Tagebuch einer Verführung. Alexandre Legrand

Tagebuch einer Verführung - Alexandre Legrand


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Mädchen sinnierte vor sich hin. „Ich bin Zweiundzwanzig”, sagte sie nachdenklich.

      „Und wer half Ihnen?” tragte Jerry neugierig.

      „Eine Tante. Meine Eltern starben früh. Ich wuchs bei ihr auf und als sie vor gut einem Jahr verunglückte, erfuhr ich, daß sie immer für mich gespart hat und so ist mein Appartement eigentlich das Eigentum von Tante Lisbeth.”

      „Was machen Sie jetzt?”

      „Wie meinen Sie das?”

      Jerry schluckte. „Es wäre nett, wenn Sie mir, weil Sie ein so nettes Mädchen sind – bitte, das war keine Floskel – beim Auspacken der Bücherkisten und Einräumen der Bücher helfen könnten.”

      „Sie haben Bücher?” frotzelte das Mädchen.

      „Ja, manche haben nur ein Buch. Ich habe mir zu diesem Sollbestand noch einige dazugekauft.”

      „Warum?”

      „Weil Bücher die besten und treuesten Freunde sind.”

      „Die besten Freunde?”

      „Ja. Sie sind treu, bescheiden, sprechen nur, wenn man sie fragt. Kommen Sie mit. Ich stelle eine Flasche Sekt in den Kühlschrank, und wenn die Bücher eingeräumt sind, begießen wir meinen Einzug.”

      „Bücher …”, wiederholte das Mädchen nachdenklich.

      „Was meinen Sie damit?”

      „Alles. Doch Schluß mit dieser Philosophiererei. Ich helfe Ihnen. Nur vorweg: ich gehe täglich, und wenn der Teufel auf Stelzen kommen sollte, um 22.00 Uhr ins Bett.”

      „Sie sind ein weises Mädchen. Hoffentlich werden Sie mir nicht zu gefährlich?”

      „Bitte, keine Phrasen. Wir haben doch ein Abkommen getroffen und man sollte das, was man verspricht, auch halten.”

      Jerry verbeugte sich. „Ohne Floskel und ohne Spaß. Ich bin ein Frühaufsteher, muß daher ebenfalls zu meiner Zeit ins Bett, weil ich sonst am nächsten Tag nicht fit genug bin. Zufrieden?”

      „Das haben Sie nett gesagt.”

      „Sehen Sie, Sie sind ein nettes Mädchen und ich”, Jerry suchte die passenden Worte, „sage Ihnen manchmal etwas Nettes.”

      „Nun aber ans Werk”, stichelte das Mädchen.

      „Wenn wir Ihre zehn Bücher auspacken und einsortieren wollen, sollten wir allmählich anfangen, denn um 22.00 Uhr bläst bei mir der Nachtwächter auf seinem Horn und die Sandmännchen schütten über mich ihre Säcke aus.”

      Als sie das Appartement betraten, das sich Jerry Thomsen gekauft hatte, sah sich das Mädchen interessiert um.

      „Sie wohnen hübscher, großzügiger. Ihr Balkon geht nach dem Süden und damit haben Sie einen wunderschönen Blick auf die Wälder. Meine Fenster liegen nach Norden und so ist es bei mir fast immer dämmrig.”

      „Ich sagte es ja schon”, lächelte Jerry, „mein Balkon steht Ihnen jederzeit zur Verfügung.”

      „Na, wie ich Sie kenne, liege ich keine halbe Stunde in der Sonne und schon meinen Sie tätscheln zu müssen. Nach dem zweiten Cola – die Männer sind doch alle gleich … – glauben Sie schon Rechte zu haben. Sind Sie mir böse, wenn ich Ihnen auf diese Einladung einen grundsätzlichen Korb gebe?” „Haben Sie denn bisher so schlechte Erfahrungen gemacht, daß Sie so kritisch, fast möchte ich sagen nihilistisch sind?”

      „Wie man es nimmt. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Doch wollten wir nicht Ihre Bücherkisten ausräumen und …?”

