Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan


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uns für einen minderwertigen Menschenschlag. Die Welt hat eine geringe Meinung von den Iren.«

      »Zum Teufel mit ihnen allen«, sagte MacCarthy.

      »Du bist der bestgebildete Mann in der Baronie«, fuhr O’Donnell fort. »Mit Ausnahme von Mr. Hussey. Und sie haben dich wie einen Spalpeen oder Kesselflicker vor Gericht geschleppt.«

      »Ich bin aber zwischen ihnen durchgeschlüpft«, sagte MacCarthy. »Wie ein fettiges Schwein.«

      »Gerry schafft das nicht«, meinte O’Donnell. »Er ist ein hitzköpfiger Junge und schreit heraus, was er fühlt. Er wird ins Unglück geraten, wenn ich kein Auge auf ihn haben kann.«

      »Bildung ist ein großer Vorteil«, sagte MacCarthy.

      »Ach, uns hilft sie überhaupt nicht weiter«, widersprach O’Donnell mit lauter, gequälter Stimme. Er griff nach dem Buch, das MacCarthy jedoch rasch außer Reichweite schob.

      »Paß auf, Mann, ja? Kummer ist Kummer, aber dieses Buch hat mich drei Schilling und sechs Pence gekostet.«

      O’Donnell starrte ihn einen Moment lang wütend an, dann lächelte er.

      »Es wird Zeit, die Flasche aufzumachen, die ich mitgebracht habe«, sagte MacCarthy. »Lassen wir den armen Perseus oben im Himmel sitzen.«

      O’Donnell schüttelte den Kopf. »Trink du nur ruhig, Owen, aber ich kann nicht mitmachen. Maire und ich sind letzte Nacht hingekniet und haben der Mutter Gottes versprochen, daß ich keinen Schluck Alkohol über die Lippen bringen werde, bis auch Gerry wieder in diesem Haus einen trinken kann.«

      Wir verbringen unser Leben auf Knien, auf Lehmböden, auf den kühlen Steinplatten der Kapellen. Sie haben Gerichte, Miliz, Galgen. Ihnen gehört die Erde, und sie hüten sie sorgfältig vor uns. Gebet ist unsere einzige Zuflucht, sanfte Worte, in die Luft gesprochen. Es war schon fast zehn, aber der Abend hinter der offenen Tür war warm und hell. Noch zu hell für den Mond. Er wollte nicht vor O’Donnell trinken, um ihn bei seinem Gelübde nicht in Versuchung zu führen.

      »Nun trink schon, Mann«, sagte O’Donnell ungeduldig. »Ich habe wirklich keinen Durst.«

      MacCarthy hob den Krug vom Boden hoch, entkorkte ihn, stützte ihn auf seinen gekrümmten Ellbogen und hielt ihn an seine Lippen.

      »So«, sagte er und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Das ist besser.«

      »Du hast recht, Owen, wenn du aus allem aussteigst. Ich kann das nicht. Ich habe Wurzeln, die durch meine Stiefelsohlen wachsen. Alles, was ich kenne, sind dieser Berg und Kilcummin und Killala.«

      Wurzeln, von seinen Stiefeln in die magere Bergerde. Das Bild eines Poeten. Vielleicht von Ovid, bei dem alle Menschen zu Pflanzen werden und Blumen zu Menschen. Er muß sich definieren und prägt ein Bild: sein erstes. Ohne Poesie sind wir ohne Sinne und blind. Drei Sprachen drängten sich in MacCarthys Schädel. Irisch, ein Edelmann in Pelzen, der hinter einem Pflug einherstapfte. Englisch, nüchterner Junker in gutem Tuch und flachem, breitkrempigen Hut. Latein, die Königin der Sprachen, die Helden zu Sternen machte und in den Himmel schleuderte. Er trank wieder.

      »Das magst du, Owen«, sagte O’Donnell und nickte zum Krug hinüber.

      »Und es mag mich«, antwortete MacCarthy. »Wir passen gut zusammen. Wie du und Maire. Du hast wirklich Glück, mit dieser Frau zusammenzusein.«

      »Sie geht zur Zeit früh ins Bett«, erwiderte O’Donnell. »Es ist jetzt ein trostloses Haus, und ich bin schlechte Gesellschaft.«

      »Ach, Ferdy. Man weiß doch nie. Es ist noch lange bis zur Gerichtsverhandlung.« Das hatte er schon einmal gesagt. Er hatte keinen anderen Trost.

      Er erhob sich schwerfällig, kratzte mit seinem Stuhl über die festgetrampelte Erde und ging zur Tür. Die Bucht war von dumpfem, metallischem Grau in der weichen Luft. Eine Fischerschmacke hielt auf Kilcummin zu.

