Schweizer Sagen und Heldengeschichten. Meinrad Lienert

Schweizer Sagen und Heldengeschichten - Meinrad Lienert


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darin geritten, so donnerte es ob dem Walde. Und unversehens brach ein fürchterliches Gewitter los. Schnaubend und gluchzend fuhr ein Sturmwind durch die Bäume, und dann begann es aus allen Himmeln wie mit Eimern zu schütten. Und es wollte nimmer nachlassen. Die Bäume boten bald keinen Schuss mehr. Sie wurden selber zu Regentraufen, und mit Ach und Krach, nass wie Wasserschnecken, brachen der Ritter und seine Kriegsknechte durch das fürchterliche Dickicht, in das sie sich verirrt hatten, denn mittlerweile war es stockfinstere Nacht geworden. Wohl leuchteten ab und zu grelle Blitze ins Waldesdüster, aber die Verirrten konnten den rechten Weg gleichwohl nicht wiederfinden. Wie sie auch riefen, niemand antwortete ihnen, denn nun setzte der Sturmwind wieder ein, der die triefenden Bäume schüttelte und ihre krausen Wipfel also wild kämmte, dass die Zweige von den Ästen gingen.

      Da machte der Ritter mit seinen Leuten ratlos Halt, denn er wusste nicht mehr, wo aus noch ein. Er hatte keine Ahnung, wo die Stadt Schaffhausen, wo seine Burgfeste stehen könnte. Wenn doch nur ein Hornruf oder ein Glockenklang von der hochgelegenen Burg in die Wildnis dringen würde, in der sie immer im Kreise herumzugehen schienen. Aber wie sollte der Türmer auf dem Schloss ins Horn stossen, da er keine Ahnung hatte, dass sein Herr, den er weit über dem Meer im heiligen Land glaubte, so nahe sei.

      Jetzt aber begann es zu stürmen und zu wettern, fürchterlicher als je. Krachend fuhren die Blitze in die Bäume, und es wurde so finster, dass die Kriegsknechte ihrem Herrn hart auf dem Fusse folgen mussten, wollten sie ihn nicht verlieren.

      Da hörte auf einmal der Wald auf. Jauchzend gab der Ritter seinem Pferd die Sporen. Es bäumte sich hoch auf und wollte nicht vorwärts. Er spornte es heftiger. Hoch auf sprang es nun. In diesem Augenblicke erleuchtete ein flammender Blitzstrahl die Gegend taghell, und mit Entsetzen gewahrte der Kreuzritter noch, dass er mit seinem Ross in die Fluten eines still, aber reissend dahingleitenden Baches hineinsprang. Er wollte aufschreien und das Pferd zurückreissen, da packten ihn schon die Wildwasser, und es versanken Reiter und Ross. Seine Knechte aber, die den hochgehenden Bach nicht gesehen hatten, fielen nun einer nach dem andern in die trübe Flut und ertranken. Nur der letzte wurde von den Wellen ans andere Ufer gerissen, wo er sich an einer Staude zu halten und aufs Bord zu ziehen vermochte. Jetzt wurde die Gegend wieder vom Blitze erhellt, und nun erkannte der gerettete Kriegsknecht, dass er sich am wilden Bach im Mühletal befand. Aber wie er auch Ausschau nach seinem Herrn und seinen Kriegsgefährten hielt, er sah nichts mehr von ihnen, und auf all sein Rufen antwortete nur das Brausen des Sturmwindes, der Donner des sich rasch verziehenden Gewitters.

      Eine Weile noch wartete der Knecht. Doch als alles totenstill blieb, packte ihn ein Grausen. Er machte sich, so schnell er vermochte, auf den Weg nach dem Schlosse auf, der weithinsehenden Anhöhe, denn nun erkannte er, dass sie sich schon ganz nahe bei der Stadt Schaffhausen, ihrem heiss und lang ersehnten Ziele, befunden hatten, ohne dass sie’s gewahr worden waren. Dort wurde er gleich in die Burg eingelassen, und er berichtete der voll Jammer aufschreienden Burgfrau noch in der Nacht, welch schreckliches Unglück ihren Gatten betroffen hatte.

      Am andern Morgen brachten ihre Hörigen, die die ganze Nacht den Bach abgesucht hatten, ihren Gemahl und die andern ertrunkenen Knechte ins Schloss, wo sie aufgebahrt und danach feierlich beerdigt wurden. Der Schmerz der Edelfrau war grenzenlos. Jahrelang hatte sie sich in Sehnsucht nach ihrem geliebten Ritter verzehrt, und nun er endlich unversehens kam und ihr die höchste Freude ihres Lebens geworden wäre, wurde ihr das grösste Leid. Und er war doch so nahe schon ihrer Burg, so nahe ihrem Herzen, er, den sie unendlich weit weg glaubte. Hätte sie doch eine Ahnung gehabt, sie hätte ihre Burgkatze, ein unförmliches Geschütz, Tag und Nacht abfeuern lassen, und der Turmwart hätte sich an seinem Horn schier tot blasen müssen. So hart vor seinem Hause musste ihr geliebter Mann sterben. Sie war kaum zu trösten.

      Als aber ihr Kreuzritter und seine treuen Kriegsknechte im Grabe lagen, liess die Edelfrau ein silbernes Glöcklein giessen. Und von dem Tage an, da man’s im hohen Wendelstein ihrer Burg aufhing, musste es alle Nacht um neun Uhr geläutet werden, denn um neun Uhr war der Ritter ertrunken.

