Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan


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ihre Gesichter waren gerötet. Als O’Donnell an der Nordküste geschlagen wurde, in Kinsale, brach eine Welt zusammen. Ruin. Jetzt bewegen wir uns zwischen Ruinen, Bauern starren die zerbrochenen dachlosen Wachttürme von Munster und Connaught an. O’Donnell, MacCarthy: Jetzt die Namen eines kleinen Pächters in den Bergen, eines wandernden Schulmeisters. Die spröden Seiten unserer Pergamentgeschichte zerfallen unter dem Gewicht unserer Finger zu Staub. Ferdy O’Donnell geht in der Dunkelheit in seiner Hütte hin und her, verzweifelt, stößt gegen den Tisch, gegen das Bett, in dem seine Frau schläft. Seine Geschichte sind die Reden seines Vaters, die Prophezeiungen seiner Großmutter. Ich gehe auf ein Dorf aus elenden Löchern zu.

      Ballycastle, 10 August/Ballintubber, 14. August.

      Mein liebster John,

      sei versichert, wenn George sich an meinen Vater wendet, wird er ihn Deinem Antrag durchaus gewogen finden. Er hat große Achtung vor Deiner Familie und mag dich sehr, liebt Deine guten Seiten und freut sich über Deine Gesellschaft. Er weiß, daß Du mich in ein angenehmes und sicheres Heim führen wirst, das in jeder Hinsicht wohlgeordnet und anständig ist. Es ist sogar ein weitaus feineres und großartigeres Heim als das Heim, das ich verlassen werde. (Obwohl mein Vater mir sagt und ich auch instinktiv weiß, daß unser Adel über jeden Zweifel erhaben ist.) Und doch macht er sich im Moment die größten Sorgen um dich, ebenso wie ich und wie sicher auch George.

      Nicht nur ist er ein entschiedener Gegner Deiner Politik, die mich nichts angeht, denn sie fällt nicht in den Bereich, der einer Frau zukommt, worin Du mir sicher zustimmen wirst. Aber außerdem ist es möglich, daß diese Politik Deine Füße auf sehr unsicheren Boden gestellt hat. Und deshalb, liebster John, zittere ich, denn sein Argwohn könnte doch wohlbegründet sein. Überall in der Baronie heißt es, daß die unzufriedenen Armen zusammen mit rücksichtslosen und fehlgeleiteten Männern, die sich ihrer Familien und ihrer Bildung doch rühmen, den verführerischen Annäherungen der United Irishmen erlegen sind und bei einer möglichen französischen Invasion ihre schändlichen Absichten enthüllen werden. Und bei solchen Gesprächen – wie erst gestern abend von Mr. Hussey und Mr. Falkiner, noch dazu an unserem eigenen Kamin – wird dein Name erwähnt. Mein Vater streitet das alles energisch ab, obwohl er in seinem Herzen ihre Zweifel teilt.

      Nicht nur tadelt er die aufrührerischen Pläne der United Irishmen, er prophezeit ihnen auch schwarzes Verderben, Schande und Tod. Und darin zeigt er uns seine Weisheit. Überall sonst im Königreich mußten die Männer, die sich in diese Angelegenheit verwickelt hatten, ein schändliches Schicksal erleiden. Und warum sollte es hier anders sein? Sie haben die Leidenschaften unwissender Menschen aufgewühlt, die zu den entsetzlichsten Grausamkeiten in der Lage sind. Sicher ist es nicht weise, dem Patienten eine Medizin zu verabreichen, die tödlicher ist als sein Leiden? So argumentiert mein Vater, und er gilt überall als ein Mann von klarem Urteil und großem Wissen.

      Du kannst Dich deshalb darauf verlassen, daß er George in dieser Hinsicht bedrängen und vielleicht sogar die Versicherung von ihm fordern wird, daß Du die Verbindungen zu Männern abgebrochen hast, die weder Dein Bestes noch das Beste dieses Königreiches im Sinn haben. Nein, und auch nicht das Beste unserer guten heiligen Kirche. Zu diesem Punkt kannst Du Mr. Hussey befragen, der ein heiliger Mann ist und aus einer höchst respektablen Familie kommt, denn die Husseys sind sehr eng mit den Roches aus Fermoy in Cork verwandt.

      PS. Mein liebster John. Die obigen Zeilen habe ich nach einem Gespräch mit meinem Vater geschrieben und ihm danach zur Begutachtung vorgelegt. Die Zeilen, die nun folgen, sind allein für Deine Augen bestimmt. Mein Vater ist vielleicht nicht der weiseste aller Männer, aber er ist auch alles andere als ein Narr. Warum in Gottes Namen schließt Du Dich mit solchen Wirrköpfen wie Corny O’Dowd und Randall MacDonnell zusammen, der mir vor weniger als einem Jahr einen Vorschlag gemacht hat, der wenig schmeichelhaft und höchst unziemlich war. Er mag sich vielleicht für einen Gentleman halten, aber ich versichere Dir, er ist keiner. Er ist einfach ein Dorfkämpfer, der gut reitet und sich seiner weißen Leinenwäsche rühmen kann. Malcolm Elliott dagegen ist ein Gentleman, das muß ich zugeben, aber mir ist niemals ein längergesichtiger und kläglicherer Protestant begegnet, und seine Frau ist eine perfekte Törin und noch dazu eine Engländerin. Kannst Du meinen Fragen nicht entnehmen, daß sogar die Namen Deiner Verbündeten bekannt sind und daß man ihre Ziele erraten kann? Bald schon wird das Gericht seine Aufmerksamkeit nicht mehr ausschließlich auf diese barbarischen Whiteboys richten. Was für ein Frevel und eine Torheit, sich um Hilfe an die Franzosen zu wenden, die vom Blut ihrer strahlenden und schuldlosen Königin besudelt sind! Ganz zu schweigen von ihrem König und zahllosen anderen, sogar einigen irischen Offizieren in königlichen Diensten. Meine Liebe zu Dir ist zu groß, um mich je von Dir zu trennen, was immer mein Vater wünschen mag. Ach, die unsägliche Sturheit der Männer und die verrückten Ideen, die sie um ein vernünftiges und nüchternes Glück bringen!

