Die Haut am Markt. Will Berthold

Die Haut am Markt - Will Berthold


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      Aus. Vorbei. Passé. Basta. Schluß. Funkstille.

      Ich zog die Vorhänge hoch, ließ Licht herein. Die Kopfschmerzen waren weg. Ich gab das Manuskript Sybille zum Lesen. Sie schüttelte den Kopf, lächelte verwirrt. In dieser Nacht blieb sie zum ersten Male bei mir. Wir liebten uns und machten Pläne.

      Dann überredete Sybille einen Dramaturgen, mein Stück zu lesen. Ich hatte es G – fis – g genannt. Es wurde umgetitelt: Die Haut am Markt, und ich hieß künftig in den Feuilletonspalten der Zeitungen nicht mehr Paul Kerbach, sondern Gerhard Nobis.

      Die Premiere fand in Berlin statt. Mit Sybille als Claudia. Sicherheitshalber fehlte ich. Siebzehn Vorhänge. Lizenzträger Dr. Schonbach (Brillanz ohne Charakter) schrieb in seiner Zeitung: »Das ist die exzessive Explosion einer introvertierten Dynamik, eine einzigartige Exklamation des Individuums, animalischer Intellekt und intellektuelle Animalität.«

      Die Haut am Markt wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erlebte Aufführungen in London, Paris, Rom, Hamburg, Göttingen und Hintertupfing.

      Ich fuhr von Aufführung zu Aufführung, wurde um Interviews gebeten. Die Zeit hob mich auf ein Karussell des Erfolgs, wirbelte mich herum, überschüttete mich mit Tantiemen.

      Kurz nach der Uraufführung heirateten Sybille und ich. Bald wurde Miggi, unsere Tochter, geboren.

      Immer wieder versuchte ich, ein zweites Stück zu schreiben, aber ich kam über die Ansätze nicht hinaus. G – fis – g hatte ich fast somnambul geschrieben, jetzt, da ich ein Stück bewußt erarbeiten wollte, fehlte mir die Fähigkeit. Ich spürte, daß es die subversive Rache der Konjunktur war, deren Negation mich in ihren Genuß gebracht hatte.

      Dann aber, Jahre später, kam ein anderes Drama auf mich zu: ich war wiederum nicht sein Urheber, sondern bloß sein Medium. Ich schrieb nicht mehr, ich erlebte es: Meine Haut am Markt.

      Erster Akt

      Sybille

      I

      Sie stand da und sah aus wie eine steinerne Mänade, die lange Zeit im Wasser gelegen hatte. Statuen schweigen; sie aber redete mit gezacktem Mund. Die Vorstellung, diese zuckenden Lippen einmal geküßt zu haben, war absurd.

      Sie war noch jung, aber das konnte man ihr nicht ansehen. Ihre Augen lagen tief, starr und dunkel in den Höhlen. Ihre Gesichtshaut schimmerte grünlich, ungesund. Sie sprach hektisch, giftig.

      Ich zog mich wie immer stumm vor dem Wortschwall zurück.

      In den letzten Wochen war wieder alles viel schlimmer geworden; deshalb setzte ich verzweifelt auf das Experiment, das ich für heute abend eingeleitet hatte. Sie sollte noch eine Chance haben.

      Sie: damit meine ich nicht Marcelle, die ich damals noch gar nicht kannte, sondern Sybille, meine Frau.

      »Ich bin ja nichts für dich«, rief sie, »ein Stück Holz höchstens!« Ihre Stimme schrubbte wie gegen ein Waschbrett. »Du hast mich auf dem Gewissen!«

      Es ging weiter so. Wie jeden Tag. Ich hatte mich an diese Szenen schon so gewöhnt, daß ich mechanisch die Fenster schloß, wenn ich meine Wohnung betrat. Dann jeweils begann die Flucht vor Sybille – und meine Verfolgung.

      »Keine Scham, kein Erbarmen«, tobte sie heiser, hysterisch. Sie sprach in zerfetzten Silben. Ihre Haare waren wirr. Sie hingen ihr ungepflegt in die Stirn bis zu den Augen, deren Pupillen trübe wirkten und seltsam nach innen gekehrt waren.

      »Geh doch zu ihr« schrillte Sybille weiter, »du kommst ja doch nur, weil …«

      Ich wich ihr noch weiter aus.

      Sie folgte mir.

      Ich zog mich in den Hintergrund unserer Wohnhalle zurück, ordnete sinnlos Zeitungen, sah mich hilflos nach Ablenkung um.

