Schweizer Sagen und Heldengeschichten. Meinrad Lienert
seinen Erretter aus grosser Not und baute ihm auf der Stelle, wo er den Drachen erlegt hatte, eine Gedächtniskapelle.
Drei Legenden.
1. Sankt Fridolin.
Einst fuhr ein Königssohn, namens Fridolin, aus dem grünen Irland über das Meer, bis er nach Frankreich kam. Von dort aus ging er weiter und predigte überall den Heiden das Christentum, bis er nach Säkkingen am Oberrhein gelangte.
Dort lebten auch zwei reiche Brüder, Urso und Landolph. Diese waren aber sehr ungleiche Brüder: der eine war wohltätig und der andere geizig. Da schenkte Urso, der wohltätige, dem heiligen Fridolin ein grosses Gut, das er in Glarus besass, wohin nun der Heilige zog.
Als er dort ankam, beschaute er mit grosser Verwunderung das Dorf Glarus, das unter einem schrecklichen Berge lag, dessen Schatten darüber hing. Weil die Glarner aber noch Heiden waren, fing er an, sie zum Christentum zu bekehren, was nicht so leicht ging, denn die Leute von Glarus glaubten an eine Göttin, die sie Frau Vrene nannten, und die hoch oben auf einem ganz von Felsen abgeschlossenen Gletscher wohnen sollte. Den Gletscher aber nannten sie Vrenelisgärtlein.
Aber nach und nach bekehrte er sie doch und liess sich unter ihnen nieder, ihnen von seinem geschenkten Gute grosse Wohltaten erweisend.
Als nun Urso, der wohltätige Bruder, in Säkkingen starb, ritt sein geiziger Bruder Landolph zum Gaugrafen Baldebert und klagte den heiligen Fridolin an, er habe sein grosses Gut im Glarnerlande widerrechtlich an sich gebracht, denn es sei eine Lüge, dass ihm’s sein Bruder Urso jemals geschenkt habe.
Der Graf Baldebert schickte sogleich nach Glarus zum heiligen Fridolin, er solle die Schenkung des Gutes durch Zeugen beweisen, ansonsten es an Landolph, den Bruder des Verstorbenen, falle.
„Ich will die Zeugen bringen,“ sagte der Heilige zu dem Boten. Alsobald reiste er mit ihm an den Rhein nach Säkkingen. Dort lud er das ganze Volk und den Grafen Baldebert ans Grab des verstorbenen Urso.
Wie nun alle beisammen waren, erhob sich der Heilige und rief mit lauter Stimme: „Urso, Urso, im Namen Gottes, der über Tote und Lebendige herrscht, stehe auf und zeuge für mich!“
Da bewegte sich die Erde; das Grab tat sich auf, und der tote Urso stieg heraus. Stillschweigend winkte er und ging der erschrockenen Menge voran zum Gericht, an dem eben die fünfzehn Gaugrafen tagten.
Dort trat er vor seinen todbleichen Bruder Landolph hin und redete ihn mit tiefer Grabesstimme an: „Landolph, Landolph! Was störst du meine Ruhe im Grab und beraubst mich also des Lohnes, den Gott mir für meine Schenkung gegeben hat?“
Voll Entsetzen fiel Landolph in die Kniee und bat ihn um Verzeihung und fügte auch noch sein Gut, das er im Glarnerlande besass, zu Ursos Schenkung hinzu. Darauf kehrte Urso wieder ruhig zu seinem Grabe zurück und legte sich hinein, und sofort schloss es sich für immer bis zum jüngsten Tage.
Die Glarner aber nahmen den heiligen Fridolin in ihr Landeswappen auf, das nachher in Hunderten von siegreichen Schlachten über ihren Reihen wehte.
2. Die Raben des heiligen Meinrad.
Nach der Zeit, als der heilige Gallus, der heilige Fridolin und der heilige Kolumban das heidnische Schweizerland mit Not und Mühe zum Christentum bekehrt hatten und überall Kirchen und Klöster gebaut wurden, lebte auf dem Etzelberge, da wo die Alpen der Urschweiz anfangen, ein gottesfürchtiger Einsiedler. Er hiess Meinrad und war aus dem Geschlechte der Grafen von Hohenzollern, das heutzutage das Deutsche Reich regiert.
Es war ihm in der Welt und im Kloster Reichenau zu laut geworden, darum hatte er sich auf den Etzel in die Einsamkeit zurückgezogen.
Da sass er nun vor seiner kleinen Kapelle, las in einem Buche und sah sinnend auf den knisternd blauen See, der tief unter lag, und schaute hinaus über unzählige, in Obstwäldern versteckte Dörflein zum verschneiten Säntis.
Nun hätte es ihm auf dem verschneiten Etzelberge gar gut gefallen, allein die Leute hörten von seiner grossen Frömmigkeit, und nach und nach stiegen sie von allen Seiten zu ihm hinauf, also dass er Gott und der Jungfrau Maria nicht mehr so dienen konnte, wie es doch allezeit sein sehnlichster Wunsch war.
