Die Haut am Markt. Will Berthold

Die Haut am Markt - Will Berthold


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kann und will ich nicht«, erwiderte ich.

      »Du hast für mich genug getan«, antwortete sie, »ich weiß das ganz genau. Du bist ein anständiger Kerl – aber ich bin krank, ich erkenne das weit besser, als du denkst. Ich weiß auch, wie abscheulich ich bin, wenn diese Anfälle …«

      Sybille war wie ein rührendes, hilfloses Kind. Ich durfte mir nicht einmal anmerken lassen, wie mich ihre Worte trafen. Ich versuchte, glaubhaft zu lügen.

      »Es ist nicht so schlimm«, versetzte ich, wollte überzeugen, aber ich hörte, daß es kläglich klang.

      »Doch«, erwiderte Sybille, »ich wollte schon lange mit dir darüber sprechen. Aber immer waren dann diese dummen Schmerzen im Kopf, na – du weißt schon.« Sie rückte näher an mich heran, suchte meine Augen. »Du mußt dich von mir trennen, Paul.«

      »Nein«, sagte ich gepreßt.

      »Doch«, fuhr sie mit Nachdruck fort, »nimm Miggi zu dir, ganz. Die Kleine soll nicht wissen, wie – wie krank ich bin.«

      »Nein«, sagte ich abschließend; ich versuchte, fest auszusehen.

      »Du wunderst dich vielleicht«, sagte sie, »du meinst, ich mag keine Kinder. Das hängt doch nur mit diesem Zustand zusammen. Früher war das alles ganz anders. Natürlich hänge ich an dem kleinen Gör wie jede andere Mutter.« Sybille sprach jetzt, als dozierte sie: »Man darf nicht egoistisch sein, wir zwei waren ja auch einmal Kinder und brauchten …« Sie stockte, sah mich dann voll an, setzte hinzu, als hätte sie es auswendig gelernt: »Und brauchten Liebe.« Ihre Augen wichen mir immer noch nicht aus. Ich wollte mich vor ihnen verstecken, als Sybille leise, aber deutlich hinzufügte: »Ich weiß, daß Miggi bei dir in guten Händen ist. Du hängst doch an ihr, nicht? Du mußt auch noch dafür sorgen, daß ich ihr nicht fehle.«

      »Nein, Sybille«, sagte ich fest, »wir drei gehören zusammen.« Meine Worte standen auf sumpfigem Boden, über den ich vorsichtig, zögernd weiterging. »Es gäbe auch noch einen anderen Weg, Sybille.«

      Wieder hatte sie die Augen eines Kindes. Die Iris wirkte groß und feucht.

      »Fühlst du dich besser?« fragte ich.

      Sie nickte willig. Ich spürte, wie sie sich anpassen wollte, als hätte sie etwas gutzumachen.

      »Wenn ich jetzt aus Paris zurück bin«, fuhr ich fort und wagte fester aufzutreten, »habe ich viel Zeit für dich; wir gehen dann – zusammen, Sybille, begreifst du, zusammen – in ein Sanatorium und lassen unsere Nerven kurieren.«

      Jetzt, dachte ich, jetzt!

      Aber Sybille blieb ruhig, gelassen. Ihre Augen sahen durch das Fenster, als suchten sie ein fernes Ziel. Um ihren Mund spielte ein Lächeln, verbreitete sich wie ein Wellenring. Ihr Gesicht wirkte jetzt klar und aufgeräumt, wie der Himmel nach einem Gewitter.

      »Wir beide, ganz allein«, drängte ich.

      »Ja«, antwortete sie, »vielleicht würde es dir auch nicht schaden.«

      Ich wagte mich noch weiter vor.

      »Ich freue mich schon«, versetzte ich, »weißt du, wir suchen uns einen Platz mit viel Wald, einem See und vielleicht ein paar Bergen im Hintergrund. Es wird dann so wie damals, als wir heirateten.«

      Sybille lächelte voll. Sie dachte angestrengt nach. Ich merkte, daß sie begann, an diese Zukunft zu glauben – und faßte selbst wieder etwas Hoffnung.

      »Die Luft wird dir guttun. Du nimmst wieder etwas zu«, fuhr ich fort, »dann suchen wir uns einen Modesalon, kaufen ein und dann«, ich drehte sie an den Schultern leicht um, so daß sie mir ihr Gesicht ganz zuwandte, »dann sehen dir wieder alle nach – und ich werde es schwer mit meiner Eifersucht haben.«

      »Ja«, entgegnete Sybille. Sie flüsterte fast.

      »Keiner darf dir etwas tun, ich bin immer bei dir, auch – wenn dich der Arzt behandelt.«

      Sybille blieb immer noch ruhig.

