhandlung ist es noch lang, und Gott ist gut. Von jetzt bis dahin kann noch viel passieren.« Aber nichts war gewisser, solange Paudge Nally mit der Hand auf der Protestantischen Bibel im Gericht in Castlebar stand.
»Ich schwöre bei Gott, Owen. Wenn ich diese Nacht hören würde, daß die Franzosen gelandet sind, dann würde ich mir eine Pike suchen und zu ihnen gehen. Das würde ich tun.«
»Du wärst nicht der einzige. Ich war kurz in der Schenke in Kilcummin und habe gehört, was sie gesagt haben. Und die Männer, die das sagten, waren soweit ich weiß keine Whiteboys. Ach, jetzt sind sie vielleicht schon welche. Es war vor einer Stunde. Quigley nimmt am laufenden Band Eide ab, und in Killala ist es dasselbe. Sam Cooper und seine Miliz sind hervorragende Anwerber für die Whiteboys. Cooper und Duggan! Ein feines Paar von unwissenden verdammten Schurken!«
O’Donnell seufzte. »Sam Cooper. Hast du je gehört, daß Mount Pleasant einst den O’Donnells gehört hat? Das ist wahr. Ich habe ein großes verdammtes Dokument darüber in der Truhe. Es stammt aus der Zeit der Stuarts. Mein Vater protzte immer damit, wenn er etwas getrunken hatte.«
»Überall in ganz Irland liegen solche Dokumente in den Truhen«, antwortete MacCarthy, »und es ist das gescheiteste, sie verrotten zu lassen und nicht an sie zu denken. Cromwells Leute geben jetzt den Ton an, und Cromwell ist schon sehr lange tot. In Fermoy im County Cork gab es einen alten Mann. Er hatte eine Eichentruhe voller Papiere und Grundbriefe und solcher Dokumente, und dabei lebte er in einem Loch. Er konnte einen mit seiner Prahlerei wahnsinnig machen, und dabei hatte er keine zwei Schillinge zum Aneinanderreiben.«
»Ich prahle gar nicht«, antwortete O’Donnell. »Aber in den letzten Tagen hat mich der Gedanke wahnsinnig gemacht, daß Cooper hier machen kann, was er will, und den armen Gerry ins Gefängnis steckt. Sie sind mitten in der Nacht gekommen, Maire war gar nicht mehr angezogen. Und an allem ist Cooper schuld. Paudge Nally ist nur ein Affe, der auf Coopers Schulter hockt.«
MacCarthy lachte. »Das ist ein gutes Bild. Haben sie euch da drüben in Douai Rhetorik beigebracht? Ich habe dich oft beneidet, weil du doch Frankreich und alle seine Wunder gesehen hast.«
»Die Wunder Frankreichs, ja? Wir haben soviel von Frankreich