Sailing for Future. Corentin de Chatelperron
in Richtung Afrika. Ab den Kapverden halten wir uns genau nach Westen bis Brasilien. Und schließlich segeln wir nach Südafrika, bevor es nach Asien geht. Auf diesen Tausenden Kilometern sollen uns Hunderte Low-Tech-Ideen begegnen. Als erste Station ist Marokko geplant. Doch um dorthin zu kommen, müssen wir erst einmal durch die Biskaya. Mitten im Winter ist das eines der gefährlichsten Gewässer der Erde. Am Tag unserer Abfahrt scheint die Biskaya ein wenig unruhig – genau wie wir. Überdies haben wir die NOMADE DES MERS wie einen Bauernhof ausgestattet und darüber ein bisschen vergessen, dass es sich um ein Boot handelt und wir ehrlich gesagt keine erfahrenen Seeleute sind. Es nieselt, es ist kalt und dunkel, und vor uns breitet sich ein Ozean aus, der schon so manchen verschlungen hat.
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Einige Tage vor ihrem Aufbruch nach Marokko wartet die Crew noch auf ein günstiges Wetterfenster und nutzt die Zeit für letzte Vorbereitungen.
Aber wir befinden uns in Gesellschaft von erstklassigen Skippern: Roland Jourdain, der uns bis nach Spanien begleitet, und Gwénolé Gahinet, der bis Marokko dabei ist. Und ich fühle mich wieder besser, wenn ich auf all die Unternehmer, Erfinder und Enthusiasten auf dem Ponton blicke, die mir geholfen hatten, so weit zu kommen. Ich bin stolz auf die NOMADE DES MERS. Dank ihr sind wir bereit, den Planeten zu erkunden – immer auf der Suche nach vielversprechenden Low-Tech-Ideen, ein wenig wie Astronauten, die sich in eine glanzvolle Mission einbringen, erfüllt von der Hoffnung, zum Aufbau einer besseren Welt beizutragen.
BEGEGNUNG MIT OLIVIER GUY
LOW-TECH IN DER SCHULE
Olivier Guy unterrichtet Technik in einer kleinen ländlichen Sekundarschule mit 300 Schülern, etwa zehn Kilometer von Saint-Lô. Inspiriert von Corentins Abenteuer, begann er vor einigen Jahren, Low-Tech in der Schule zu unterrichten.
»Auf Corentin bin ich eher zufällig gestoßen, als ich einige Artikel zu seiner ersten Expedition von 2013 in einem Boot aus Jutefaser, der GOLD OF BENGAL, las. Die technische Herausforderung, die im Bau eines Bootes ohne Glasfaser steckt, und Cocos Vorhaben, Low-Tech an Bord zu nutzen, weckten meine Neugier«, verrät der heute 59-jährige Lehrer. Olivier unterrichtet also Schüler der Sekundarstufe (Collège Jean-Grémillon de Saint-Clair-sur-Elle, am Ärmelkanal), und als er auf Corentins Projekte stieß, schlug er ihnen vor, ein Modell der GOLD OF BENGAL zu bauen, das seine Schüler und er schließlich Corentin anlässlich des Salon nautique 2013 in Paris übergeben wollten, wo das Boot ausgestellt war.
Dieses Modell befindet sich heute in Concarneau in den Räumlichkeiten des ehemaligen Profirennstalls von Skipper Roland Jourdain, die als Logistikbasis für die NOMADE DES MERS dienen.
Dem Problem, verschiedene Werkmaschinen, die ursprünglich elektrisch betrieben wurden, mit EINER TRETKURBEL ANZUTREIBEN, stellten sich Olivier und seine Schüler. Ihr System, das ausschließlich aus Gebrauchtteilen bestand und schon ab Concarneau an Bord der NOMADE DES MERS installiert war, trieb eine Bohrmaschine, eine Schleifmaschine, einen Stromgenerator und sogar eine Nähmaschine an.
