Augusta und ihr Dichter. Gerd Mjøen Brantenberg
lügen.“ – „Vielleicht hat sie recht?“ Wieder blickte er sie überrascht an.
„Ich weiß nicht... Ich habe mir in Daviken so viele Gedanken über Lüge und Wahrheit gemacht und darüber... Frau zu sein.“ Sie schien Anlauf genommen zu haben, um das sagen zu können.
Im Pfarrhof war eine fremde Dame zu Besuch. Pastor Bjørnson stellte sie als Anthonette Seemann vor, es stellte sich heraus, daß sie seit kurzem mit Bjørnstjerne verlobt war. Sie war als Hauslehrerin nach Nesset gekommen, und die Verlobung hatte stattgefunden, ehe Bjørnstjerne nach Kristiania gegangen war, wo er Heibergs Schule besuchen sollte.
Sie blieben zwei Tage dort, und während Bjørnson und Mjøen sich im Pfarrbüro in allerlei Papiere vertieften, fuhr Augusta mit Frau Bjørnson zu einigen Inselchen, um Seevögeleier zu sammeln. „Man muß wissen, wie man die Vorräte ergänzt“, sagte Frau Bjørnson, als sie hinausruderten. „Wenn der Pastor seinen Butterzehnten ausstehen hat, fahre ich durch das Dorf und sammele selber ein. Und ich nehme ein paar Leckerbissen mit und bekomme immer, was mir zusteht, und oft sogar mehr. Begreifst du, warum Bjørnstjerne sich unbedingt verloben wollte?“ fragte sie unvermittelt. „Er ist doch erst siebzehn. Das war zu Weihnachten.“
Augusta wußte nicht, was sie dazu sagen sollte. Aber sie brauchte sich darüber auch keine Gedanken zu machen, denn nun brachte Frau Bjørnson ihre Besorgnis zum Ausdruck, daß Bjørnstjerne in der Hauptstadt vielleicht an die Thrane-Bewegung geraten könnte. Und die wollten doch Revolution. „Begreifst du, wozu diese Revolution gut sein soll?“ Sie erzählte, daß Bjørnstjerne in der Hauptstadt im selben Haus gewohnt hatte wie der dänische Abenteurer Harro Harring, der des Landes verwiesen worden war. Bjørnstjerne hatte im Tivoligarten vor zahlreichen Zuhörern eine flammende Rede gegen den Ausweisungsbescheid gehalten. – „Er hat natürlich recht, er steht auf der Seite der Menschen. Aber es ist sehr gefährlich, recht zu haben.“ Danach sprach sie über die Eier, von denen sie reichliche Mengen fanden.
Jan Mjøen konnte die Veränderung im Gesicht des Pastors deutlich sehen. Sein starker, guter Humor schien verschwunden zu sein. „Ich wußte nicht, daß ich im Dorf so viele Feinde habe“, sagte Bjørnson. Wer den Klatsch hörte, konnte durchaus glauben, er, Bjørnson, sei an allem schuld, nicht der Kapitän. Er hatte gegen den Kapitän ausgesagt und war damit zur eigentlichen Hauptperson der Auseinandersetzung geworden. Die Leute ritten auf allem herum, was sie an ihm nicht leiden konnten. Sie behaupteten, er versuche, sich in jeder Hinsicht zu bereichern, und erzählten, wie seine Frau im Dorf umherzog und die beste Butter an sich riß. In der Zeitung wurde ihm vorgeworfen, seine Konfirmanden bei der Heumahd einzusetzen und „geradezu krankhaft eifrig darauf zu achten, daß keiner sich drückt“. Und auf der Kanzel sei er wie eine schwarze Gewitterwolke, die nur von der höllischen Pein sprach. Die Sorgen und Probleme seiner Pfarrkinder dagegen seien ihm egal.
Das alles behauptete der Klatsch. Aber hatten sie denn wirklich etwas dagegen, daß er mit den grauenhaften Zuständen aufräumte, hätte der Pastor gern gewußt. „Denn vor den grauenhaften Zuständen drücken sie beide Augen zu. Sie haben nichts gesehen und nichts gehört. Der Kapitän ist der mächtigste Mann im Dorf. Und vor der Macht werden die meisten Menschen zu kriechendem Gewürm. Hat dagegen jemand Pech, sind sie mutig wie die Stiere. Dann treten sie die Unglücksvögel in den Staub und rufen noch hurra dabei, auch wenn sie bisher nie ein böses Wort über diese Menschen verloren haben.“
„Aber du bist doch in einer sehr starken Position“, sagte Mjøen. „Das Recht ist auf deiner Seite, wenn du alles korrekt erzählt hast.“ – „Viele haben auf dieser Welt recht gehabt und sind doch auf dem Schafott gelandet“, erwiderte Bjørnson. „Ach, du darfst den Mut nicht verlieren! Diesen Fall kannst du vor Gericht doch unmöglich verlieren. So sehe ich das. Und das Urteil müßte eigentlich im Lauf des Oktober fallen. Schließlich dauert der Streit nun schon drei Jahre.“ – „Meinst du wirklich?“ fragte Bjørnson. Der Lensmann überlegte. „Ja, das meine ich. Aber wenn du meine ehrliche Meinung hören willst, dann hättest du ein wenig vorsichtiger sein müssen.“ – „Vorsichtig!“ brüllte Bjørnson. Und dann zählte er alle Untaten des Kapitäns auf.
