Die Haut am Markt. Will Berthold

Die Haut am Markt - Will Berthold


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und schlürft.

      Noch ein Tritt. Der Mann erhebt sich. Brühe klebt am Waffenrock. EK garniert mit Erbsen.

      Der Bogen muß brechen. Einem wird es zu bunt. Er greift nach der MP, entsichert sie.

      Der Leitwolf sieht es, grinst stumm, starrt den Mann an, lange, Sekunden aus Gummi. Der Lauf der MP sinkt nach unten. Die Raucherzähne stellen das Lächeln ein.

      Oberleutnant Debring hebt die Hand, zeigt nach drüben. Erbsensuppe. Kübelweise. Eine ganze Feldküche voll. Keiner braucht vom Boden zu fressen. Die Wölfe nehmen die Witterung auf. Gehen auf Vordermann. Gefährliches, reißendes Rudel. Raus aus dem Loch. Hinüber zum Iwan. Der Leitwolf lächelt. Psychologie gegen Propaganda.

      Die Wölfe greifen an. Sie springen, sie reißen, sie heulen, sie töten. Feindliche Stellung aufgerollt, neun Tote, vier Vermundete. Eine halbe Gulaschkanone mit Erbsensuppe.

      Hurräh! Die Iwans kommen zurück. Greifen an. Munition verschossen. Lage aussichtslos. Zehnfache Übermacht. Stellung nicht zu halten.

      Hurräh! Die ersten sind heran. Vorbei der Zauber. Der Leitwolf steht am Funkgerät, Oberleutnant Debring nimmt Verbindung zur Artillerie auf: Feuer auf den Eigenstandpunkt (EST), auf die eroberte Stellung, auf sich, auf die anderen.

      Selbstmord auf Bestellung. Die erste Lage jault heran, krepiert mitten im Graben, zerfetzt Freund und Feind. Der Leitwolf überlebt, lächelt stumm. Nächster Volltreffer: sieben Russen, drei Deutsche. Noch ein Einschlag. Wer zählt noch? Artillerie schießt haargenau, großzügig, freigebig.

      Vier Mann der Kompanie überleben, darunter Oberleutnant René Debring, der Leitwolf, Stellung gehalten. Für zwei Stunden. Erbsensuppe reicht für eine ganze Woche. Rezept à la Debring. Feuer auf den Eigenstandpunkt (EST). Manchmal glückt es. Meistens nicht.

      »Nachdenklich?« fragte René Debring belustigt. Er sah nach rechts, wo das Barmädchen eben dem Kurzatmigen eine dampfende Terrine zuschob. René lächelte lautlos, hatte begriffen, verfügte noch immer über die zwingende Fähigkeit, Gedanken zu, erraten, Menschen zu beherrschen, sie starr zu mustern, sie zu quälen, sie zu provozieren und sie zu faszinieren; Hirn ohne Herz. Maschine ohne Seele. Macht ohne Moral.

      »Du hast dich nicht verändert«, sagte ich.

      Er nickte beiläufig. »Lebst du in München?«

      »Ja.«

      »Verheiratet?«

      Ich nickte.

      »Schiefgegangen?«

      »Geht dich nichts an.«

      »Immer noch so zimperlich?«

      »Lassen wir das.«

      »Wie du willst«, sagte er, betrachtete mich nachdenklich von der Seite, sah auf die Uhr, streifte dann mit einem starren Seitenblick die Rotblonde hinter der Theke, die ihm ausweichen wollte. Sie spürte die Blicke seiner Raubfischaugen wie Hände auf ihren Schultern. Hastig drehte sie sich um, aber er verfolgte sie noch im Spiegel, wartete, bis sie das eilig gespülte Glas absetzte, zog die Oberlippe hoch, beugte sich über die Theke, betrachtete sie wie damals die alte Russin – die ihm ins Gesicht gespuckt hatte –, deren Sohn er als Partisan erschießen lassen wollte, bis die fünfzehnjährige Schwester mit ihm ins Bett ging.

      »Sie sind hübsch. Ab wann haben Sie frei?«

      »In einer Stunde.« Ihre Augenlider zuckten.

      »Gut, dann gehen wir zusammen.«

      »Nein, aber das …«

      »Sie kommen mit mir«, befahl René.

