Schweizer Sagen und Heldengeschichten. Meinrad Lienert
die Burgknechte am andern Tag um Mittag auf ihren weissen Schimmeln wie alle Tage zum Burgtor hinausritten, um zu jagen, gab der Graf von Habsburg mit seinen verborgenen Zürchern fein acht, wohin sie sich wenden, und als nun die Reiter weit weg waren, brach er mit seinen elf Reitern und ihren milchweissen Rossen aus dem Gebüsch und jagte auf die Ütliburg los, hinter ihnen drein aber rannte mit wildem Geschrei das zürcherische Fussvolk.
Jetzt erschraken die in der Burg zurückgebliebenen Knechte, denn sie glaubten, dass es ihre zwölf Schimmelreiter seien, die da, von den Zürchern gehetzt, gegen die Burg heraufsprengten. Weitauf taten sie das Tor, um sie rasch in die sichere Burg einzulassen. Und so jagten denn der Habsburger und seine Reiter in vollem Galopp durchs offene Tor ins Schloss binein.
Nun merkten die Schlossknechte den Irrtum, aber da flogen ihnen schon die Blechhauben und Sturmhüte von den Köpfen; die Zürcher kamen hintendrein, und bald war die Feste genommen. Gleich danach loderte das Feuer daraus himmelan, das den Zürchern drunten in der Stadt als ein willkommenes Freudenfeuer erschien.
Nur noch das Städtlein Glanzenberg, das ebenfalls dem Freiherrn von Regensberg gehörte, war jetzt der Stadt Zürich gefährlich. Es lag hart am Wasser der Limmat und verwehrte den Kaufleuten der Stadt die freie Fahrt auf dem Fluss ins Tiefland gen Basel. Auch da wusste der schlaue Habsburger zu helfen. Auf seinen Rat füllten die Zürcher schwere Warenschiffe mit Fässern, in denen sie Kriegsleute versteckten.
Als nun die Ruderknechte mit diesen Schiffen eines Tages den Fluss hinabfuhren und sich dem Städtlein Glanzenberg näherten, liessen sie im dichten Gebüsch die Bewaffneten aus den Fässern rutschen und ans Land steigen, wo sie sich mit Graf Rudolf vereinigten, der mit seinen Leuten schon im Gestäude steckte, denn er war nachts dahingeritten. Wie nun die Schiffe nahe beim Städtlein Glanzenberg waren, drängten sie die Ruderknechte ans Ufer, stiegen aus, ein fürchterliches Jammer- und Hilfegeschrei erhebend und allerlei Zeug, sonderlich Tuchwaren, in die schnellen Wasser der Limmat werfend.
Jetzt ging das Tor des Städtleins auf, und die Stadtknechte und das geringe Volk der Einwohner stürzte heraus, um alle die Waren, die im Wasser schwammen und die sie für gestrandet hielten, zu rauben. Aber die Schiffsknechte, die wohlbewehrt waren, empfingen sie mit Hieben und hielten sie so lange hin, bis aus dem Städtlein ein mörderliches Geschrei herausgellte. Da wussten sie, dass der Habsburger derweilen mit seinen Reitern und den Zürchern in das feste Wassernest eingefallen war. Des Städtleins Kriegsknechte aber und die Einwohner, die sich so unbesonnen von ihrer Habgier hatten hinauslocken lassen, machten sich voll Schrecken davon, als sie aus dem Städtlein einen roten Rauch aufgehen sahen. Also ward auch dies letzte Bollwerk des Regensbergers um die Stadt Zürich genommen und bis auf den Grund so völlig zerstört, dass heute in seinen wenigen Trümmern nur noch etwa ein einsamer Reiher nistet. Der einst so mächtige Regensberger aber musste zuletzt froh sein, dass ihn die Zürcher als ihren Bürger annahmen, und in der Stadt beschloss der Freiherr, dem einst der halbe Zürichgau gehörte, sein Leben.
Der einfache und leutselige Graf Rudolf von Habsburg aber hatte an der aufstrebenden Stadt Zürich einen guten Freund gewonnen. Später ward er zum deutschen Kaiser gekrönt und brachte als solcher sich und sein Haus zu grosser Ehre.
Von diesem deutschen König wäre gar viel Rühmliches zu erzählen. Ich will nur noch ein lustiges Stücklein von ihm berichten, das zeigt, was für ein gutmütiger Herrscher er gewesen ist.
Nämlich, einst hielt er Hoflager vor der Stadt Mainz. Da ging er, wie oft, als ein bescheidener Lanzenknecht gekleidet, in die Stadt. Weil es aber bitter kalt war, trat er in eine Bäckerei ein und machte sich an den Backofen, die Hände zu wärmen. Doch die Bäckerin wollte das nicht leiden und schnauzte ihn an: „Geh fort, du schäbiger Hund, zu deinem Bettelkönig, der mit seinen Reisigen und Knechten das ganze Land aufzehrt. Und wenn du dich nicht gleich rausmachst, so giesse ich dir diesen ganzen Kübel voll Wasser über den Kopf!“ Das schrie die Bäckerin mit noch ärgeren Schimpfworten. König Rudolf wollte sich einen Spass machen und ging nicht. Da goss ihm das Weib wahrhaftig den ganzen Kübel voll eiskalten Wassers über den Kopf, also dass er troff wie ein Regendach im Wolkenbruch. Jetzt eilte der König davon, ging ins Lager zurück vor der Stadt und kleidete sich um.
