Das Kind vom anderen Stern. Ross Welford

Das Kind vom anderen Stern - Ross Welford


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die drei gut erzogenen und in Rettungswesten verpackten Collies von der Bergwacht pausenlos an.

      Irgendwann erstarb auch das Stimmengewirr in der Bar und es herrschte totale Stille, die lediglich vom Läuten der einsamen Kirchenglocke durchbrochen wurde, die die Leute in die kleine Kirche zum Weihnachtsgottesdienst rief. Ich stellte mir vor, wie der Pfarrer vor den leeren Bänken stand und sich wunderte, wo die Leute blieben. (Später habe ich ihn noch gesehen. Er hatte den Talar abgelegt und auch die Gottesdienste in den anderen drei Gemeinden abgesagt, um bei der Suche mitzumachen.)

      Die erste Hälfte des Tages verging in einem wirren Durcheinander aus gegenseitigem Mutmachen und konkreten Aktivitäten. Am späten Vormittag verteilten wir uns oben im Moor und stapften mit Trillerpfeifen und Taschenlampen durch den Schnee. Iggy kam dazu, Gran in ihrem Winterlaufdress und Cora; ich glaube, so ungefähr das ganze Dorf war dabei. Alle waren sehr nett, ließen Mam in Ruhe, wenn sie weinte, und sagten zu mir: »Keine Bange, Junge, wir finden sie schon.« Der Fernseher in der Bar blieb ausgeschaltet, denn auf praktisch allen Kanälen liefen lustige Weihnachtsshows und danach war keinem zumute.

      Das Wetter im Moor war über Nacht schlechter geworden. Es hatte wieder angefangen zu schneien, alle wussten, dass das keine guten Nachrichten waren. Wenn Tammy sich da irgendwo verlaufen hatte, wäre sie für eine eiskalte Nacht in den Northumbrischen Bergen nicht gut gerüstet, nicht mal mit ihrer neuen Winterjacke.

      Dabei war das noch nicht mal unsere größte Angst, da gab es noch schlimmere Möglichkeiten, die aber niemand laut auszusprechen wagte, aus Furcht, sie könnten sich dadurch bewahrheiten.

      Am Nachmittag, an dem wir sonst lustige Filme geschaut und Süßigkeiten gefuttert hätten, saß ich mit Mam in der Bar. Die Weihnachtsdeko und die ausgeschalteten Lichterketten am Baum kamen mir mit einem Mal komplett absurd und sinnlos vor. Als wir aus dem Fenster schauten, das Tammy und ich vor ein paar Wochen mit Kunstschnee besprüht hatten, fuhren gerade die Betreiber der kleinen Segelschule am anderen Ende des Sees mit ihrem Anhänger vor. Darauf befand sich ein kleines Boot mit Außenbordmotor.

      Uns war klar, was das bedeutete. Es bedeutete, dass Tammy möglicherweise ins Wasser gegangen und nicht wieder herausgekommen war. Ertrunken. Sagen musste keiner was, doch als Mam in Tränen ausbrach, konnte ich mich auch nicht länger zusammenreißen. Gran saß neben uns, starrte vor sich hin und schüttelte traurig den Kopf.

      »Da oben im Moor gibt es noch die Hütten der Schafhirten«, sagte Gran schließlich. »Die liegen ein wenig abseits, so weit sind wir heute gar nicht gekommen. Vielleicht ist Tammy …«

      »Die Jungs von Natrass waren schon mit ihren Quads da oben«, antwortete Mam ausdruckslos.

      Das Naheliegendste – wobei ich die Vorstellung kaum ertragen konnte – war für mich, dass Tammy entführt worden war. Aber warum, konnte ich mir absolut nicht erklären. Und Mam wohl auch nicht.

      Die Stunden verstrichen …

      Die Bergrettung kam zurück …

      Die Polizei machte weiter mit ihren Befragungen, Polizeifahrzeuge rollten an, darunter auch ein Geländewagen …

      Ein Krankenwagen kam, falls man Tammy fand und sie verletzt war …

      Der Abend des ersten Weihnachtstages zog sich endlos hin. Dad kam mit ein paar Männern von der Bergrettung zurück und schenkte ihnen zum Aufwärmen Whiskey in der Bar aus. Er selbst genehmigte sich auch einen, dann noch einen und noch einen. Später verkrümelten sich manche nach Hause, zu ihren Angehörigen, dem kalt gewordenen Weihnachtsbraten und ihren kleinen Kindern, die nicht wissen durften, was los war, um ihnen das Fest nicht zu verderben.