Jon Mjøen sah unruhig aus dem Fenster, er glaubte, Augusta und Frau Bjørnson zurückkehren zu hören. Die Vorstellung, daß Augusta Bjørnsons Worte hören könnte, war entsetzlich für ihn.
„Du hast recht“, sagte der Lensmann, als Bjørnson seine Aufzählung beendet hatte. „Aber ich finde, du hättest dich in deiner schriftlichen Darstellung ein wenig vorsichtiger ausdrücken sollen. Vor Gericht solltest du deine Worte auf die Goldwaage legen.“ – „Die einzige Waage, auf der ich meine Worte wiege, ist die des Himmels. Und die verlangt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“, sagte Bjørnson.
Auf der Heimfahrt erzählte Jon Mjøen Augusta von Pastor Bjørnsons Streit mit Kapitän Lied, ohne jedoch ins Detail zu gehen, und äußerte sich voller Besorgnis über Bjørnsons Zukunft in Nesset.
8. Kapitel
Auf, ein Hoch den frommen Frauen,
die das Fest so schön geschmückt,
die so treu uns ins Auge schauen,
die uns heute hoch beglückt,
die sittsam treten zum Tisch des Herrn,
über holden Frauen wacht Gottes Stern.
Sagt an, was kann denn schöner sein
als eine Jungfrau unschuldsrein,
wo die Rose mit dem Schnee so fein
auf der Wange sich gepaart?
Wenn sie sittsam treten zum Tisch des Herrn,
wacht über den Holden stets Gottes Stern.
Doch bald ist die Unschuld der Jugend dahin,
das Leben der Welt trägt Gefahren im Sinn.
Der Ring sei Symbol dir für ewigen Frieden
und für Ruhe des Herzens im Leben hienieden.
Wenn sie sittsam treten zum Tisch des Herrn,
wacht über den Frommen stets Gottes Stern.
Augusta wurde am 13. Oktober von Pastor Dick in der Kirche von Oppdal konfirmiert, und zu diesem Anlaß hatte ihr Vater dieses Gedicht für sie verfaßt. Er trug es zu Hause mit feierlicher Stimme vor und überreichte ihr einen Goldring mit einer Perle. Sie wurde zusammen mit zweiunddreißig anderen Mädchen und fünfundvierzig Jungen eingesegnet und erhielt im Kirchenbuch als einzige das Prädikat „ausgezeichnet“.
Ihre Mutter hätte sie gern nach Christiansfeld geschickt, wo auch Frau Lindeman, Camilla Wergeland und viele andere bedeutende Damen in ihrer Jugend einige Zeit verbracht hatten. Der Lensman aber wollte sie nicht so weit fort lassen. Schließlich beschlossen die Eltern, daß Augusta nach Weihnachten im Eugenienstift in Kristiania ihre Ausbildung in Musik und Sprachen fortsetzen sollte. Sie sollte außerdem bei dem deutschen Ehepaar Athmer Musikunterricht nehmen. Herr Athmer war Musikprofessor, Frau Athmer Pianistin, sie war eine Nichte des Komponisten Carl Maria von Weber und galt als sehr begabt. „Ich will nicht, daß dein kluger Kopf ebenso brachliegen muß wie meiner“, sagte die Mutter, sie standen in der Küche und spülten das Geschirr vom gestrigen Konfirmationsfest. „Meinst du, daß dein Kopf brachliegen muß, Mutter?“ fragte Augusta. „O ja, ich könnte mir schon vorstellen, ihn zu etwas anderem zu benutzen, als Diebereien im Vorratshaus zu entlarven.“
Die Mutter beschuldigte die Mägde oft, heimlich Wurstenden eingesteckt zu haben, auch wenn die Mädchen dann weinten und ihre Unschuld beteuerten. Augusta mußte daran denken, was im Dorf über die Mutter geklatscht wurde, sie hätte sie gern danach gefragt. Aber was ihr Vater ihr erzählt hatte, schien sie daran zu hindern. Sie sprach selten mit der Mutter über Dinge, die wirklich ihr Herz betrafen. Sie unterhielten sich nur über Alltagsthemen. Über Sesselbezüge, die bestickt, oder Kartoffelmehl, das gemahlen werden mußte, über die Dinge eben, aus denen das Leben sich hauptsächlich zusammensetzte.
Bisher hatte Augusta nicht weiter darüber nachgedacht, warum das so war. Sie vertraute