Schweizer Sagen und Heldengeschichten. Meinrad Lienert

Schweizer Sagen und Heldengeschichten - Meinrad Lienert


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nachzuschauen, wer von ihm einen Rechtsspruch begehre. Aber der Kriegsknecht kam mit der Meldung zurück, dass niemand an der Säule beim Glöcklein zu sehen sei. Da ertönte das Glöcklein wieder und wieder. Jetzt ward es dem hohen Herrn unheimlich. Er befahl dem Kriegsknecht, sich in Hinterhalt zu legen und genau acht zu geben, was denn bei der Säule los sei. Der tat also, und da erblickte er zu seiner Verwunderung eine Schlange, die sich um das Glockenseil wand und es also läutete. Er meldete es sogleich seinem Herrn.

      Jetzt erhob sich Kaiser Karl und machte sich mit mächtigen Schritten zu der Glockensäule. Da fand er die Schlange. Diese aber verneigte sich tief vor ihm und raschelte dann vor ihm her. Der Kaiser folgte ihr, und so führte sie ihn zum Ausfluss des Sees, wo sie im Schilf der Limmat ihr Nest hatte. Verwundert sah der Kaiser darin auf den Eiern der Schlange eine gewaltige Kröte kauern. Da befahl er, die scheussliche Kröte wegzunehmen, und da sie fremdes Eigentum und Leben hatte rauben wollen, verurteilte er sie zum Feuertode.

      Einige Zeit nach diesem Rechtsspruch sass Kaiser Karl wieder im Hause zum Loch am Tische.

      Da ging auf einmal die Türe wie von selbst auf. Der Kaiser und seine Gäste erschraken und dachten an Zauberei. Aber jetzt kroch die Schlange über die Schwelle. Sie kroch zum Kaiser heran, wand sich am Tischbein herauf auf den Tisch, stiess den Deckel am goldenen Becher des Kaisers auf und liess darein einen funkelnden Edelstein fallen, also dass man’s im Saale wie ein feines Läuten hörte. Dann verschwand sie und wurde nie mehr gesehen.

      Karl aber, der dafür hielt, dass der Himmel seinen Sinn besonders habe prüfen wollen, liess über der Stelle, wo er der Schlange Nest gefunden, eine Kirche bauen, die das Volk die Wasserkirche nannte. Sie steht heute noch. Den Edelstein aber schenkte er seiner Gemahlin, die ihn zeitlebens in einer goldenen Kapsel auf dem Herzen trug.

      Der Stier von Uri.

      Auf der Surenenalp, die das Land Uri und das obwaldnerische Tal von Engelberg trennt, lebte einst ein blutjunger Schafhirte namens Urs im Ried. Die weite Alp gehörte dem Kloster Engelberg und trug ihm gar fette Einkünfte in goldgelber Butter und weissem Zieger ein. Zuweilen schlachtete der junge Schäfer ein Schaf und trug sein Fell ins Urserntal, wo er allerlei Sachen dagegen eintauschte.

      Eines Tages, als er auch wieder dort war, zogen aus dem Welschland seltsame dunkelhaarige Männer durch das Hochtal. Sie trieben auserlesen schöne, hellhaarige Schafe vor sich her, wie sie der Hirtenbub noch nie gesehen hatte. Besonders ein kleines, schneetaubenweisses Lämmlein gefiel ihm also, dass er nicht mehr davon wegkam und die fremden Hirten flehentlich bat, sie möchten ihm doch das schöne Lamm schenken. Erst wollten sie nichts davon wissen. Aber endlich sagte ihm ihr Meister, er solle das Lämmlein haben, wenn er aufkniee und einen Rosenkranz bete. Willig tat er’s. Und danach überliess man ihm das weisse Lamm, und lachend gingen die welschen Hirten davon.

      Urs im Ried aber, der junge Schäfer, kehrte im Flug nach der Surenenalp zurück mit seinem Lämmlein und wusste sich vor Freude über das schöne Schaf fast nicht zu fassen. Es musste immer um ihn sein, mit ihm essen und bei ihm schlafen. Er trieb es so weit mit seiner Abgötterei, dass er beschloss, das weisse Lämmlein zu taufen. Heimlich machte er sich über die Surenenecke nach Attinghausen ins Urnerland hinunter. Dort schlich er sich in die Kirche, erbrach den Taufstein und schöpfte Taufwasser daraus. Und heimlich machte er sich wieder auf die Alp zurück. Dort taufte er das vergötterte Tier nach christlichem Brauch.

      Da war es, als ginge die Welt unter. Über die Berge herein kam es kohlenschwarz. Ungeheuerliche Wolkengestalten mit Köpfen und Armen jagten am Himmel hin, und dann begann es zu donnern, und ein Unwetter kam, davon die Erde erbebte. Ein Blitz schlug wie ein Riesenhammer in die Hütte, sie zerschmetternd. Als aber der junge Hirt, an nichts denkend als an sein weisses Lämmlein, sich ängstlich nach diesem umsah, um es zu retten, stand statt dessen ein entsetzliches schwarzes Ungeheuer in den Alpenrosen.

      Zu Tode erschrocken wollte er davonhasten, aber das Ungeheuer stürzte ihm nach, und im Hui war er zerfetzt und zerrissen.