      Und dieser Tag ging quasi nahtlos in den nächsten über. Ich hatte das Gefühl, in einer Tragödie mitzuspielen, wie ich sie schon x-mal im Fernsehen gesehen hatte, nur diesmal war es echt.

      Der Pub wurde zum Hauptquartier umfunktioniert. Komm nach Hause, Tammy–Poster wurden gedruckt und überall von Carlisle bis Newcastle aufgehängt. Ted von der Pension, dessen Bruder in Hexam eine Druckerei betrieb, ließ in Windeseile T-Shirts mit Tammys Gesicht anfertigen, die die Leute über ihren dicken Fleece-Klamotten trugen, als wir vor der Kirche Mahnwache hielten.

      Am Boden stand Tammys Name aus Teelichtern, die Leute brachten Blumen und Kuscheltiere. Die älteren Kids aus dem Schulbus sangen Tammys Lieblingsweihnachtslied. Eigentlich ist es ein lustiges Lied:

       »Do-do-do-do-do the Chicken Hop!

       Da-da-da-da-dance like you can’t stop!

       Do-do-do the Chicken Hop this Christmas!«

      Der Pfarrer stimmte mit ein, aber es klang total schräg, auch ohne die alberne Choreografie dazu. Für ein fröhliches Lied war ich viel zu traurig, deshalb sang ich nicht mit, sondern stand bloß da und sah zu. Ich spürte, wie mich alle anstarrten, aber so, dass ich es nicht merken sollte.

      Bald (bald? Mir kam es vor wie zehn Jahre) waren vier Tage vergangen und Tammy war immer noch verschwunden.

      Und dennoch hatte ich tief in mir, so tief, dass ich selbst nicht wusste, ob ich es mir einbildete, das Gefühl, dass Tammy noch am Leben war. Irgendwo.

      Nach vier Tagen der Hölle tauchte dann auf einmal Iggy Fox-Templeton mit seiner Angel bei uns auf, als wäre alles ganz normal, woraufhin alles noch unnormaler wurde, falls das überhaupt möglich war. Denn da sind wir dann dem seltsamen stinkigen Wesen, dieser Hellyann, begegnet, die behauptete, sie wüsste, wo Tammy ist, wir dürften es aber keinem sagen.

      Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Aber wer hätte das in dem Moment schon?

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      HELLYANN

      15. Kapitel

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      Wie ich auf die Erde gekommen bin, wollt ihr wissen? Die lange oder die kurze Fassung?

      Ich mach’s mal kurz. Die lange Fassung müsst ihr euch im Lauf der Geschichte dann selbst zusammenreimen. Ob wir allerdings so weit kommen, kann ich nicht garantieren.

      Hier also die kurze Fassung.

      Ich, Hellyan, bin elf Jahre alt und stamme von einem anderen Planeten. (Keine Sorge, das wird sich später noch klären. Denkt daran, kurze Fassung!)

      In meiner Welt werden Menschen wie ihr (ich bin nämlich kein Mensch) in Zoos ausgestellt. Das finde ich falsch, deshalb versuche ich, etwas dagegen zu unternehmen.

      Und so hat sich mein Universum mit dem von zwei Jungs und einem Huhn gekreuzt.

       Zur Übersetzung

      Ich habe meine Geschichte in meiner Muttersprache geschrieben und Philip hat sie dann in eure Sprache übersetzt.

      Mittlerweile weiß ich, dass Anthallanisch ganz anders klingt als eure menschlichen Sprachen. Für eure Ohren klingt es wie Grunzen, Quieken und Schnüffeln. Mein Erdfreund Ignatius Fox-Templeton (Iggy) meint, ich höre mich an wie ein »strangulierter Mops« und er und Ethan Tait haben daraufhin volle zweiundvierzig Sekunden lang gelacht.

      Wenn es keine genaue Entsprechung in eurer Sprache gab, hat Philip, ein Roboter, etwas einigermaßen Passendes gewählt, damit der Erzählfluss nicht gestört wird.

       (Übrigens ist Philip kein Roboter aus Stahl, der mit einem Gesicht und blinkenden Lichtern durch die Gegend rollt. Er ist viel mehr… Aber das werdet ihr alles noch erfahren.)

      16. Kapitel

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      In vielerlei Hinsicht


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