      „Sie stehen im Bad. Die Deckel habe ich schon aufgestemmt. Ich möchte schnell meinen Schreibtisch einräumen, wären Sie so lieb, die Bücher hierher ins Wohnzimmer zu tragen und zu sortieren?” Kurz überlegte er und blickte auf das Mädchen. „Wenn Sie die Bücher bereits sortieren, könnten wir dann gemeinsam die Regale belegen. Ich möchte nicht jedes Fach von links nach rechts vollstopfen. Es sollen Lücken sein, doch müssen sie sich von selbst ergeben. Zwischendurch soll ein schönes Glas, eine Vase, eine interessante exotische Flasche oder eine Plastik stehen.”

      „Gut. Ich lege die Bücher auf den Boden und Sie … “

      „Könnten Sie die Bücher nicht gleich in bestimmte Wissensgebiete aufteilen?”

      „In welche?”

      „Bilden wir sechs Gruppen. Warten Sie, ich mache Zettel und Sie brauchen dann auf diese nur die zutreffenden Titel legen. Hier ist Kulturgeschichte’, dann kommt Zeitgeschichte’, also Krieg, Politik usw., als dritte Gruppe nehmen wir Belletristik’, also Romane, Erzählungen, Lyrik usw., alles was in etwa der Unterhaltung dient. In diese Ecke legen Sie, Religionsgeschichte’, dorthin Bildbände’. Diese Bücher brauchen einen besonderen Platz, weil sie oft sehr groß sind und als letzte Gruppe kommt die, Erotik’, die Sexualkunde mit all ihren Problemen.”

      „Dann sind Sie doch nicht so keusch, wie Sie bisher taten?”

      „Muß man Krebs haben, um darüber etwas aussagen zu können? Muß man von einer Schlange gebissen worden sein, um ihre Gefährlichkeit zu kennen, muß man rauschgiftsüchtig gewesen sein, um das Wissen zu haben, wie schwer man von den Drogen wieder loskommt?”

      „Ich räume ja schon die Kisten aus”, sagte Fränki kess. Nach etwa zwanzig Minuten atmete sie tief durch. „Um Gottes willen, was machen Sie denn mit so vielen Büchern? Haben Sie die alle gekauft oder hatten Sie einen Onkel, der sie Ihnen vererbte?”

      „Gekauft natürlich.”

      „Und mit was bezahlten Sie diese riesigen Bücherberge?”

      „Indem ich schöne Mädchen mied. Manchen Kuß und Sündenfall erlaubte ich mir nicht, weil mir dieses oder jenes Buch lieber war. Schöne Frauen kosten nun mal Geld …”

      „Da wird mir aber Angst.”

      „Warum?” lachte Jerry zurück.

      „Weil ich hoffte, daß mein Nachbar ein froher, lebendiger, im Jetzt stehender Mensch ist und nicht einem Tick nachläuft.”

      „Wenn ich aber, trotzdem’ nicht ticke? Wenn ich trotz meiner Bücher sehr lebendig und froh und vernünftig bin?”

      „Dann ist wahrscheinlich ein Wunder geschehen”, sagte das Mädchen und atmete wieder tief durch.

      Es war genau 21.00 Uhr, als die Bücher ihren Platz hatten. Fränki Clifford hatte sogar gewagt, die strenge Anordnung zu durchbrechen und der Dank war, daß sie von Jerry mehrmals wohlwollend angelächelt wurde.

      „Nun haben wir aber einen guten Schluck verdient”, sagte er und holte aus dem Kühlschrank den Sekt. „Ich bin ein Freund von Trinksprüchen”, witzelte er, „es mag an meinem Hobby liegen.”

      „Was, Sie haben sogar noch ein Hobby?”

      Er nickte. „Es kann sein”, sagte er grübelnd, „daß ich es Ihnen nie zeige, es kann aber auch sein, daß Sie es erfahren, wenn wir uns heute Gute Nacht sagen.”

      „Und wenn ich es schon jetzt wissen möchte?” „Dann sage ich Ihnen erneut und präzise, daß ich es Ihnen vielleicht nie, vielleicht aber schon um 22.00 Uhr sage.”

      „Und an was hängt das vielleicht’?”

      „Bitte, lassen Sie mir Zeit, Sie erfahren es früh genug.”

      Der Sekt schmeckte, löste die immer noch etwas zwischen ihnen liegende Verkrampfung. Es war über 21.30 Uhr, als die Flasche leer war und sie erst begannen, warm zu werden.

      „Trinken wir noch ein Glas?” fragte Jerry.

      „Die Flasche ist doch schon leer?”

      „Im Kühlschrank liegt noch eine zweite.”

      „Ob ich aber dann noch nachhause finde?”


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