Das Kind vom anderen Stern. Ross Welford

Das Kind vom anderen Stern - Ross Welford


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um zu horchen. Es ging nur ein leichter Wind, der lautlos zwischen den Bäumen hindurchstrich.

      Tammys Rad lag an der Stelle, an der ein überwucherter Pfad die Böschung hinunter zum See und dem kleinen Holzsteg führt. Ich schnappte mir mein Vorderlicht und folgte dem Pfad.

      Das macht doch keinen Sinn!, schoss es mir durch den Kopf. Warum sollte sie da runtergehen?

      »Tammy! Tam!«, rief ich immerzu.

      An dieser Stelle geht es steil bergab und ich stolperte durch die Dunkelheit, bis ich an den kleinen Kiesstrand gelangte. Schwarz wie Tinte lag Kielder Water vor mir. In dem Moment hörte ich dieses Geräusch, dieses Surren – erst tiefer und dann immer höher.

      OOOOOOMMMMMMMM ooooooooommmmmmmm. Es erinnerte an ein Flugzeug, war aber garantiert kein Flugzeug. Oder an ein Motorboot, war aber garantiert auch kein Motorboot.

      Hier unten am Wasser war der Himmel etwas heller, der wolkenverhangene Mond gab ein wenig graues Licht ab. Mit zusammengekniffenen Augen spähte ich auf den See hinaus, über dem eine seltsame Nebelsäule erschienen war, die bis in den Himmel hinaufragte. Sie stand ein paar Augenblicke in der Luft, bevor der Wind sie davonwehte.

      Dazu hing so ein Geruch in der Luft. Ein Gestank nach Schweiß und verstopftem Abfluss, der sich aber auch bald verflüchtigt hatte.

      Ob Tammy vielleicht zum Steg gegangen war, um Steine ins Wasser zu werfen? Vielleicht schlug sie mich deshalb immer, weil sie heimlich übte? Natürlich war das eine total bekloppte Idee, aber das kam wahrscheinlich schon von der Panik.

      Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich die Böschung wieder hochkletterte. Tammys Rad lag noch an Ort und Stelle.

      Wieder rief ich nach ihr und hoffte, dass sie aus dem Wald gestapft kam und irgend so was sagte wie: »Iii-than, was brüllst du denn so? Ich war doch nur kurz pinkeln!«

      Aber sie kam nicht und mir wurde klar, dass ich Hilfe holen musste. Ich zog das Handy raus. Kein Empfang. Typisch! Rund um den See ist Niemandsland.

      Ich schwang mich aufs Fahrrad und strampelte, so schnell ich konnte, zur alten Sheila. Dabei schrie ich die ganze Zeit nach Tammy, bis ich fast heiser war.

      10. Kapitel

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      So glasklar mir auch alles vor Augen steht, was bis zum Fund des Fahrrads geschah, danach verschwimmen die Erinnerungen.

      Unterwegs spielte ich die verschiedenen Gründe durch, warum Tammys Rad verlassen im Wald gelegen haben könnte.

      Sie hatte es dort liegen lassen, weil sie lieber zu Fuß weitergegangen war. Nicht sehr wahrscheinlich. So unwahrscheinlich, dass es sofort ausschied.

      Sie hatte sich von jemandem im Auto mitnehmen lassen. Auch wieder nicht sehr wahrscheinlich. Warum sollte sie das tun? Und wer sollte sie mitgenommen haben? Da fährt ja kaum jemand lang. Und warum sollte die Person ihr dann anbieten, sie mitzunehmen, aber das Rad dalassen? Und … ach, das war alles totaler Schwachsinn.

      Als ich die Brücke über den Bach nahm, war ich überzeugt, dass Tammy etwas Schreckliches zugestoßen sein musste.

      Der südliche Teil des Dorfs besteht hauptsächlich aus einer einzigen Straße mit alten Cottages. Vor Sheilas Haus sprang ich vom Rad, ließ es einfach zu Boden fallen und hämmerte an die Tür.

      »Schon gut, schon gut!«, kam eine Stimme von drinnen.

      Noch bevor die Tür geöffnet wurde, plapperte ich los.

      »Ist Tammy da? Haben Sie sie gesehen?«

      »Hallo, junger Mann«, sagte Sheila lächelnd, als hätte sie kein Wort von dem verstanden, was ich gesagt hatte.

      »Ja oder nein?«, blaffte ich sie an.