      Von nun an hörten die einsamen Wanderer, die sich etwa zu Beginn der Nacht in der Wildnis des Mühletales verliefen oder sonstwo verirrten, um neun Uhr den silbernen Klang des Burgglöckleins und fanden sich, den traulichen Tönen nachgehend, bald in der guten Stadt Schaffhausen am Oberrhein.

      Der listige Habsburger.

      Mitten in der Schweiz, im schönen und fruchtbaren Kanton Aargau, steht das Stammschloss der Habsburger, der heute noch regierenden Kaiser von Österreich. Aber es wird schon ewig lange nicht mehr von ihnen bewohnt.

      Ausgangs des dreizehnten Jahrhunderts hauste auf jener hochthronenden Burg Graf Rudolf von Habsburg, der nachmalige deutsche Kaiser. Er war ein einfacher Mann und im Lande überall bekannt wegen seiner Klugheit und beliebt wegen seiner Mannhaftigkeit in allen Dingen. Er war aber unablässig darauf bedacht, seines Hauses Macht und Ansehen zu mehren.

      Nicht weit ab vom kleinen, lieblichen Kassensee, in dem sich die silberstämmigen Birken spiegeln, hauste ein anderer mächtiger Herr, der Freiherr Lüthold von Regensberg. Der sass auf seiner starken Feste an der Lägern und schaute über die Mauer seines kleinen Städtchens immer gen die nahe Stadt Zürich hin, die er gar gerne unter seine Herrschaft gebracht hätte. Rings um die Stadt hatte er feste Burgen, die sie wie ein steinerner Ring einschlossen, und die voll steckten von seinen Kriegsknechten. Erst wollten die Zürcher versuchen, mit dem hochmütigen Freiherrn gütlich auszukommen. Aber er verdarb es immer wieder mit ihnen, also dass zwischen ihm und der aufblühenden Nachbarstadt eine hartnäckige Fehde aufging.

      Da der Freiherr gar mächtig war und auch starke Zuzüge der Adeligen hatte, wandten sich die Zürcher in ihren Nöten an den Grafen von Habsburg um Hilfe. Und der empfing schlicht und bescheiden ihre Boten und sagte ihnen seinen Beistand zu.

      Als die Zürcher danach mit dem Regensberger den Streit begannen, erlitten sie zuerst manche böse Schlappe. Aber der Graf tröstete sie, und wie nach und nach der Adel des Aargaus und Thurgaus nicht mehr mit dem Freiherrn Lüthold lief, ging es ihnen und ihrem Schirmherrn besser. Es gelang ihnen, ihm eine Burg um die andere wegzunehmen, bis auf die feste Burg auf dem Berge Albis bei Zürich, die Baldern genannt, und bis auf die Ütliburg zuhöchst auf dem Ütliberg, von wo aus man schier über den ganzen See hinauf und den Zürchern in die Kamine hineinsehen kann. Solange sie aber diese zwei festen und unzugänglichen Schlösser nicht hatten, konnten sie die Herrschaft des Regensbergers nicht brechen. Mit Gewalt jedoch kamen sie nicht hinein.

      Da versuchte es der Graf Rudolf von Habsburg mit List.

      Eines schönen Abends — die Schneefelder der Glarnerberge waren blutrot in der untergehenden Sonne — ritt der Habsburger mit fünfunddreissig Reitern in die Nähe der Burg. Jeder hatte einen vollständig gerüsteten Mann hinter sich auf dem Pferde. Als sie nun unweit der Burg ins Unterholz kamen, sprangen die hintern fünfunddreissig Reiter ab und versteckten sich in einer kleinen Schlucht. Andern Tages kamen nun die fünfunddreissig Reiter wieder und streiften übermütig um die Burg, die Burgknechte zum Kampfe herausfordernd. Wie diese nun sahen, dass sie’s nur mit fünfunddreissig Reitern zu tun hatten, taten sie plötzlich die Tore auf und jagten dem anscheinend flüchtigen Grafen und seinen Reitern nach. Da sie jedoch weit genug von der Burg weg waren, stiegen die Reisigen, die sich abends vorher bei den Burgmauern in einer Schlucht versteckt hatten, rasch herauf und fielen durchs offene Tor in die Burg hinein. Rasch war das Gesinde überwältigt und das Schloss gewonnen, was vom Schlossturm mit Trompetenstössen dem auf Umwegen heranreitenden Grafen Rudolf kund gemacht wurde, worauf die ihn verfolgenden Reiter verstoben.

      Aber noch trotzte zuoberst auf dem Berge, von wo einst schon das Urvolk der Kelten aus seinem Refugium über den See hingeschaut hatte, die feste Ütliburg. Ihr war gar nicht beizukommen, alle Stürme wurden abgeschlagen, obschon nur wenig Mannschaft darin steckte. Doch Graf Rudolf, der Habsburger, wusste Rat.

      Die Burgknechte der Ütliburg hatten zwölf milchweisse Schimmel, auf denen sie schier alltäglich zur Jagd oder auf Raub ausritten. Nun liess der Habsburger durch die Bürger von Zürich ebenfalls zwölf schneeweisse Schimmel rüsten. Dann rückte er Heimlich, bei Nacht und Nebel aus, den steilen Berg hinauf und versteckte sich im Hochwald auf der zugänglichen Seite der Burg mit den zwölf Schimmelreitern.


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