Bei Tische erzählte er lachend sein Abenteuer. Dann nahm er eine Flasche guten Weins vom Tisch und schickte sie samt einer Schüssel der auserlesensten Speisen durch einen Diener zu der unhöflichen Bäckerin. „Geh,“ sagte er zu ihm, „bring ihr das mit meinem Grusse und sage ihr, der alte Landsknecht, dem sie am Morgen so gastfreundlich den Kübel voll Wasser über den Kopf geleert habe, lasse sich bei ihr für das frische Bad schön bedanken.“
Wie erschrak die unfreundliche Bäckerin, als sie vom Diener vernahm, wem sie am Morgen solches Leid angetan hatte. Sie eilte ins Lager, warf sich vor dem König in die Kniee und bat ihn flehentlich um Verzeihung. Er aber sagte: „Ich will dir verzeihen, doch musst du nochmals alles so sagen, wie du’s mir am Morgen gesagt hast.“ Wohl oder übel musste sie’s tun, und wo sie ein Wort vergessen hatte, half ihr der König getreulich nach.
Da kamen die fürstlichen Herren, die um den Tisch sassen, nicht aus dem Lachen heraus. Das Volk aber, als es das hörte, liebte den König erst recht um seiner grossen Güte und Bescheidenheit willen.
Der Bundesschwur im Rütli.
Seit unvordenklichen Zeiten lebten die Leute der drei Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden in Ruhe und Frieden um ihren vielarmigen Bergsee. Kein wildes Kriegsgeschrei ängstigte das Land. Von morgens früh bis abends spät klang durchs Land das Herdengeläute, und durch die Flühe schallte das Jauchzen der Talleute. Am Abend aber wurde durch die Volle von hoher Alp ins tiefe Tal der Alpsegen gerufen. Und wenn der Alpenwind, der Föhn, brausend von den Bergen zu Tal stieg und um die stillen Tätschhäuschen tobte, gingen die tröstlichen Klänge der Kirchenglocken durchs Land. Nur selten kam jemand an die Fähre zu Brunnen, um über den wilden grünen Urnersee, in dem sich der ewige Schnee des Urirotstock spiegelt, hinaufzufahren und nach Rom zu pilgern.
Als aber Albrecht, der Herzog in Österreich, deutscher König wurde, war es mit dem Frieden der drei Länder auf einmal aus. Bisher hatten die Kaiser des Deutschen Reiches das Alpenland in den Bergen im Frieden gelassen und hatten sich damit begnügt, die schuldige Reichsabgabe von den drei Ländern entgegenzunehmen. Und die Waldleute befanden sich wohl dabei und segneten Kaiser und Reich.
König Albrecht aber hatte heimlich im Sinn, das wohlgedeihende Land mit den schönen Bergseen seinem Herzogtum Österreich für immer einzuverleiben und das Hirtenvolk zu seinen Untertanen zu machen. Und wie nun die drei Länder das merkten und von ihm als dem deutschen Kaiser und König die Bestätigung ihrer alten Freiheiten verlangten, schickte er ihre Boten heim, und eines Tages kamen seine Reichsvögte ins Land, um dort zu wohnen und die Länder durch Bedrückung aller Art nach und nach für Österreichs Herrschaft kirre zu machen.
Der gewalttätigste und mächtigste war der Landvogt Gessler, der über Uri und Schwyz regierte. Obwohl er eine feste Burg zu Küssnacht hatte, fing er doch noch eine starke Feste im Lande Uri am Steg zu bauen an, die er höhnisch Zwing-Uri nannte. Ein anderer Landvogt, Beringer von Landenberg, sass auf seiner Burg zu Sarnen ob dem stillen See und Dorf und herrschte über Unterwalden. Auf der Burg Rotzberg nid dem Kernwald hielt er noch einen frechen Edelknecht, den Wolfenschiessen. Auch auf der kleinen Felseninsel im Lowerzersee unter der finstern Rigihochfluh wohnte ein Untervogt.
Diese Landvögte nun trieben es immer frecher. Sie plagten die Leute mit Zehntenabgaben und Frondiensten und machten ihnen auf jede Art das Leben schwer. Da verstummten die Jauchzer auf den Alpen, und der Alpsegen klang wie eine Klage durch die Bergwelt. Und wie’s auch die Vögte trieben, die Landleute konnten nirgends Recht bekommen, denn ihr Schirmherr, König Albrecht, hatte ja die Vögte selber ins Land gesetzt.
Eines Tages wollte der Landvogt Landenberg einem Bauer, namens Heinrich an der Halden im Melchtal, dessen Sohn er wegen einer Kleinigkeit gestraft hatte, das schönste Paar Ochsen wegnehmen lassen. Da ergrimmte sein Sohn Arnold, schlug einem Schlossknecht einen Finger von der Hand weg und floh. Racheschnaubend forderte der Landvogt den Sohn vom alten Vater. Doch der wusste nicht, wo sich sein Sohn hingeflüchtet hatte. Da schrie der Vogt: „Ist mir der Sohn entgangen, nehm’ ich den Alten!“ Und