      Von da ab war es nicht mehr geheuer auf der Alp. Menschen und Vieh schlug das grause Ungetüm, das die Hirten der Surenenalp das Greiss nannten. Nach und nach wollte kein Engelberger Äpler mehr auf der Alp sömmern, und sie wurde auch immer unfruchtbarer, also dass das Gotteshaus Engelberg sie den Urnern um einen Spottpreis verkaufte. Doch sie hatten auch nicht viel davon, denn auch sie schädigte das fürchterliche Greiss an Menschen und Vieh.

      Da kam einmal ein Fahrender Schüler nach Altorf unter dem Bannwald. Der anerbot sich, den Urnern zur Erlösung der Alp von dem fürchterlichen Greiss einen guten Rat zu geben, wenn sie ihm den Geldbeutel mit Kronen füllen und ihm den Becher siebenmal mit dickrotem Welschwein ausebnen wollten. Als sie’s nun getan hatten, riet er ihnen, sie möchten ein silberweisses Stierkalb aufziehen und es neun Jahre lang mit reiner Milch tränken, und zwar das erste Jahr mit der Milch von einer, das zweite Jahr mit der Milch von zwei Kühen und so weiter bis auf neun. Dann sollten sie den erwachsenen Stier durch eine reine Jungfrau zu der Alp führen lassen, in der das Greiss umgebe.

      Alles wurde so ausgeführt. Wie nun die neun Jahre um waren, bot sich Agnes, die Tochter des Freiherrn von Attinghausen, an, die Erlösung der Alp zu vollbringen. Und also zog sie eines Tages mutterseelenallein, weissgekleidet und bräutlich geschmückt, auf die Surenenalp. An einem seidenen Schnürchen aber, das in einem Nasenring hing, führte sie den silberweissen Stier hinter sich her, der ihr willig folgte.

      Wie nun die Jungfrau um Sie Surenenecke bog, erhob sich ein schreckliches Gewitter. Der Sturmwind pfiff und schnob daher, als wollte er alle Berge über den Haufen stossen; schwarze Donnerwolken machten den Tag zur Nacht, und ganze Garben von Blitzen machten sie wieder zum Tag. Aber auf einmal war ein seltsames Brüllen in der Alp, und jetzt hüllten die daherfahrenden Wolken alles ein.

      Als sich die Urner nach langem, bangem Warten unten zu Attinghausen endlich auf die Alp getrauten, da es droben still geworden zu sein schien, fanden sie auf den Alpenweiden ein unförmlich, schrecklich zugerichtetes Ungeheuer: es war das tote Greiss. Aber nicht weit daneben lag auch der siegreiche silberweisse Stier tot in seinem Blute. Doch entsprang unter ihm eine reiche Quelle, die man von da ab Stierenbach nannte. Schon wollte man in Jubel ausbrechen, da fragte einer nach Agnes, der Jungfrau von Attinghausen. Doch nirgends war sie zu finden, und wie man auch die Alp absuchte, sie blieb für immer verschwunden.

      Da waren die Urner sehr unglücklich. Konnte auch das Greiss ihr Vieh nicht mehr schlagen, so hatten sie die Erlösung der Alp mit dem Leben der Jungfrau doch teuer bezahlt. Also hielten sie eine feierliche Landsgemeinde zu Altorf ab und beschlossen, den Kopf des siegreichen Stieres mit dem Nasenring in ihr Landeswappen aufzunehmen, das nachmals der Schrecken ihrer Feinde wurde.

      Die Jungfrau von Attinghausen aber nahmen sie auf ewige Zeiten in ihre Herzen auf.

      Das Neunuhrglöcklein von Schaffhausen.

      Zur Zeit der Kreuzzüge, als viele Ritter und Kriegsknechte ins heilige Land gezogen waren, um das heilige Grab Christi den Ungläubigen zu entreissen, war auch ein Ritter aus der Stadt Schaffhausen, wo die schöne Erkerstrasse steht, mit ihnen über das Meer gefahren.

      Schon lange Jahre war er aus der Heimat fort und dachte mit Schmerzen seiner lieben Frau, die er auf der stolzen Burg ob der Stadt, wo jetzt der Munot steht, zurückgelassen hatte. Und je mehr er ihrer und der schönen Heimat und der trauten Stadt am Rheinfall gedachte, desto schwerer wurde ihm zumute. Wie nun im heiligen Lande die Waffen eine Zeitlang ruhten, übernahm ihn das Heimweh völlig. Er liess sein Pferd satteln und zog mit seinen Kriegsknechten aus dem Lande Palästina fort, um heimzukehren.

      Eine unendlich lange Zeit hatte er, bis er durch aller Herren Länder in die heimatlichen Gaue gelangte. Aber endlich sah er hie und da schon seine hochgelegene Burg aus den Hügeln auftauchen, und obwohl er noch weit von der Stadt Schaffhausen weg war, meinte er doch schon den Rheinfall rauschen und brausen zu hören. Das widerklang wie Musik in seinem Herzen. Er spornte sein Pferd und ritt, so rasch es sich bei den damaligen schlechten Prügelwegen tun liess, der Stadt am Rheine zu. Es ging schon der Nacht zu. Noch einmal sah er von weitem die Burg aufleuchten in der blutrot hinter dräuenden Wolkenbergen verschwindenden Sonne.

      Dann geriet


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