      »Willst du?« fragte ich.

      »Ja«, wiederholte sie. Sie fuhr mir mit der Hand durch die Haare. »Wenn ich wieder einmal Dummheiten machen sollte«, setzte sie dann hinzu, »nimmst du mich fest in den Arm.«

      »Ja, immer«, entgegnete ich erleichtert.

      Dann besprach Sybille Einzelheiten des Haushalts mit mir, kleine Dinge des Alltags. Ich legte den Arm um ihre Schultern, zog sie an mich; die glückliche Stimmung deutete ich als ein gutes Vorzeichen meines Experiments. Ich ließ sie los, als ob ich mich plötzlich an etwas erinnerte. Ich machte es schlecht, aber es fiel ihr nicht auf. »Du weißt doch« sagte ich, »Gerd fliegt für ein Jahr nach Amerika, zu einem Studienaufenthalt.« Ich betrachtete Sybille von der Seite, ihr Gesicht wirkte noch immer weich, gelöst.

      »Stimmt, ja«, antwortete sie. »Wann fährt er denn?«

      »In ein paar Tagen.«

      Sybille kannte Rechtsanwalt Dr. Gerd Frey gut, er war der Freund, auf den ich mich verlassen konnte. Wir waren nebeneinander aufgewachsen, schon unsere Mütter hatten uns im Kinderwagen zusammen ausgefahren. Wir verprügelten die gleichen Nachbarskinder, küßten dieselben Mädchen und überlebten den nämlichen Krieg.

      »Verabschiedet sich Gerd denn nicht von uns?«

      »Doch. Heute abend«, entgegnete ich.

      Sybille lächelte und nickte dabei.

      »Du brauchst nicht zu erschrecken, er kommt erst nach Tisch. Aber«, ich fing ihren Blick auf und glaubte, daß ich weitergehen konnte, »eine dumme Sache, Sybille. Er hat einen Bekannten zu Besuch und wird ihn nicht los; er bat – daß er ihn mitbringen dürfe.«

      »Warum nicht?«

      »Gut«, entgegnete ich und verbarg meine Erleichterung. Gäste waren bei uns selten geworden; das Verhängnis, mit dem wir lebten, duldete keine Geselligkeit.

      Gerds Begleiter war Professor Lex, eine Kapazität als Psychiater. Der Freund hatte mir geraten, ihn getarnt als Privatgast mit einer unbefangenen Sybille zusammenzubringen.

      Sie zog sich um. Der Eifer spiegelte sich als leichte Röte in ihrem Gesicht. Sie sah gesünder und besser aus als sonst. Sie war auch noch in einer guten Verfassung, als unsere Gäste kamen.

      Wir führten zu viert ein normales Gespräch. Gerd erzählte von seinen Amerika-Plänen; er hatte seinen Begleiter als Geschäftsfreund vorgestellt.

      Professor Lex war groß, hager, mit auffällig gesunder Gesichtsfarbe und weißen, ganz kurz geschnittenen Haaren. Seine Diktion war knapp, sicher; seine Augen wirkten klug und kalt. Es war der Blick eines Mannes, der sein Leben lang mit Patienten zu tun hatte und deshalb alle Menschen musterte, als ob er nach ihrer Krankheit forschte.

      Sybille legte eine Platte auf. Gerd und ich gingen in den Garten, um sie mit dem Professor allein zu lassen. Ich war unruhig. Gerd lenkte mich ab, so gut er konnte.

      »Scheußlich«, sagte er, »aber es ist der einzige Weg, das weißt du so gut wie ich. Wir hätten schon längst …«

      »Ja«, versetzte ich, »aber trotzdem. Gerade heute – sie ist so zutraulich, so arglos.«

      Wir gingen in das Haus zurück. Zwischen Sybille und Professor Lex lief eine übliche Konversation. Er hatte offensichtlich seine Rolle gut gespielt. Wir saßen noch weiter zusammen, tranken Sekt, und da ganz plötzlich, ohne Anlaß oder Übergang geschah es.

      Sybille verlor ihr Wort mitten im Satz, stand gehetzt auf und starrte mit wilden Augen um sich. Sie war gedrückt, verkrampft, ihr Teint wirkte fahl, sie atmete schwer.

      »Sybille«, bat ich.

      Sie fuhr heftig herum; ich erschrak vor ihrem Gesicht. Sie kam mir entgegen; sie streckte das Sektglas wie eine Waffe von sich.

      »Du«, fauchte sie mich an, »du bist ein Schuft! Nicht nur ein Lügner, auch ein Betrüger!« Sie warf das Glas auf den Boden, faßte mit den Händen an ihre Schläfen.


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