Schweizer Sagen und Heldengeschichten. Meinrad Lienert

Schweizer Sagen und Heldengeschichten - Meinrad Lienert


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sprang der Senn auf und machte sich vom Gelager ins Freie. Aber schon hörte er das Läuten nur noch wie ein fernes Klingeln. Jetzt erschrak er, denn es kam ihm in den Sinn, dass er vergessen hatte, den Alpsegen zu singen. Also hatte ihm gewiss ein tückischer Alpbuzen das Vieh über Berg und Tal entführt. Es war höchste Zeit, dass er handelte, sonst verlor er sein schönes Sennten. Geschwind stellte er sich bei der Hütte unter einen Lärchenbaum und rief aus Leibeskräften: „Bleschi, chu, loba, loba!“ Auf diesen Anruf war das Vieh festgebannt. Und dann rief er nochmals mit mächtiger Stimme: „Zu-rück, wo du sie genommen!“

      Nun war es sonderbar. Erst hörte er nur ein leises Klingeln und Summen, und dann ward allmählich ein fernes Schellen daraus. Aber immer mehr schwoll es an, immer deutlicher wurde es. Und auf einmal läutete das ganze Sennten wieder über die Weiden daher, und jetzt kamen die verloffenen Kühe in den Staffel. So hatte er seine ganze Herde wieder beisammen. An dem Lärchenbaum aber liess der Senn das Bild des Muttergottes anbringen, das dann völlig in den Baum einwuchs und also einen lebendigen Rahmen hatte.

      Heute noch wird da und dort auf den Alpen der Alpsegen gesungen. Einer der schönsten ist wohl der Alpsegen des Hochtales von Engelberg im Obwaldner Land. Er wird allabendlich feierlich durch eine Volle gesungen und lautet:

      „ O lobet, zu loben! In Gottesnamen lobet!

      Gott und der heilig St. Antoni und Wendel,

      Und der vielselig Landesvater Bruder Klaus,

      Die wollen heut Nacht auf dieser Alp die lieb Herberg halten.

      Das ist das Wort, das weiss der Liebgott wohl.

      Hier über dieser Alp steht ein goldiger Thron.

      Drin wohnet Gott und Maria mit ihrem allerliebsten Sohn,

      Und ist mit vielen Gnaden übergossen,

      Und hat die ganze heilig Dreifaltigkeit unter ihrem Herzen verschlossen.

      Das eint ist Gott, der Vater;

      Das andre ist Gott, der Sohn,

      Und das dritt ist Gott, der lieb Heilig Geist.

      Ave, ave, ave Maria! Amen.“

      Der überlistete Teufel.

      1. Die Teufelsbrücke in Uri.

      Wer heute nach dem sonnigen Süden reisen will, nach Italien, „wo still die Myrte und hoch der Lorbeer steht,“ wie der Dichter so schön singt, der setzt sich einfach in die Eisenbahn und fährt im Hui durch das Gotthardgebirge hindurch, und wie er zum langen Tunnel hinauskommt, grüsst ihn schon das erste welsche Dörflein Airolo.

      In alter Zeit ging’s aber nicht so rasch. Da mussten die Säumer und Italienfahrer, Pilger und Krieger, über den hohen, oft tiefverschneiten Gotthardberg steigen. Und in gar alten Zeiten konnten sie auch das nicht, denn in der grausen Schlucht der Schöllenen, durch die die Gletscherwasser der Reuss toben und schäumen, hörte jeder Weg auf. Der Wildstrom versperrte den Weg ins Welschland. Zwar baute man später einen elenden Steg den Felsabstürzen nach, den die Leute den stiebenden Steg nannten, aber das war ein gar gefährlicher, schwindliger und schmaler Übergang, den oft Wind und Wetter ungangbar machten.

      Das verdross und bekümmerte besonders die Urner, die gar zu gern hin und wieder aus ihren rauhen Bergtälern ins schöne Land Italien hinuntergestiegen wären, um sich an dem dickroten süssen Wein und den andern guten Früchten und schönen Sachen zu erfreuen. Zudem ging über den Gotthard ihr einziger Weg nach Rom zum Heiligen Vater. Sie wünschten sich daher eine rechte Brücke, über die man auch nötigenfalls mit Ross und Wagen hinüberkommen könnte. Aber alle Mühe und aller Schweiss war umsonst; der wilde Bergstrom riss immer wieder alle Brückensätze weg, die sie ihm aufzwingen wollten.