      Der Raum hatte Stil und Geschmack; seine gekonnte Einrichtung war das Werk Sybilles, die über Sinn für Formen und Freude an Farben verfügt hatte.

      »Du treibst dich mit ihr weiter herum. Überall bist du mit ihr anzutreffen, zu mir kommst du nur, wenn du etwas brauchst.« Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Wand. »Aber diesmal werde ich Skandal machen!« Ihre Stimme überschlug sich und mündete in einen Weinkrampf. »Ich kann genauso gemein sein wie du.«

      Ich ging in mein Schlafzimmer.

      Ich fragte mich, wie lange ich Sybille noch ertragen könnte.

      Ich mußte es.

      Ich wollte es.

      Ich war durch eine unheimliche Fessel für immer an Sybille gebunden: durch Mitleid, das drittstärkste Gefühl nach Liebe und Haß.

      Ich kann Mitleid nicht leiden, aber Sybille hatte es nötig.

      Sybille brauchte mich, aber sie haßte Mitleid.

      Das war unsere Konstellation: ein Kreislauf im Leerlauf.

      Ich packte hastig meine Sachen, denn ich mußte nach Paris fliegen. Sybille stand stumm im Türrahmen. Sie kam mit dünnen, schwankenden Schritten auf mich zu. Sie ging wie über ein Hochseil ohne Netz.

      »Ich weiß, daß du mich nicht mehr magst. Daß du nur noch sie im Kopf hast.« Die keifende Stimme schwoll wieder an. »Du liebst Miggi, nur sie. Und dich.« Sie sprach zu schnell, mit zu hoher Stimme, im leiernden Tonfall, in der Art eines schläfrigen Kindes, das zu früh geweckt wird.

      Ihre Worte schallten über die angrenzenden Villengrundstücke, aber auch unsere Nachbarn hatten sich längst an diese Auftritte gewöhnt. Nur die Kinder starrten gelegentlich noch zu uns herüber. Sie hatten es in letzter Zeit aufgegeben, nach Miggi zu fragen.

      »Bitte, sei ruhig, Sybille«, sagte ich leise, vorsichtig.

      Mein Koffer war gepackt. In ein, zwei Stunden begann das Experiment. Ich versuchte, die Unruhe vor mir zu unterschlagen. Sybille war schwer krank. Sie wußte es, aber sie wollte es nicht wahrhaben.

      Aus der Karriere als Schauspielerin war nicht viel geworden. Seit der Geburt unserer Tochter Miggi hatte sich meine Frau in seltsamer Weise psychisch und physisch verändert. Zunächst fast unmerklich, mit langen Pausen der Erholung wie jähen Rückfällen. Sie war gereizt und nervös, sprunghaft und aggressiv, dann wieder unecht lebendig, wie aufgezogen, überdreht.

      Sie ließ keinen Arzt an sich heran. Es war eine unbewußte Abwehr, eine Reminiszenz aus der Kindheit. Sybille hatte eine ganz andere Erklärung für ihre Erkrankung: Miggi war schuld, das Kind. Sie steigerte sich in Haß hinein. Die Anfälle wurden zuletzt so heftig, daß ich die Kleine in ein Internat geben mußte, um sie vor der eigenen Mutter zu schützen.

      Von da ab besserte sich Sybilles Zustand merklich. Sie wirkte jetzt wie eine zwar früh gealterte, aber sonst normale Frau, die lediglich eine unweibliche Abneigung gegen Kinder hat und ihr Äußeres vernachlässigt.

      Jetzt ging sie an mir vorbei, sie setzte sich auf eine Couch.

      »Mußt du verreisen?« fragte sie.

      »Ja, morgen, nach Paris.«

      »Wirst du lange ausbleiben?«

      »Höchstens drei, vier Tage«, erwiderte ich.

      »Fährst du allein?« fragte Sybille.

      »Ja. Das nächste Mal nehme ich dich mit«, antwortete ich hastig.

      Sie zeigte sich einsichtig, betrachtete meinen Koffer, lächelte sogar; ihr Gesicht wurde jünger dabei.

      »Das ist ja alles falsch«, stellte sie fest, exakt sprechend, nicht mehr wie aufgezogen. Sie nahm die Hemden wieder heraus, packte sie um. »Gib mir eine Zigarette«, bat sie dann. Sie setzte sich neben mich, lehnte sich in die Kissen zurück, schloß die Augen, als horchte sie in sich hinein.

      »Es steht schlimm mit mir, nicht?« begann Sybille.

      »Ja, Sybille«, entgegnete ich zögernd.

      »Du


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