Schweizer Sagen und Heldengeschichten. Meinrad Lienert
Jetzt wurde es den ausgelassenen Jungen doch etwas seltsam. Sie glotzten einander erst stumpfsinnig an, und dann ward es mit einemmal Tag in ihren Köpfen. Sie merkten nun, wer ihnen die Zeche zahlen wollte, und verwünschten den Augenblick, in dem der unheimliche Fremde zu ihnen in die Stube gekommen war. Aber nun kamen sie ihm nicht mehr aus, denn gutwillig wollte er nicht gehen, und ihn dazu zu zwingen, wagte keiner der vorher so tollen Burschen. Er sah bös aus, und alle zitterten für Leib und Seele.
Jedoch unter den Burschen war einer, dem immer noch etwas einfiel, wenn die andern nicht mehr wussten, wo aus und ein. Man hiess ihn nur den kleinen Peterli. Dieser erholte sich von seinem ersten Schrecken und dachte darüber nach, wie er der geängstigten Gesellschaft aus der Klemme helfen und dem Teufel, denn das war der Grüne, ein Schnippchen schlagen könnte. Auf einmal rief er, nachdem der Fremde die grosse Zeche bezahlt hatte, fröhlich lachend aus: „Du, Grüner, das ist leicht, aber dabei kommst du gewiss zu Schaden! Also das Licht gelöscht, und der Letzte, der die Stube verlässt, muss mit dir, basta!“
Jetzt wurde das Licht ausgelöscht, der Grüne stellte sich hart neben die Stubentüre, damit er den Letzten, der ihm gehören sollte, flugs packen könnte.
Schier taghell schien der Mond in die Stube. Es war eine herrliche Nacht. Aber die jungen Burschen zitterten und dachten, die Sache werde wohl ein böses Ende nehmen. Nun mussten sie, ob sie wollten oder nicht, zur Stube hinaus. Weil aber keiner der Letzte sein wollte, so losten sie um den Vortritt. Der kleine Peterli wusste es, ohne dass der Böse es merkte, einzurichten, dass das Los, die Stube zuletzt zu verlassen, ihn traf.
Einer um den andern verliess nun hochklopfenden Herzens die Stube. Schon war der Zweitletzte draussen, da kam noch der kleine Peterli gegen die Türe als der Letzte. Hohnlachend wollte sich der Teufel über ihn herstürzen, doch Peterli sagte: „Nur schön langsam, dort kommt noch mein Hintermann!“ Und damit zeigte er auf seinen Schatten an der Wand. Rasch liess der Satan von ihm ab und warf sich gierig auf den Schatten an der Wand. Aber als er den Betrug merkte, war der kleine Peterli schon draussen, und mit Blitz und Donner fuhr der dumme Teufel ab.
3. Die St. Jodernglocke.
Einst lebte in der kleinen Walliser Hauptstadt Sitten auf seinem hochgelegenen Schloss Turbillon ein heiligmässiger Bischof, der St. Jodern (Theodor) hiess. In einer Nacht nun hatte der Bischof einen seltsamen Traum. Es wurde ihm darin kund getan, dass der Heilige Vater in Rom in grosser Gefahr schwebe, falls er nicht sofort gewarnt würde. In Schweiss gebadet und in schweren Ängsten erwachte der Bischof. Sogleich sann er angestrengt darüber nach, wie er dem Heiligen Vater wohl die Warnung zu wissen tun könnte. Er stand auf, trat ans Fenster und starrte sorgenvoll in die stille Nacht hinaus.
Da sah er nicht weit von seinem bischöflichen Palaste weg einen seltsamen, ungewöhnlich hellen Schein, den sonst ringsum die Dunkelheit umschloss. Und wie er verwundert genauer hinschaute, sah er drei Teufel, die fröhlich mit ihren Pferdefüssen auf dem hellen Schein, wie auf einem Teppich, tanzten. Der Bischof rief sie an, und sie eilten sogleich gehorsam herbei.
„Wer von euch ist der Geschwindeste?“ fragte der Bischof.
„Ich,“ sagte der erste Teufel, ich bin geschwind wie der Wind.“
„Nein,“ rief der zweite, „ich fliege so geschwind wie die Kugel aus dem Rohr.“
„Das ist was Rechtes,“ höhnte der dritte, „ich durcheile die Welt wie ein Weibergedanke.“
„Du bist mein Mann,“ sagte erfreut der heilige Jodern. Und nun machten sie aus, der Bischof müsse dem dritten Teufel seine Seele zum Lohn geben, wenn er ihn in der Nacht nach Rom trage und auch noch zurück, bevor die Hähne den Tag beschrieen.