      Da rief man die Landsgemeinde zusammen, um diese Brückennot zu beraten. Jedoch niemand fand einen Ausweg. Endlich erhob sich der Landammann und sagte: „Zwar ist’s gefährlich, sich mit dem Bösen einzulassen, allein Not bricht Eisen, und kommt Zeit, kommt Rat. Meine Meinung ist, man solle mit dem Teufel einen Vertrag machen, dass er uns die Brücke erstelle.“

      Erst erschraken die Landleute, und es war ihnen bei ihres Landammanns Rat nicht recht wohl. Aber der Landammann wusste ihnen den roten Wein im Welschland also zu zuckern, dass sie die Lippen danach leckten. Als daher der verwegene Landammann den Antrag zur Abstimmung brachte, siegte er mit einer ansehnlichen Mehrheit. Aber als es sich fragte, wer nun mit dem Teufel den Handel einfädeln sollte, wollte niemand die Hand aufheben. So musste der Landammann die Unterhandlung mit ihm besorgen, denn, sagten die Urner, er kenne sich bei den grossen Herren besser aus als bei den Bauern. Wie der Landammann das dann machte, hat nie jemand vernommen, denn es ist nicht protokolliert worden. Kurzum, der Teufel liess sich berichten und schloss mit dem Landammann das Geschäft ab, dahin lautend, dass die Brücke über Nacht fertig erstellt und mit Steinwerk wohlbefestigt sein müsse, dass jedoch der Erste, der sie überschreite, des Teufels sein solle.

      „ Beim nächsten Tagesgrauen

      Ging man dort nachzuschauen,

      Und über Stromeswogen

      Wölbt sich der Brücke Bogen.

      Doch an der Brück’ auch schon

      Passt Satan auf den Lohn.“

      Am andern Morgen sahen also die Urner mit freudigem Staunen eine feste Steinbrücke über die wilde Reuss liegen, die ihre schäumenden Wasser wütend daran emporschlug. Doch verminderte sich ihr Jubel schnell, als sie an dem Brückenausgang gegenüber den Teufel gewahrten, der mit stechenden, grasgrünen Augen auf seinen Lohn wartete. Da erschien der beherzte Landammann, der den Vertrag mit dem Bösen abgeschlossen hatte, und rief diesem zu: „Hast deine Sache brav gemacht!“

      Der Teufel nickte schmunzelnd mit dem gehörnten Kopf. In diesem Augenblick liess der Landammann einen bereitgehaltenen unbändigen Ziegenbock los, und als dieser nun den Teufel am andern Ufer gewahrte, hielt er ihn ebenfalls für einen Ziegenbock. Sogleich stürmte er wütend über die Brücke und fuhr auf den Teufel los. Da wurde dieser über die schlauen Urner also rasend, dass er den Ziegenbock packte und ihn in hundert Fetzen zerriss. Die Urner aber lachten eins heraus. Das machte den Teufel noch wilder. Er tanzte vor Wut, und dann fuhr er schnurstracks abwärts bis unterhalb Göschenen, wo gewaltige Felsblöcke in den Bergweiden herumlagen. Den grössten von allen packte er, lud ihn auf und keuchte damit wieder aufwärts, um die schöne, neue Brücke zu zerschmettern.

      Als er nun mit seiner ungeheuren Last, schwer schnaufend, bergan ging, kam ein altes Mütterchen daher. Da setzte sich der Teufel eben ein wenig und legte den Felsblock nebenher. Er wollte etwas verschnaufen.

      Wie aber das Mütterchen seinen Bocksfuss ersah, machte sie schnell das Kreuzzeichen über sich und auch gegen den Stein, der auf einmal im Rasen stecken blieb und trotz allem Reissen sich vom Teufel nicht mehr vom Fleck bringen liess. Nun merkte er, dass mit den Urnern bös handeln sei, und fuhr beschämt zur Hölle.

      Seither heisst die Brücke in den Schöllenen die Teufelsbrücke und der riesige Stein in den Weiden am Weg unterhalb Göschenen der Teufelsstein.

      2. Der schlaue Peterli.

      Einmal waren zu Peist im Graubündnerland in einem Wirtshause viele junge Burschen zusammengekommen, die sich mit Spielen und Schmausen unterhielten und sich eine gar lustige Nacht zu machen wussten. Es mag etwas zu übermütig hergegangen sein. Als sie am lautesten und ausgelassensten taten, ging, wie von einem Windstoss aufgeblasen, lautlos die Stubentüre auf, und herein trat ein grüngekleideter Fremder, der um Herberge nachsuchte, die ihm die Wirtsleute auch bereitwillig gewährten.

      Danach setzte sich der Grüne unter die übermütige Gesellschaft der Jungburschen und begann, es selber also toll zu treiben mit Spielen und Spässen, dass sie an ihm ihre heillose Freude hatten. Immer vertrauter wurde er mit ihnen, und zuletzt, als ihnen die Augenlider vom Weine schwer und der Sinn stumpf wurde, anerbot er sich lachend, die ganze grosse Zeche zu zahlen, wenn ihm der Letzte, der die Stube verlasse,


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