      Meine liebste Ellen,

      Ich kann nicht leugnen, daß die Besorgnis Deines Vaters und Deine eigene Qual begründet sind. Was soll ich sagen? Zumindest kann ich Dir versichern, daß ich mich in dieser Sache nicht engagiert hätte, wenn ich sie für hoffnungslos hielte. In dieser Hinsicht zumindest, wenn nicht auch in anderen, neige ich nicht zur Romantik. Ich glaube, daß ein Aufstand des Volkes, wenn es ausreichend bewaffnet und angeleitet und wenn es von einer entsprechenden Armee unserer französischen Verbündeten unterstützt wird, eine gute Aussicht auf Erfolg hat. Und ich bin bereit, auf diese Chance zu setzen, da ich felsenfest davon überzeugt bin, daß es für diese elende Insel keine andere Hilfe oder Lösung gibt.

      Dennoch halte ich diese Chance nur für mittelgroß und habe mich durchaus oft gefragt, warum ich bereit bin, mein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich glaube, mit Vernunft und mit Leidenschaft, daß sich alle Menschen nach Freiheit sehnen. Aber niemand kann frei sein, wenn sein Land versklavt ist. Bitte Deinen Vater, seinen Blick auf Amerika zu richten, das für seine Freiheit gekämpft und sie gewonnen hat, und dennoch wurde es vorher von viel leichteren Ketten als den unseren gequält. Irland, Dein und mein Land, ist nur noch ein Geschöpf Englands, das uns gedankenlos mißbraucht und mißhandelt, wie es seinen Interessen gerade entspricht. Mit Recht liebt England sein eigenes Parlament, unseres hat es dagegen bewußt und systematisch korrumpiert, so daß es heute vor der ganzen Welt eine Schande ist. Die religiösen Streitigkeiten unter unserem Volk sind hassenswert, aber England pflegt und verstärkt sie, um uns so besser gespalten und deshalb schwach halten zu können. Und unser Volk, das ganze Volk, reich und arm, Protestant und Papist, zeigt Spuren dieser Knechtschaft.

      Ich schreibe dies alles ohne Zorn, als Tatsache, die nur wenige abstreiten würden. George würde das bestimmt nicht tun, denn niemand hat einen so klaren oder so sardonischen Blick für unsere Angelegenheiten. Und dennoch hat George, bei all seinen schätzenswerten geistigen und vernunftmäßigen Qualitäten, eine düstere und pessimistische Ansicht über die menschliche Natur. Ich dagegen halte jeden Menschen für einen verschlossenen Schrein voller Tugenden, zu dem Freiheit der Schlüssel ist. Daß die große Masse unserer Bauern primitiv und unwissend ist, will ich nicht abstreiten, aber was hat sie denn so gemacht, sie sind doch wohl nicht aus schlechterem Stoff geschnitten als die englische Miliz? Die entsetzliche Armut ihres Lebens hat diese Wirkung auf sie gehabt, und die Ursache unserer nationalen Armut ist unsere Knechtschaft unter England. Natürlich ist es gefährlich, einem Mann, der von einer zornigen Leidenschaft entflammt ist, ein Gewehr oder eine Pike in die Hand zu geben, aber durch diese Waffe kann er seine Verzweiflung vielleicht durch Hoffnung ersetzen.

      Wenn es überhaupt Ziele gibt, für die man sein Leben aufs Spiel setzen kann, ist Freiheit dann nicht das edelste und das notwendigste? Dein Vater würde nicht schlecht von mir denken, wenn ich auf dem Feld der Ehre zur Pistole griffe und mein Leben riskierte, um eine unwichtige Kränkung meiner persönlichen Ehre zu rächen. Das ist der Brauch unserer selbsternannten Stutzer und Gentlemen, und ich verachte ihn.

      Liebste Ellen, ich garantiere Dir, daß ich selten so feierlich bin, und daß ich Dir viel lieber über andere Dinge schreiben würde – worüber, kannst Du Dir denken. Du schreibst mir von meiner »Politik«, aber ich bin gar nicht sicher, ob ich überhaupt eine habe. Meine Handlungen sind von einem Instinkt geleitet, der eine Tugend ist, das weiß ich. So wie ich von einem Instinkt, der der mächtigste und tugendhafteste von


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