Zufrieden ging der Teufel den Handel ein. Flugs holte er einen schwarzen Hahn und setzte ihn als Wächter auf die Stadtmauer. Der heilige Bischof jedoch holte heimlich einen weissen Hahn und setzte ihn zuoberst auf die Kirchturmspitze. Jetzt lud der Teufel den Heiligen auf den Buckel und trug ihn über alle Berge im Hui nach Rom, der ewigen Stadt. Dort warnte der Bischof den Heiligen Vater. Dieser schenkte nun dem heiligen Jodern als Belohnung eine schöne Glocke, die der Bischof sogleich dem Teufel aufbürdete. Obwohl das für den Bösen eine gar schwere Last war, ging’s doch wieder im Flug heimwärts gen Sitten, also dass es noch finster war, als sie am Fusse des Bischofssitzes ankamen. Schon frohlockte der Satan, aber zu früh, denn noch bevor er den heiligen Bischof abzusetzen vermochte, fing der weisse Hahn auf der Kirchturmspitze aus Leibeskräften zu krähen an. Er hatte auf dem Turmspitz einen gar üblen Platz gehabt und immer wachbleiben müssen, um nicht herunterzufallen. Der schwarze Hahn dagegen, der es auf der breiten Stadtmauer gut hatte, war eingeschlafen. Aber wie er nun den weissen Hahn krähen hörte, wachte auch er auf und krähte mit. Der Böse schäumte vor Wut. Aber der Bischof war sogleich, wie er den Hahnenschrei gehört hatte, von des Teufels Rücken gesprungen und auf die Kniee gefallen. Da packte der Satan die Glocke und warf sie rasend vor Wut nach dem Heiligen, und zwar mit solcher Gewalt, dass sie neben dem Bischof neun Klaftern tief in die Erde hineinfuhr, dann machte er sich wie das böse Wetter davon. Der gerettete Bischof aber streckte die Arme aus und rief: „Dona, Dona läut!“ Und da fing die Glocke im Boden zu läuten an und stieg läutend empor bis zuhöchst in den Kirchturm, wo sie im Glockenstuhl hängen blieb.
Die St. Jodernglocke wird heute noch geläutet, wenn ein Ungewitter logbricht. Auf der Glocke aber ist der Heilige Bischof abgebildet, wie er neben dem Satan steht, der die Glocke auf dem Buckel trägt.
Der Fischer am Rheinfall.
Es war einmal ein junger Fischer, der wohnte bei Schaffhausen, der schönen Stadt am Rheinfall.
Eines Abends, als die blaue Dämmerung aus den Wäldern herausquoll und am leise ziehenden Rheinstrom die Nebelfrauen durch die überhängenden Weiden und Erlen huschten, fuhr der junge Fischer mitten in den Fluss hinaus, um sich von den klingenden Wellen gemächlich nach Hause treiben zu lassen. Er hatte seinen Fischkasten voll von feinen Fischen und durfte mit dem Tag wohl zufrieden sein. So legte er sich denn in seinem Kahn nieder und liess sich von dem immer dunkler werdenden Wasser ruhig davontragen. Nicht weit ob dem Rheinfall stand seine Hütte, an der er bald zu landen gedachte.
Wie er nun so dahintrieb und an allerlei sann, ward er schläfrig; auf einmal fielen ihm die Augen zu, und er schlief ein.
Da überkamen ihn denn allerlei Träume. Erst träumte er von seiner Geliebten. Ihm war, sie trete eben aus den Bäumen hervor, deren Rauschen er immer deutlicher zu hören vermeinte. Dann aber war ihm, er vernehme ein fernes Knurren, wie das Knurren eines Stieres. Und nach und nach ward daraus etwas wie ein fernes Donnern, und jetzt träumte ihm, ein fürchterliches Gewitter fahre daher, ein orkanartiger Sturm peitsche ihm die wolkenbruchmässig herabfallenden Wasser des Himmels, ins Gesicht, und die ganze Welt sei nur noch eine unaufhörlich brausende Donnerorgel.
Auf einmal fuhr er aus dem Schlafe auf und sah mit Entsetzen eben seinen Kahn von den ungeheuren Wassermassen des Rheinfalles gepackt und in die grauenhafte Tiefe gerissen. „Hilf Gott, der Rheinfall!“ schrie er noch. Dann ging’s mit ihm rundum. Ein Brüllen, Stäuben und Brausen um ihn. Er krampfte sich an den tanzenden Kahn mit beiden Händen, mit Leib und Seele an, dann vergingen ihm die Sinne.
Als er wieder zu sich kam, wurde sein Kahn von den zischenden Wogen eben ans Ufer geschleudert. Noch halbtot vor Schrecken, blieb er lange am Ufer liegen und staunte zu dem donnernden Rheinfall hinauf, den der aufgehende Mond eben geisterhaft beleuchtete. Es war, als stürzten unzählige Wildbäche flüssigen Silbers übereinander und miteinander in die grausige Tiefe, in der es kochte, stäubte und rauchte.
Aber als eine vorüberrollende Woge mit einem feinen Wassersprudel über ihn kam, schoss er auf, zog den Kahn vollends ans sichere Bord, lud ihn auf und machte sich dann damit so schnell als tunlich nach Hause. Dort legte er sich hurtig und schweigsam zu Bett. Im Schlafe noch donnerte ihm der Rheinfall schrecklich in die Träume.
Am Mittag des andern Tages sass der junge Fischer wohlgemut im Wirtshause unter anderem Fischervolk und erzählte prahlend seine grausige Fahrt über den Rheinfall. Die Fischer wollten es nicht glauben