Augusta und ihr Dichter. Gerd Mjøen Brantenberg

Augusta und ihr Dichter - Gerd Mjøen Brantenberg


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brachte. Und das würde zu einer heftigen Szene zwischen den Eltern führen, und nichts im Leben war schwerer zu ertragen als solche Auseinandersetzungen.

      Sie wurde aus ihrer Mutter einfach nie schlau. Den Vater verstand sie, sie brauchte ihn nur von hinten zu sehen, und schon hatte sie seine Stimmung erfaßt. Aber die Mutter hatte ihr nie Mitgefühl erwiesen. Hatte sich nicht um sie gekümmert, als Hektor erschossen worden war. Sie rief sich für diese Gedanken zur Ordnung, kaum daß sie sie überhaupt gedacht hatte. Vielleicht litt die Mutter ja unter ihrem Wesen? Auf diese Idee war sie bisher noch nie gekommen.

      Augusta antwortete nicht gleich auf die Bemerkung ihrer Mutter. Sie hätte sagen können, daß die Mutter ihren Kopf auch zur Wortklauberei verwandte. Aber sie wollte etwas Versöhnliches sagen, etwas Lichtes, etwas, das die Mutter gern hörte. Sie könnte vielleicht eine der zahllosen Geschichten wiedergeben, die sie auf Frimannslund gehört hatte. Über Schmerzen und Sehnsüchte der Romanfiguren konnte sie mit ihrer Mutter doch sprechen. Die Geschichte der schottischen Jeannie, die durch ganz England wandert, um die englische Königin um Gnade für ihre Schwester anzuflehen, diese Geschichte würde der Mutter gefallen. „Weißt du, was er gekostet hat, der Goldring, den du von Vater bekommen hast?“ fragte die Mutter. „Nein, das weiß ich nicht, und ich will es auch nicht wissen“, antwortete Augusta. „Ich muß schon sagen, du bist wirklich nicht auf den Mund gefallen“, sagte die Mutter. „Nein, das habe ich hier zu Hause so gelernt.“ Ausnahmsweise mußte die Mutter ihr die Antwort schuldig bleiben.

      „Bald ist die Unschuld der Jugend dahin, das Leben der Welt trägt Gefahren im Sinn“, dachte Augusta. Welche Gefahren mochten das sein, und welche Schuld würde ihr die Unschuld nehmen? Würde sie ihre Unschuld einfach deshalb verlieren, weil die Zeit verging? Sie begriff das nicht. Sie begriff eigentlich auch nicht, wieso sie plötzlich „erwachsen“ sein sollte. Das war doch von einem Tag auf den anderen gar nicht möglich. Am 12. Oktober Kind, am 14. Oktober erwachsen. Das dauerte doch länger. Oder griff Gott genau an diesem Tag ein und ersetzte das Kinderherz durch ein Erwachsenenherz? Sie hatte so ein Gefühl gehabt, als der Pastor ihr vor dem Altar die Hand auf den Kopf gelegt hatte.

      Es war der Tag nach dem häßlichen Wortwechsel mit der Mutter. Nach und nach war das Gespräch in ruhigere Bahnen geglitten. Jetzt saß sie vor dem Haus auf der Treppe und blickte in der Dämmerung über das weite Tal und die Höfe, nach denen sie sich in Daviken so gesehnt hatte. Es war schon kalt, aber noch kein Schnee gefallen. Sie blickte in Richtung Westküste, das hatte sie immer getan, wenn sie hier saß, aber jetzt wußte sie, wie es dort aussah, und deshalb sah auch Oppdal anders aus. Hinter den im Blauen verschwimmenden Berggipfeln wohnten klare Bilder. Eins davon zeigte Fräulein Seemann. Augusta konnte nicht behaupten, sie zu mögen oder nicht zu mögen, Fräulein Seemann war eine hübsche, sympathische Dame. Aber das war es gerade – daß sie eine Dame war! Erwachsen, zwanzig Jahre alt. Und Bjørnstjerne war doch noch ein Knabe. Was mochte zwischen den beiden geschehen sein? Hatte Bjørnstjerne seine Unschuld verloren, oder besaßen nur Mädchen eine „Unschuld“? War er seit ihrer letzten Begegnung zum Mann geworden? Wenn ja, dann grauste sie sich vor der nächsten.

      Und was für Gefahren waren im Gedicht ihres Vaters gemeint? Ein bißchen Gefahr konnte doch ganz spannend sein, sie wollte nicht nur davor gewarnt werden, sondern auch selber erleben. Sie sah Frau Lindeman vor sich. Sie sehnte sich nach dem Leben, in das sie erst vor kurzem eingeführt worden war. Sie wollte weiter. Wohin? – Auf Frimannslund hatte sie viele Gedichte auswendig gelernt. Jetzt konnte sie sie jederzeit hervorholen. Die Gedichte brachten neues Wissen, immer neues. Obwohl manchmal behauptet wurde, es gebe nichts Neues unter der Sonne und alles wiederhole sich. Und wenn es stimmte, na und? Ein Gedicht änderte sich jedesmal, wenn es gelesen oder aufgesagt wurde. Da mußte ein neues Gedicht doch etwas ganz anderes sein als ein altes, längst geschriebenes?

      Aber es stimmte eben nicht, daß sich alles immer nur wiederholte. Sicher, häufig war das so. Aber ab und an wurden Dinge gesagt, die die Welt veränderten.

      Sie selbst fand nicht, daß ihre Worte sich zu Gedichten zusammenfügen ließen. Aber wenn sie sang, konnte sie etwas sagen. Durch die Töne, die Pausen, durch den unterschiedlichen Klang, den ihre Stimme den Tonfolgen gab, hier Stärke, dort fast ein Flüstern, dann wieder gedämpft, plötzlich lebhaft, manchmal wehmütig. In Daviken hatte sie viele Komplimente für ihre Stimme und für ihre natürliche Musikalität, wie Frau Lindeman das nannte, geerntet. Und solche Komplimente versetzten sie in eine seltsame, erregte Stimmung. Sie konnte mit ihrer Stimme Gedichte schreiben.

      Sie habe einen lyrischen Sopran, hatte Frau Lindeman gesagt. Auf jeden Fall könnte ihre Stimme bei ausreichendem Training dazu werden. Augusta sprang auf und sang. Ein Gedicht von Goethe, das Schumann mit einer Melodie versehen hatte. Es handelte von einem Knaben, der auf der Heide ein Röslein sah. Das Röslein war schön, bat ihn jedoch, es nicht zu pflücken. Der Knabe achtete nicht darauf, und das Röslein stach ihn. Ob der Knabe diesen Schmerz je vergessen hatte?

      Sie sang aus voller Kehle. Vor ihr auf dem Hof standen Menschen mit Zylinderhüten und langen Frackschößen, mit weiten Seidenkleidern und langen Handschuhen, mit hohen Frisuren und Fächern. Und alle applaudierten. Danach wurde die junge Begabung Augusta Mjøen in der Zeitung erwähnt. Ein Naturtalent. Augusta machte vor den Bergen einen tiefen Knicks. Sie freute sich auf Kristiania.

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