Die Haut am Markt. Will Berthold

Die Haut am Markt - Will Berthold


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Wir sprechen rein hypothetisch. Aber eines Tages muß unser Vielbeschäftigter doch wieder nach Hause – und da hängt vielleicht seine Frau, die Patientin, am Fensterkreuz, tot – kapiert?«

      Bevor ich etwas sagen konnte, schnitt er mir den Einwand ab.

      »Ich will gar kein solcher Pessimist sein. Der Selbstmord ist keine Wahrscheinlichkeit, sondern nur eine Möglichkeit. Aber eines Tages wird unser edler Freund müde der ewigen Ausreden. Er gibt auf. Er verläßt die Kranke endgültig.«

      Der Arzt nahm eine Zigarette, er sprach weiter, ohne sie anzuzünden.

      »Oder es kommt die berühmte Frau, der man nur einmal begegnet. Vielleicht hat unser Freund Glück, und es stimmt sogar. Jetzt kommt die große Liebe auf dem Zenit des Lebens, das gereifte Gefühl. Was dann?« fragte er hart. »Spätestens jetzt läßt dieser Mann seine Frau fallen, zertrümmert endlich das Glashaus seines Anstands, wirft die Scherben weg – und jetzt spreche ich als Arzt: dann wäre die Chance, die Patientin soweit wie möglich einem geregelten Alltag einzugliedern, bedeutend kleiner. Jetzt käme zu der Erkrankung eine zusätzliche Enttäuschung.«

      »Das kann sein«, entgegnete ich, »aber wenn es nun nicht so wäre? Wenn unser Mann sich so benähme, wie es sich gehört?«

      »Dann wäre er ein Held oder ein Heiliger«, versetzte Professor Lex. »Er hätte meine volle Bewunderung.« Er lächelte knapp, rasch. »Ich meine das, wie ich es sage – aber er wäre der erste, den ich in meiner Praxis kennenlernen würde.«

      Er ging an seinen Schreibtisch, lehnte sich in den Stuhl zurück. Der schroffe Ausdručk seines Gesichts löste sich. Er sah müde aus, aber menschlich.

      »Es war zuviel für Sie heute«, sagte er, »das weiß ich sehr wohl. In welcher Verfassung war unsere Patientin heute morgen?«

      »Ganz normal«, antwortete ich.

      »Gut«, versetzte er. »Der Zwischenfall von gestern abend war für mich das Vorzeichen eines Schubs. Er kann in drei Tagen einsetzen oder in zwei Jahren. Wann immer sich der Zustand verschlechtert, rufen Sie sofort einen Nervenarzt.« Er sprach jetzt leise, als sollte mich wenigstens seine Stimme schonen. »Sie sagen selbstverständlich Ihrer Frau nichts von meiner Diagnose. Wenn Sie wollen, empfehle ich Ihnen einen anderen Arzt. Sie sollten jetzt ein paar Tage wegfahren und in Ruhe über alles nachdenken. Ich hätte Sie besser schonen sollen. Halten Sie mich nicht für hart und unmenschlich«, sagte er, als schämte er sich seiner Worte, »aber ich hasse Phrasen und Lügen. Nichts ist bei einem solchen Krankheitsbild gefährlicher als falsche Menschlichkeit.«

      Er stand auf, reichte mir die Hand.

      »Lassen Sie sich Zeit. Welchen Entschluß Sie auch immer fassen, teilen Sie ihn mir mit.« Fast melancholisch setzte er hinzu: »Wir Psychiater haben in der Regel mit den Angehörigen größere Schwierigkeiten als mit den Patienten selbst. So muß ich nicht nur Ihre Frau behandeln, sondern auch Sie.«

      Ich stand vor dem Lift und vergaß, auf den Knopf zu drükken. Ich ging zu Fuß. Die Treppe war endlos. Mit jeder Stufe spürte ich deutlicher, daß der Professor recht hatte, daß hinter seiner Kälte Güte – und hinter seiner Güte Wissen stand.

      Aber seine Diagnose mußte falsch sein, schon im Miggis willen.

      III

      Es war fast siebzehn Uhr, die kleine schlauchartige Espressostube neben dem Luitpold-Theater füllte sich mit Männern und Mädchen, mit Nullen und Nutten, mit Hunden und Hausfreunden und anderen Produkten geselliger Langeweile. Unter ihnen an der Bar kauerte ich, Mann einer nervenkranken Frau, und trank Schnaps.

