Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3. Inger Gammelgaard Madsen
schuld an den vielen Besuchen der Polizei war. Brian Kjeldsens Augen schwammen in einem Haschrauch und der unverkennbare Geruch hing in seinem schwarzen T-Shirt mit Metallica-Logo und der Aufschrift Metal Up Your Ass. Aber darum konnte er sich jetzt gerade nicht kümmern.
»Betreibt ihr den Bauernhof, oder ist der stillgelegt?«, fragte er, um die angespannte Atmosphäre ein wenig aufzulockern.
»Das ist der Hof meiner Eltern, den ich geerbt habe. Ursprünglich war er ein Pferdehof, aber jetzt sind die Ställe leer. Wir benutzen sie im Augenblick als Lager. Aber ich habe überlegt, die Boxen an Pferdebesitzer zu vermieten.« Andreas schaute die anderen angespannt an, wie wenn er das noch nicht mit ihnen abgesprochen hätte. Er schien der Älteste der Bewohner zu sein, deren Alter, wie Roland schätzte, zwischen Anfang und Mitte zwanzig liegen musste.
Nur Linda Carlsen nickte bestätigend. »Das könnte ein zusätzliches Einkommen bringen, deswegen arbeiten wir ganz sicher darauf hin«, unterstützte sie ihren Freund. Sie war schlank und durchtrainiert. Die blonden Haare waren zu einer kurzen, sportlichen Frisur geschnitten. Sie war ein schönes und natürliches Mädchen, das sich in Farben kleidete, die zu der hellen Haut und den Haaren passten und das direkte Gegenteil von Bitten Mørk, die ihn mit diesen schwarz umrandeten Augen anstarrte und provozierend Kaugummi kaute. Keiner der anderen sagte etwas. Roland trank von dem Kaffee, während er sie betrachtete. Es war ein bunter Haufen, der um den niedrigen Eichenholzcouchtisch herum saß. Er fragte sich, was sie gemeinsam haben konnten, dass sie es aushielten, unter einem Dach zu wohnen.
»Wenn der Hof Ihren Eltern gehört, dann sind Sie doch bestimmt auch hier aufgewachsen und kennen die Nachbarn gut, oder?«
Anita stand plötzlich auf und unterbrach ihn. »Oh, Entschuldigung, Bjørn. Ich hab den Zucker vergessen.« Schnell schlüpfte sie in die Küche. Roland sah ihr nach. Bestimmt war sie diejenige, die sich hier um den Haushalt kümmerte. Andreas nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
»Ja und nein. Als ich vor fünf Jahren Linda getroffen habe, bin ich bei ihr eingezogen ...«
»Ich habe damals in Herning gewohnt«, warf Linda mit einem vorsichtigen Lächeln ein.
Andreas sah sie an und nickte. »Meine Eltern sind beide bei einem Autounfall gestorben, und dann war die Frage, was aus dem Hof werden sollte. Was die Nachbarn betrifft, die ich als Kind kennengelernt habe, das sind nur Olga und Vagn Mortensen und die, die damals auf dem Nachbarhof gewohnt haben.«
Roland nickte. »Ich habe mit Dorthe und Sam Geisler gesprochen, den Zwillingen. Sie haben etwas von einem Jungen erzählt, der im See in dem privaten Wald ertrunken ist. Kennen Sie die Geschichte?«
Andreas runzelte die Stirn und nickte langsam. »Ja, ich erinnere mich dunkel. Aber das ist passiert, als ich in Herning gewohnt habe, erinnerst du dich?« Er wandte sich an Linda, die ernst nickte.
»Meine Eltern waren schockiert, Marcus war oft bei ihnen, ein netter Junge, und ... sie setzten zusammen mit den anderen Nachbarn durch, dass ein Zaun um den See gezogen wurde.« Er kratzte sich den fast unsichtbaren Kinnbart, der an Schweineborsten erinnerte. »Soweit ich mich erinnere, war das vor vier Jahren im Frühling.«
»Wer war der Junge?« Roland glaubte eigentlich nicht, dass das etwas mit dem Fall zu tun hatte, aber er war neugierig, mehr von dem Unglück zu erfahren, das die Besitzer dazu gebracht hatte, einen ganzen Wald zu umzäunen.
»Er war tatsächlich der Sohn von denen, die auf dem Hof gewohnt haben, wo Signe und Albert jetzt wohnen«, antwortete Andreas und schaute plötzlich erschrocken. »Daran habe ich vorher noch gar nicht gedacht.«
Er starrte vor sich hin.
Anita kam zurück und stellte eine geblümte Zuckerdose auf den Tisch. »Ich glaube, wir können festhalten, dass wir letzte Nacht nichts gesehen oder gehört haben, oder?«, fasste sie zusammen und schaute Brian auf eine Weise an, als forderte sie ihn auf, etwas zu sagen. Roland versuchte ebenfalls, seinen finsteren Blick aufzufangen, aber er war plötzlich damit beschäftigt, Zucker in seinen Kaffee zu rühren.