      »Ich kenne einen Mann«, sagte er, »der gestern mit Randall MacDonnell einen getrunken hat. Nicht nur die Whiteboys sind zu allem bereit. Wenn dieser Sommer vorbei ist, gibt es vielleicht in Irland keinen County mehr, wo man sich aus dem Ärger heraushalten kann.«

      O’Donnell, der immer noch saß, blickte zu ihm hoch. »Noch jemand hat mir etwas über Randall MacDonnell erzählt. Randall ist ein ganz anderer Mann als Malachi Duggan. Er ist ein anständiger, sympathischer Bursche.«

      »Das stimmt«, gab MacCarthy zu. »Aber er jagt zu Pferd Füchse. Ein komischer Sport.« Er ließ sein Buch in seiner Tasche verschwinden und zog sein Halstuch gerade. »Es war nett von diesen wilden Winden, daß sie den armen Perseus nicht in diese elende Ecke der Welt geweht haben.« Er lächelte O’Donnell an. »Ist dein großer Fürst O’Donnell nicht mit all seinen Söldnern und Gallowglasses während der großen Rebellion hier hindurchgetobt und hat alles vor sich hergetrieben und die Soldaten der englischen Königin versprengt?«

      O’Donnell stand auf und trat neben ihn in die Tür. »Ich weiß es nicht, um ganz ehrlich zu sein. Ich habe gehört, es wäre weiter im Osten gewesen. Aber er hat diesen ganzen Teil von Connaught für sich beansprucht und hier seine Clanhäuptlinge eingesetzt. Die Großmutter meines Vaters hat immer gesagt, daß wieder ein O’Donnell in Tyrawley regieren wird, wenn die Gälische Armee sich erhebt.«

      »Großmütter sind eine weise Gattung«, sagte MacCarthy.

      »Das ist doch bloß Kesselflickergefasel«, meinte O’Donnell. »Die Gälische Armee.«

      »Wer wüßte das besser als ich?« fragte MacCarthy. »Woher sollten die Dichter denn ihre Themen nehmen, wenn es die Gälische Armee nicht gäbe? Wir sind allesamt schreckliche Lügner.«

      »Dichter und Großmütter«, stimmte O’Donnell zu. »Gemeinsam könnt ihr die Welt in den Ruin stürzen.«

      MacCarthy ging lachend den Weg hinunter, drehte sich dann um, um zum Abschied zu winken, aber O’Donnell war schon in seiner Hütte verschwunden.

      Hugh O’Donnell, der größte aller der Helden, die die Dichter je besungen hatten. Irland, für die Captains von Henry und Elizabeth nur ein nebliges Moor, halbnackte Krieger, unbedeutende Provinzfürsten, bereit, Vetter und Bruder zu verkaufen, ihre Armeen heulende Meuten mit verfilzten Bärten, Augen wie durch das Dickicht spähende wilde Tiere. Sie mußten ausgerottet werden wie die Tiere, in ihre Lager gejagt, ihre Köpfe abgehackt. Ganz Munster wurde nach der Desmond-Rebellion von Lord Grey de Wilton in eine Wüste verwandelt. Der Poet Spenser hatte es gesehen und triumphiert. »Aus jeder Ecke der Wälder und Thäler kamen sie auf Händen gekrochen, denn ihre Beine mochten sie nicht mehr tragen; sie glichen den Anatomien des Todes, denn sie sprachen wie Geister, die aus ihren Gräbern weinen.« Ein altes Buch, verstaubt, in der Ecke der Bibliothek eines Gentleman bei Corofin, mit Lettern so schwarz wie eine Todesanzeige: Beschreibung der derzeitigen Lage Irlands.

      MacCarthy hatte Spensers Gedichte gelesen und nur halb verstanden, ein junger Amadán, dem Sand Kerrys entsprossen. Süße Themse, fließe sanft dahin, bis ich mein Lied beendet habe. Laube der Seligkeit, wie eine Phrase in einer Litanei an die Mutter Gottes. Blumen und blühende Zweige, Blumen wie Sterne. Legenden und Bezauberung, holde Frauen und wundertätige Zauberer. Bedeutungen, riesige Schatten, hatten sich dahinter bewegt. Später, in Cork, hatte MacCarthy erfahren, daß dieses gewaltige englische Gedicht der Verzauberung in Irland geschrieben worden war, in Cork sogar. Kein Wunder. Das sanfte Munster hatte selber daran mitgewirkt. In der Nähe von Doneraile, an der freundlichen Awbeg, standen die Ruinen seiner Burg Kilcolman. Aber derselbe Mann, Edmund Spenser, dieser sanfte und verführerische Zauberer, hatte Desmond in eine Wüste verwandelt, hatte zugesehen, wie die Verhungernden auf ihn zugekrochen kamen, ihre Münder fleckig von Nesseln und Klee. Süße Themse, fließe sanft dahin, bis ich mein Lied beendet habe.

      O’Donnell hatte ihn erledigt. Mächtiger gälischer Fürst, dessen kalkweißes Schloß von Dichtern besungen wurde. Von County zu County war seine Rebellion weitergetragen worden, von Ulster nach Süden. Seine Rebellen brannten Kilcolman nieder. Der Dichter floh, mit seinem unvollendeten Gedicht, zurück nach


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