      Sheila guckte verdattert. »Ja oder nein, was …«

      »Haben Sie Tammy gesehen?«, brüllte ich. In meiner Panik hatte ich alle guten Manieren über Bord geworfen.

      »Nein, heute noch nicht. Ich dachte …«

      »Tschüs!«, rief ich, packte mein Rad und raste ans andere Ende des Dorfs, wo unser Pub lag.

      Der Stargazer war hell erleuchtet. Draußen am großen Weihnachtsbaum brannten die Lichterketten, die Tammy und ich letzte Woche mit aufgehängt hatten. Als ich die Auffahrt hochradelte, hörte ich schon den Gesang. Die hatten aber früh mit den Weihnachtsliedern angefangen. Durchs Fenster sah ich Iggys Mutter, Cora Fox-Templeton, die die anderen auf dem alten, verstimmten Klavier begleitete. Iggy stand neben ihr und Suzy saß oben auf dem Klavier, als wollte sie gleich ein Ei legen.

      » Hört, die Engelschöre singen: Heil dem neugebor’nen Kind!«

      Ich sprang vom Rad und stürzte durch den Vorraum direkt in die Gaststube, wo mir Lärm und Hitze entgegenschlugen.

       »Gnad und Friede allen Menschen, die erlöst sind von der Sünd …«

      An der Bar brach Jubel aus. Dad rief: »Genau! Wer ist bereit für einen Feuerkelch?«

      Das ist einer seiner Barkeeper-Tricks: Auf einem Tablett steht eine Reihe mit Cocktails, und sobald er ein Feuerzeug dranhält, fangen sie zu brennen an. Normalerweise schaue ich dabei gern zu.

      Mam hatte das Tablett in die Hand genommen. Ich drängte mich durch die Menge bis zu ihr durch.

      »Mam! Mam!«

      Verärgert drehte sie sich zu mir um, schüttelte den Kopf und sang weiter.

      »Mam! Hör doch mal!«

      »Vorsicht! Verbrenn dich nicht!«, raunte sie mir zu. »Okay, wer möchte denn ein Glas? Nicht jetzt, Ethan

      »Doch, genau jetzt!«, brüllte ich.

      Ein paar Leute kriegten es mit, stießen sich an und hörten auf zu singen. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich trat ans Klavier und schlug den Deckel mit Karacho zu. Iggys Mutter schrie auf, konnte aber im allerletzten Moment die Hände wegziehen. Es gab einen lauten Knall, Coras Armreifen klirrten, Suzy sträubte empört das Gefieder. Kurz darauf brach der Gesang ab.

      »Ethan? Hast du den Verstand …«, begann Mam und schob sich durch die Leute zu mir. Doch ich nahm keine Notiz von ihr.

      Stattdessen wandte ich mich den Leuten im Pub zu. »Tammy ist verschwunden! Ihr Fahrrad liegt im Wald, aber ich kann sie nirgends finden.«

      Ein Raunen ging durch den Raum. Jemand, der weiter hinten saß und mich nicht verstanden hatte, fragte: »He! Wo bleibt denn die Musik?« Daraufhin ein anderer: »Schhh!«

      Dad, der als Spielzeugsoldat verkleidet war, kam hinter der Theke hervor und hob beschwichtigend die Hände. »Alles gut, alles gut«, sagte er ruhig. »Was ist los, Ethan?«

      Also erzählte ich ihm erneut, was passiert war, dass ich nach Tammy gerufen hatte und dass die Lichter an ihrem Rad noch brannten und dass auch die alte Sheila sie nicht gesehen hatte. Alles sprudelte nur so aus mir heraus und Dad musste mich zweimal unterbrechen: »Nicht so schnell, Ethan. Sprich langsamer.«

      Dann suchte ich Mams Blick. Ihr war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen, ihre Wangen waren gespenstisch grau.

      Zwei Minuten später leerte sich die Bar und die Leute stürmten zu ihren Autos.

      »Nimm du den Waldweg, Jack!«

      »Ich fahr die North Road entlang. Komm doch mit, Jen.«

      »Hatte sie ein Handy dabei?«

      »Ist die Polizei schon benachrichtigt?«

      »In ’ner halben Stunde treffen wir uns alle wieder hier, einverstanden?«

      »Habt ihr meine Nummer? Ruft mich an, wenn ihr sie gefunden habt!«

      … und so weiter. Mir kam es


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