»Wer am ehesten etwas gesehen haben kann, ist Bjørn«, meinte Bitten, den Blick auf die grüne Olive gerichtet, die sich in einer Sofaecke zusammengekauert hatte.
Er richtete sich auf. »Das stimmt, ich kann tatsächlich einen Teil des Hofes sehen, auf dem es passiert ist, aber ich schlafe nun mal um diese Zeit der Nacht!« Das Letzte sagte er direkt an Bitten gewandt.
»Natürlich«, sagte Roland, »aber für uns ist es auch wichtig zu wissen, ob ihr an den Tagen davor etwas beobachtet habt. Geparkte Autos oder etwas anderes Verdächtiges?«
»Das sind doch diese Scheißosteuropäer.« Brians teilnahmsloser Blick wandte sich von dem Kaffee im Becher zu Roland.
»Das können wir noch nicht wissen, deshalb ist es auch wichtig, Informationen von euch zu bekommen, wenn ihr etwas wisst.«
»Wir wissen einen Scheiß!«
»Und das gilt für euch alle?« Roland betrachtete sie nacheinander. Bjørn nahm einen Keks aus der Packung, als sie ihn erreichte, und vermied es dadurch, ihm in die Augen zu sehen.
»Dann habt ihr die Waffen also nicht gefunden?« Brian lehnte sich im Sessel zurück und verschränkte die Arme, sodass nur die Aufschrift Metal Up Your Ass zu sehen war. In die schwarzen Augen trat ein höhnischer Ausdruck.
»Nein, wir haben die Waffen nicht gefunden. Was weißt du darüber?«
»Nichts. Ich hab bloß in der Zeitung gesehen, dass er damit geprotzt hat.«
»Wann war das?«
»Vor ein paar Tagen. So ein Hirni! Er kann sich doch echt denken, dass dann welche kommen und die holen.«
»Habt ihr diese Zeitung aufgehoben?« Roland schaute direkt Anita an, die am meisten Kontrolle über das Ganze zu haben schien.
»Das weiß ich gar nicht, kann schon sein, dass sie nicht weggeschmissen wurde, wenn es noch nicht lange her ist.« Sie ging in die Küche. Kurz darauf kehrte sie mit der Zeitung zurück und reichte sie ihm. Er blätterte zu dem Artikel mit dem Foto eines breit lächelnden Albert Hovgaard, die Goldmedaille um den Hals, fotografiert vor dem offenen Waffenschrank, wo die Waffen Seite an Seite hingen.
»Darf ich die Zeitung mitnehmen?«
»Klar, die wird sonst eh weggeschmissen.«
»Ja, die gibt euch doch einen Überblick darüber, was in dem Schrank an Waffen war. Hier serviert er die ja irgendwie auf dem Silbertablett«, grinste Brian.
»Doch nur, wenn irgendwelche Kriminellen auf gute Ideen kommen«, knurrte Linda. »Eigentlich sollte es nichts ausmachen, dass andere einen Einblick darin bekommen, was man besitzt, oder?!«
Roland faltete die Zeitung zusammen. Aber es waren ja immer die Kriminellen, die gute Ideen hatten. Er war geneigt, Brian hier Recht zu geben. Es war kein cleverer Zug gewesen, seine Waffensammlung so auszustellen, obendrein mit vollem Namen und Adresse. Natürlich nicht so viel schlimmer als die Homepages von Immobilienmaklern, auf denen sie interessante Flachbildschirme und andere technische Ausstattung vorführten. Aber waren die Waffen allein der Grund für den Einbruch und den Mord? Er stand auf, zog seinen Mantel an und bedankte sich für die Hilfe. Hier war leider nicht mehr zu holen, spürte er. Die meiste Zeit des Tages war mit Gesprächen vorübergegangen, nun musste er zurück ins Präsidium und das Ganze ins System eingeben. Es wurde dunkel und er war gespannt, ob weitere Spuren aufgetaucht waren. Er fürchtete, dass das nicht der Fall war, sonst hätten sie ihn wohl kontaktiert.
Anita brachte ihn zur Tür. »Gibt es überhaupt eine Chance, dass ihr die findet?«, wollte sie wissen.
»Es ist nicht viel herausgekommen, aber wir hoffen doch, das Auto zu finden, das an der Straße gesehen wurde.« Er öffnete die Tür. Ein eisiger Wind fuhr durch die Waschküche und ließ die Mäntel am Kleiderhaken flattern. Bei jedem Windstoß bauten sich auf dem Hof immer neue Schneewehen auf. Anita schlang die Arme um sich, um sich gegen die Kälte zu schützen. Roland zog die Handschuhe an und dankte ihr für den Kaffee. Er hatte das Gefühl, dass sie noch etwas