Seit dieser Begegnung hat Olivier den Low-Tech-Unterricht vollständig in sein pädagogisches Konzept integriert: Seine Schüler fertigen Tabletts aus Harz und Jutegewebe, Holzöfchen aus Konservenbüchsen und Telefonladestationen aus ausrangierten Batterien. Sie haben auch eine Multifunktionstretkurbel gebaut. »Die Schüler sind sehr anspruchsvoll. Die letzten nationalen Bildungsprogramme stellen viel mehr die neuen Technologien und vernetzte Objekte in den Vordergrund. Und wir haben es mit Jungvolk zu tun, das manuell noch sehr ungeschickt ist. Dennoch wollen sie unbedingt wissen, wie es geht!«, versichert Olivier. Also kommen täglich nach der Frühstückspause Jugendliche in seine Klasse, um »an Low-Tech zu werkeln«.
Zurzeit stellen Oliviers Schüler ein weiteres Modell her: das der NOMADE DES MERS! Und im Juli 2017 hat ihr Lehrer Corentin sogar zwei Etappen lang – in Thailand und Indonesien – begleitet, um bei den eigentlichen Low-Tech-Aufgaben und beim Segeln zu helfen, das er schon seit jeher betreibt.
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Olivier Guy installiert eine Multifunktionstretkurbel an Bord der NOMADE DES MERS.
ZUM PRINZIP EINER LOW-TECH-LÖSUNG
DIE MULTIFUNKTIONSTRETKURBEL
»Es war ein Freund, der uns die erste Version der Tretkurbel ins Boot montiert hat. Ein Multifunktionswerkzeug: Man kann die Kurbel mit einem Bohrer, einer Schleifmaschine oder auch einem Stromgenerator verbinden. In der Folge konnten wir das Spektrum erweitern. In Indien brachten wir z. B. eine Reisschälmühle an und konnten so Idlis machen, kleine Küchlein aus leicht fermentiertem Teig, die ein gutes Frühstück sind.«
Corentin
WAS GENAU IST EINE MULTIFUNKTIONSTRETKURBEL?
Es ist eine Low-Tech-Vorrichtung, bei der man die Tretkurbel eines Fahrrads mit menschlicher Kraft koppelt und Strom erzeugt, mit dem verschiedene Werkzeuge betrieben werden können.
Mittelfristig kann ein Mensch eine Kraft von 50 bis 100 W erzeugen. Das kann für verschiedene Anwendungen mit geringem Energiebedarf ausreichen und so eine Lösung für das Problem der Stromversorgung bieten. Mit dem Tretkurbelsystem lässt sich eine kleine Menge Strom erzeugen, um die Batterie eines Telefons oder einer Lampe aufzuladen. Ähnlich wie die bicimaquinas, die man in Südamerika für das Auskörnen von Mais und die Verarbeitung von Obst verwendet, kann es auch mechanisch Werkzeuge antreiben.
Die Tretkurbel bietet eine Lösung für das Problem der Stromversorgung. Denn auch wenn seit etwa 20 Jahren enorme Anstrengungen unternommen werden, den Strombedarf zu decken, so haben doch 1,1 Milliarden Erdbewohner immer noch keinen Zugang zu Elektrizität.
WIE FUNKTIONIERT ES?
Die Tretkurbel – Das System basiert auf der Tretkurbel eines Fahrrads mit Gangschaltung, die an einer kleinen Holzkonstruktion befestigt ist, damit man beim Benutzen auf einem Stuhl sitzen kann, wie man es z. B. von antiken Nähmaschinen kennt.
Die Riemenscheibe – Um die mechanische Energie nutzen zu können, wird die Tretkurbel mit dem Antriebsscheibensystem einer alten, kleinen Säulenbohrmaschine verbunden, auf der sich Bohreinsätze, Schleifscheiben usw. anbringen lassen.
Der Dynamo – Zur Stromerzeugung wird ein Dynamo mit einem Scharnier angebracht. Wenn er angelegt wird, drückt die Generatorachse auf den Antriebsriemen, der mit der Tretkurbel verbunden ist; so lässt sich Gleichstrom von 12 V erzeugen – was ideal zum Aufladen unserer Batterien ist.
»Auch wenn seit etwa 20 Jahren enorme Anstrengungen
unternommen werden, den Strombedarf zu decken,
so haben doch 1,1 Milliarden Erdbewohner immer
noch keinen Zugang zu Elektrizität.«