Aber eines Tages, als die Leute wieder auf den Etzel kamen, fanden sie den Klausner nicht mehr. Er war über den wilden Sihlbach und tief, tief in die Wildnis hineingegangen, wo nur noch wilde Tiere lebten. Aber er fürchtete sich nicht. Auf dem Weg sah er in einer Tanne ein Nest, das ein Sperber bedrohlich umkreiste. Er jagte den Sperber vom Nest ab. Als er aber das Nest erstieg, fand er darin zwei junge Raben, die er sorgsam hinabtrug und mit sich nahm. Er ging, bis er an eine Quelle kam, die als ein eiskaltes Bächlein im finstern Walde entsprang. Bei ihr liess er sich eine Hütte und eine kleine Kapelle erbauen. Danach blieb er ganz allein in der Wildnis, die die Leute den finstern Wald nannten.
Da lag er schier Tag und Nacht im Gebet vor dem Muttergottesbilde, das ihm die fromme Äbtissin Hildegard von Zürich, die eine Königstochter war, hatte zutragen lassen. Um seine Hütte herum spielten seine zwei Raben. Und wenn nachts der Föhn von den Bergen kam und der Urwald um ihn herum krachte und Bären und Wölfe und ein greulicher Spuk von höllischen Geistern um sein Hüttlein tobte und heulte, fürchtete er sich doch nicht, denn die Engel eilten zu seiner Hilfe herbei und trösteten ihn.
Nach und nach, als er viele Jahre in der Wildnis gelebt hatte, wallfahrteten doch wieder Leute zu ihm, die von seinem heiligmässigen Leben gehört hatten. Einst aber schlichen sich heimlich zwei Räuber durch den Wald, die in der Hütte des Einsiedlers Schätze zu finden hofften. Doch er hatte sie im Geiste schon nahen sehen.
Wie sie nun in seine Hütte kamen, war er gar freundlich mit ihnen und bewirtete sie, so gut er vermochte. Aber auf einmal überfielen ihn die zwei Räuber und schlugen ihn mit ihren Keulen tot. Sie erschraken aber doch schier, als nun die zwei Raben St. Meinrads wie wild krächzten und um sie herumflatterten. Als sie aber die Kerze zu seinen Füssen anzünden wollten, wie er’s gewünscht hatte, brannte die von selber.
Jetzt packte sie ein grosser Schrecken. Sie erkannten, dass sie einen Heiligen ermordet hatten, und flohen durch die dichten Wälder davon, Stunden und Stunden weit. Aber hoch über den Riesentannen flatterten ihnen die Raben immer nach. Endlich sahen sie die Stadt Zürich. Dort glaubten sie sich nun wohlgeborgen. Sie gingen in eine Wirtschaft und wollten wegen ihrer Angst schon zu lachen anfangen, da schoss plötzlich das treue Rabenpaar durchs offene Fenster auf die Mörder los, und das bedünkte die andern Gäste gar seltsam. Sie nahmen die beiden Räuber fest, und siehe, bald erkannte man in den zwei Raben die Raben des Heiligen im finstern Walde. Die Mörder gestanden ihre Untat und mussten darnach auf dem Rade sterben.
Den heiligen Meinrad aber begrub man in der Wildnis, wo später das Kloster Maria Einsiedeln gebaut wurde.
Sein Herz jedoch wollte man ins Kloster Reichenau im Bodensee bringen, wo der Heilige einst Klosterherr gewesen war. Als man aber mit dem Herzen an der Kapelle auf dem Etzelberge vorbeifahren wollte, brachte man den Wagen so lange nicht weiter, bis man das Herz des heiligen Einsiedlers in der dortigen kleinen Kapelle beigesetzt hatte. Denn gar zu gerne war er früher vor der Kapelle gesessen und hatte von seinem Berge aus auf den blauen See und die schöne Welt hinuntergeträumt.
Die zwei treuen Raben St. Meinrads aber fliegen heute noch im Fähnlein der schwyzerischen Waldleute von Einsiedeln.
3. Das schlimme Krüglein.
Auf den Trümmern der grossen Römerstadt Vindonissa im Aargau, nahe beim heutigen Prophetenstädtchen Brugg, hauste einst ein heiliger Klausner, namens Teutbert. Er war aus dem fernen Schottland übers Meer gekommen und hatte überall fleissig das Christentum predigen und das heidnische Wesen abstellen helfen.
Als er nun alt geworden war, hatte er sich an die friedlichen Gelände der Aare zurückgezogen und auf den Trümmern der alten Heidenstadt ein schlichtes Kapellchen und eine kleine Hütte erbauen lassen. Darin führte er seit langem ein heiliges Leben und gedachte in süssem Gottesfrieden seine sage zu beendigen.
Eines