      Ich hatte Gerd nicht erreichen können und auch meinen Flug nach Paris versäumt. Ich verschob die Abreise auf morgen, nahm mir ein Zimmer im Bayerischen Hof, weil ich nicht mehr nach Starnberg fahren wollte, wo wir wohnten. Es war zwar eine praktische Lösung, aber auch schon eine erste Flucht vor Sybille.

      Der föhnige Vorfrühlingstag war für die Jahreszeit viel zu warm. Durch die Stadt wehte linde Krankenhausluft. Sie machte Gesunde zu Patienten. Mein Kopf schmerzte. Ich nahm Schnaps dagegen. Ich war nie ein großer Trinker gewesen, aber heute bekam mir der Alkohol. Ich konnte nicht an Sybille denken, ich wollte mich nicht an den Professor erinnern.

      Ich hatte mit dem Internat telefoniert; nach achtzehn Uhr durfte ich mir meine Tochter ausleihen. Miggi war ein aufgewecktes, frühreifes Kind; ich mußte mein Gesicht erst ordnen, bevor ich ihr gegenübertreten konnte.

      An der Theke hantierte ein hübsches Mädchen mit geschickten Bewegungen. Sie hatte ein genormtes Gesicht, rötliche Haare und ein parates Lächeln.

      »Hast du schlechte Laune?« fragte die Rotblonde einen Stammgast neben mir.

      »Nein.«

      »Liebeskummer?«

      »Unsinn. Gib mir lieber noch einen Whisky.«

      »Egoist.«

      »Dann also zwei.«

      »Du könntest mich ruhig mal ansehen.«

      »Lohnt es sich?«

      »Das weißt du morgen früh«, antwortete das Mädchen ironisch.

      »Wo ist denn Gerdi?« fragte der Stammgast.

      »In der Bredouille.«

      »Wer ist schuld?«

      »Herr Plural«, versetzte sie.

      Sie lachten beide. Es ging unter im Wechselspiel von Nichtigkeit und Wichtigkeit.

      »Sonst ist mein Mann sehr großzügig, aber mit Geld …«

      »VW-Aktien, ein Riesengeschäft.«

      »Ich würde schon in seinen Salon gehen, aber er zieht doch alle falsch an: Bei ihm sehen die Damen wie Dirnen aus und die Dirnen …«

      »Die ist doch andersrum – aber vielleicht könnte man doch einmal …«

      »Da geht man nach Berlin, schnappt sich so einen verhungerten Arzt aus dem Ostsektor, der macht es schnell und lautlos, für hundert Mark West –«

      »Nur feminine Männer taugen was im Bett.«

      »Das ist doch der mit der Mäusetour; weißt du, er kauft den Mädchen immer italienische Modellschuhe, sie müssen sie anziehen, und dann läßt er die weißen Mäuse auf sie los.«

      »Er hat den ganzen italienischen Charme, seitdem ich ihn kenne, glaube ich wieder an das Leben. Er liest Dante vor, ich Goethe – und dann …«

      Ich zählte, sah in den Spiegel dabei, genau dem Mann ins Gesicht, der auf mich zukam – und war betroffen, ihn zu sehen. Es schien, daß ich in dem Maße kleiner wurde, in dem er nach oben wuchs. Er trug einen gekonnten Maßanzug; aber er ging, als ob er statt der modischen engen Hosen Schaftstiefel trüge.

      Er war mein unterschlagenes Trauma aus dem Kriege – und er zeigte noch das gleiche arrogante Lächeln wie damals vor dreizehn Jahren, als er mich, mitten im Ansturm russischer Infanterie, aus einem brennenden Panzer gerissen hatte. Ich war schwer verwundet, eingeklemmt, und wäre ohne ihn einer der Unbekannten Soldaten geworden, derer man sich an den staatlich festgesetzten Gedenktagen pauschal erinnert. Er hatte mich in ein Loch gezerrt und seine Maschinenpistole hochgerissen. Er zielte mit seinen wasserhellen Augen, in denen Verachtung schwamm, so gelassen auf die Russen, als schösse er auf Tontauben.

      René nickte mir zu. Er legte die Hand auf meine Schulter; sie wich der Berührung wie von selbst aus.

      »René, du?« sagte ich; meine Backenmuskeln versteiften sich gegen das Lächeln.

      René Debring war älter geworden, sonst aber wenig verändert: starre Pupillen, kurze glatte Haare von einem farblosen Blond, das sein Gesicht noch fahler machte, die Lippen deformiert vom Zynismus, eine leicht vorstehende Nase, schmal, spitz und aggressiv, wie ein feststehendes Messer.

      Er hob die Oberlippe, als ob er einen Pistolenhahn spannte, lächelte dabei lautlos, mit leicht


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