Sailing for Future. Corentin de Chatelperron
auf einer Werft gearbeitet und die Eigenschaften der Jutefaser erkundet – einer Pflanze, die es im Gangesdelta in Hülle und Fülle gibt. Ich dachte damals, dass diese Naturfaser die Glasfaser im Bootsbau ersetzen könnte, denn das wäre sowohl auf ökologischer Ebene (Glasfaser lässt sich nicht recyceln und verbraucht viel Energie bei der Herstellung) als auch für die lokale Wirtschaft von Vorteil.
Nach zweijährigen Versuchen mit dem Team, das ich zusammengestellt hatte, stand das erste Boot aus Jute und Harz, die GOLD OF BENGAL, fertig vor uns. Um seine Widerstandsfähigkeit zu testen, befuhr ich in sechs Monaten ganz allein das Meer von Bangladesch nach Malaysia mit nur einem Ziel: autark zu leben. Dabei habe ich mit Technik experimentiert, die mich seit Langem fasziniert: Low-Tech, also geniale Systeme, die leicht herzustellen und zu reparieren sind und die die Grundbedürfnisse decken. Unter diesem Gesichtspunkt hatte ich ein paar Dinge an Bord gebracht: ein Gewächshaus für Kartoffeln, einen Solarofen, einen Holzsparofen und zudem zwei Hühner, von denen ich mir Eier erhoffte. Mein Traum war es, mit mehr Nahrungzurückzukehren, als ich mitgenommen hatte! Das hat nicht wie geplant geklappt, allerdings hatte ich auch nicht gerade viel geplant.
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Auf der GOLD OF BENGAL macht Corentin seine ersten Schritte in Sachen Autonomie auf dem Meer: Er hat Hühner, Kartoffelpflanzen, ein Windrad und einen Solarofen an Bord.
Zunächst war da die »Kartoffelkrise«: Meine Pflanzen verkümmerten. Und dann schleppte ich mir beim Holzsammeln auf einsamen Inseln Termiten ein, die meinen Bambusmast attackierten, und er knickte beim ersten Sturm ab. Kurz: Ich, der ich mich schon als modernen Robinson Crusoe gesehen hatte, fühlte mich bald wie ein Streuner der Meere. Selbst die Hühner legten quasi nichts in diesen sechs Monaten. Rückblickend war diese Erfahrung eindeutig kein Erfolg, gehört aber in die Kategorie »konstruktives Scheitern«.
Denn genau ab diesem Moment reifte eine Idee in meinem Kopf, eine Idee der Sorte, die einen nicht wieder loslässt: ein großes Low-Tech-Projekt zu gründen und Low-Tech vielen nahezubringen, damit solche Techniken allen zugänglich werden. Überall auf dem Planeten teilen Männer und Frauen aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Ethnien ihre Erfahrungen im Internet, um einander zu helfen. Daraus ergibt sich eine unschätzbar wertvolle Ressource. Und ich fand, man sollte genauso bei Low-Tech-Konzepten vorgehen: Sie dokumentieren, testen, verbessern und dann freizügig miteinander teilen. Zu diesem Zweck habe ich die Gesellschaft Gold of Bengal gegründet. Seit 2009 organisiert sie Expeditionen, um technische Lösungen zu erkunden, die sich positiv auf Mensch und Umwelt auswirken. Sie betreibt überdies das Low-tech Lab. Dieses gemeinschaftliche Forschungs- und Dokumentationsprojekt verbreitet und fördert Low-Tech-Systeme und soll weltweit Antworten auf die von den Vereinten Nationen definierten Ziele nachhaltiger Entwicklung geben. Außerdem wird diese Gesellschaft mein großes Low-Tech-Projekt tragen: das Abenteuer NOMADE DES MERS.
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Die Mannschaft der Gesellschaft Gold of Bengal konnte die Expedition der NOMADE DES MERS dank der Unterstützung der Segellegende Roland Jourdain (oben rechts) in den Räumlichkeiten des »Brutofens« Explore vorbereiten.