      Sie wagte sich nicht von der Stelle zu rühren, stand da wie hypnotisiert, in plötzlicher Angst.

      »Und Sie wissen auch, warum.«

      Wasser lief über ihre Iris. Sie riß sich fast gewaltsam los, sah sich hilflos nach dem Chef um. René stand da und wartete, gleichgültig, bis er wieder seinen Blick gegen sie einsetzen konnte, um seine abstoßende Anziehung mit spielerischer Brutalität vorzuführen.

      »Sei unbesorgt«, sagte er dann, »sie interessiert mich nicht. Den Abend verbringen wir zusammen. Ein so begeistertes Wiedersehen muß gefeiert werden. Wo wohnst du?«

      »Im Bayerischen Hof«, versetzte ich.

      »Trifft sich gut«, entgegnete Debring, »wir wohnen unter einem Dach.« Er sah dem Barmädchen zu, das jetzt verängstigt in der anderen Ecke die Gläser spülte, wandte sich dann wieder mir zu: »Mein Umgang mit Frauen mißfällt dir noch immer?«

      Das Mädchen war mit den Gläsern fertig, griff nach den bereits gespülten, setzte sie grundlos noch einmal unter Wasser.

      »Du änderst dich nie«, fuhr er gelassen fort, »teils Idealist, teils Romantiker. Aber wenn man genau hinsieht, sind es doch bloß die Keimdrüsen.«

      René hatte sich selbst das Stichwort gegeben; was jetzt kam, kannte ich auswendig, noch nach zwölf Jahren.

      »Zwei Dinge hat der Mensch: Intellekt und Sex, Kopf und Unterleib. Die ganze Kunst ist, das auseinanderzuhalten. Gefühle sind sublimierte Triebe, weiter nichts. Man schaltet sie aus, wenn man seinen physischen Bedürfnissen nachkommt.« Er lachte lautlos. »Wo kämen wir denn da hin, wenn die Gedanken auch noch einen Penis hätten?«

      Um uns herum saßen und standen Leute, aber keiner hatte uns zugehört. Jeder war damit beschäftigt, sich selbst zu lauschen.

      René warf einen Geldschein auf den Tisch.

      »Also, um neun, in der Hotelbar«, sagte er, nickte und stapfte dann gleichmütig aus dem Espresso: ein Relikt aus dem Krieg, ein Trauma, das ich haßte und doch nicht überwinden konnte.

      Ich sah seinen Abgang durch den Spiegel, seine charakteristische Art, in der Tür noch einmal stehenzubleiben, den Hals zu recken, seinen Kopf auszuschwenken wie ein Periskop.

      Die Rotblonde kam zögernd näher.

      »Ein komischer Kerl, Ihr Freund«, sagte sie.

      »Komisch ja«, antwortete ich, »aber nicht mein Freund.«

      Ich bestellte noch einen Schnaps. »Für Sie auch«, lud ich sie ein.

      »Danke«, sagte sie, »auf den Schrecken nehme ich gern einen.«

      Ich ließ mir ein Taxi bestellen. Ich mußte fast zehn Minuten warten, vergaß René und schaltete auf Sybille um, ließ Sybille stehen und ging wieder zu René zurück.

      Dann spürte ich, wie der Schnaps die Konturen meiner Gedanken schliff: Ich konzentrierte mich auf Miggi, soweit es die Tiraden meiner Umgebung zuließen, der Menschen an der Bar, die Affären zerlegten, Schlagworte predigten, Aktien kauften, den Leberschaden pflegten, Kuchen aßen und dabei Entfettungsrezepte austauschten, in den Tassen rührten, Ehebrüche goutierten, ihren Chef entließen, Nikotin husteten und ihre Frau betrogen.

      »Ein Jammer, daß die italienischen Puffs heuer geschlossen sind. Weißt du, die Italienerinnen, die haben ihren Stolz, da bist du kein Tourist, sondern ein echter Signore.«

      »… kann sich doch nicht scheiden lassen, aber er geht fremd wie ein roter Fuchs …«

      »… es fehlt überhaupt der Idealismus in der Politik.«

      »Ihr Taxi«, rief mir das Barmädchen zu. Endlich lagen Gesundheitsschäden, Bettgeschichten, Börsentips und Schminkrezepte hinter mir.

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