»Wir fingen an, das Internet zu durchforsten, dicke Wälzer zu studieren und Telefonate zu führen, um die besten Low-Tech-Erfindungen weltweit zu finden. Sehr schnell eröffnete sich uns eine eigene Welt …«
DIE WELT DES LOW-TECH
Seit dem Ende meiner Expedition mit der GOLD OF BENGAL lebe ich in Concarneau. Dort hat mir der Segler Roland Jourdain seine Räumlichkeiten zur Vorbereitung meines Projekts angeboten. Nachdem er die Meere bereist hatte, beschloss Roland, die Weltentdecker von morgen zu unterstützen, indem er die Stiftung Explore zur logistischen Unterstützung gründete. Wir fingen an, das Internet zu durchforsten, dicke Wälzer zu studieren und Telefonate zu führen, um die besten Low-Tech-Erfindungen weltweit zu finden. Sehr schnell eröffnete sich uns eine eigene Welt: die Welt der Improvisation, der gegenseitigen Hilfe und der Kenntnisse. In Westafrika z. B. haben die Probleme der Stromversorgung die Einheimischen dazu gebracht, Windräder mit Elektromotoren aus alten Fotokopierern zu bauen. In Madagaskar hat sich das Züchten von Spirulina-Algen zur Bekämpfung der Mangelernährung entwickelt, und auf Sri Lanka konnte ein Brennstoff aus recyceltem Kunststoff gewonnen werden.
WENIGER IST MEHR
Überall erfinden Menschen Neues, um es mit den großen Herausforderungen des Alltags aufzunehmen: Zugang zu Wasser, Nahrung und Energie. Die Entwicklung, die wir genommen haben, stößt nun an zahlreiche Grenzen – Treibhausgasemissionen, Erderwärmung, Verlust der Artenvielfalt, Luftverschmutzung, Bodendegradation und -zerstörung. Diese Entwicklung beruht im Wesentlichen immer noch auf Energiequellen und Bodenschätzen, die nicht erneuerbar sind, was früher oder später zur Verknappung führen muss.
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Corentin hat den Ehrgeiz, aus der NOMADE DES MERS ein schwimmendes Labor und einen Botschafter für Low-Tech in der ganzen Welt zu machen.
Wenn auch technologische Innovation eine zentrale Rolle zu spielen scheint, so erklären Ingenieure wie Philippe Bihouix – Autor von L’âge des low-tech: Vers une civilisation techniquement soutenable, Seuil, 2014 –, dass es dennoch riskant sei, alles auf die Karte des »Ausstiegs nach oben« zu setzen; High-Tech-Lösungen benötigen nun einmal natürliche Ressourcen wie seltene Metalle, deren geeignete Wiederaufbereitung problematisch ist. Aber dank des Rückgriffs auf Low-Tech erreichen manche mit weniger mehr. Sie entwickeln lokale Wirtschaft, Arbeitsplätze, Kompetenzen und verstärken gleichzeitig Autonomie. Diese Innovationen für alle auf der ganzen Welt zugänglich zu machen, ist die verrückte Idee hinter DER NOMADE DES MERS.
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Die NOMADE DES MERS liegt während ihrer Verwandlung im Hafen von Concarneau. Der Katamaran wurde für die Bedürfnisse dieser Expedition komplett umgerüstet.
»Ich bin stolz auf die NOMADE DES MERS. Mit ihr können wir den Planeten durchqueren – immer auf der Suche nach den vielversprechendsten Low-Tech-Ideen …«
Um unseren Plan umzusetzen, brauchen wir ein etwas anderes Labor: ein Boot von 14 Meter Länge, das von seinen Sitzbänken und geräumigen Kabinen befreit ist, um Platz für eine Werkstatt zu schaffen, in der sich Prototypen fabrizieren und testen lassen, Pflanzen kultiviert und Insekten gezüchtet werden können. In den Rümpfen die Kabinen der Crew, eine Elektrowerkstatt, ein biologisches Labor und Stauräume; darüber ein Hühnerstall, Windräder und im Passagierraum Pflanzenzuchtnischen, damit wir, entsprechend unseren Reisestationen, verschiedene erdlose Kulturen testen können.
Wir haben vier Hühner, die meine Eltern mir anvertrauten. Sie bekommen die Namen der an Land gebliebenen Teammitglieder: Marvin, Camille, Chab und Amandine. Bevor es losgeht, stellen wir sicher, dass sie es nett haben. Ich wünsche mir, dass sie jeden Tag legen, also müssen sie sich auch wohlfühlen können. Für ein Huhn ist der Meeresblick weniger wichtig als das Gefühl der Sicherheit.
LEINEN LOS!
Bis zu unserer Abfahrt am 23. Februar 2016 kommen Freunde vorbei, um uns zur Hand zu gehen. Es tut gut, all diese Energie zu spüren und zu sehen, wie sich das Boot zur NOMADE DES MERS verwandelt. Auf dem ersten Teil der Expedition begleitet mich Élaine, die auf jeder unserer Stationen Verbindung mit neuen Erfindern aufnimmt, um festzulegen, mit welcher Low-Tech-Lösung wir uns befassen.